Hallo Digido,

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Digido
Danke Lior, dass Du Dich ein bisschen offenbart hast. Eigentlich wusste ich überhaupt nichts von Dir. Mich würde nun interessieren, wie Du in Deinem Leben Gott erfährst. Oder ist das zu intim?
Nein, es ist zwar sicherlich ein intimes Erleben, aber nicht zu intim, als dass du nicht danach fragen darfst. Ich wüsste nur nicht genau, wie ich dir dieses Erleben beschreiben sollte. Mit welchen Worten vermag man solch tiefe Empfindungen und Erfahrungen als auch ihre Bedeutung im Denken und Handeln wie z.B. im Zusammenhang mit Liebe zu beschreiben? Ich erlebe das Wesen Gottes nicht als Person, mit der ich abends beim Tee sitze und mich im Zwiegespräch befinde. Ich erlebe Ihn als elementare Präsenz, die mein ganzes Sein ausfüllt. Als eine Quelle der Zuversicht, der inneren Ruhe und Gelassenheit. Eine innere Stimme der Vernunft die mich dazu anhält anderen wohlwollend und mit Verständnis zu begegnen – selbst da wo Kränkung oder Bösartigkeit an meinem Ego und meiner Eitelkeit zu rühren versucht. Die mich immer wieder mein eigenes Erleben hinterfragen lässt und mich dazu anhält kritisch zu prüfen, ob ein Entschluss auf meinem vernünftigen Willen beruht oder ob ich nur einem Bedürfnis folge, von dem ich mich unbemerkt bestimmen lasse. Diese Begegnung öffnet mir die Augen für eine Wirklichkeit, die jenseits der äußeren Welt in uns selbst ihren Ursprung hat – keine die sich aus Energien, Magnetismus oder ähnlichen, äußerlichen Zuschreibungen speist, sondern aus unserem Willen und unserem Bewusstsein an sich. Es ist eine Begegnung, die mich jeden Tag aufs neue verändert und doch zugleich im Kern meines Wesens als Konstante ruht. Es gleicht einem Schwarzes Loch – selbst kaum sinnvoll zu beschreiben oder zu sehen, in seinen Auswirkungen aber gewaltig.^^ Aber letztlich ist es ein Erleben, dass ich mit schönen Worten zu umschreiben versuchen kann, dem diese Worte aber niemals auch nur ansatzweise gerecht werden können.

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Digido
Ich weiß nicht, wie ich den Satz verstehen soll, dass Du "eine gewisse 'Sicherheit im Wissen' primär als Illusion" betrachtest? Würde darunter auch fallen, dass zwei und zwei immer vier ergeben? Oder meinst Du, dass sich einestages auch herausstellen könnte, dass doch nicht die Erde um die Sonne kreist? - Ich nehme mal an, dass Du das alles doch als zweifelsfrei gesichert ansiehst.
Nun gut, wenn du mich direkt nach meiner Meinung fragst, dann werde ich dir die Antwort nicht schuldig bleiben. Auch wenn ich befürchten muss, dass du die ein oder andere Aussage möglicherweise mit einem gewissen Unwillen siehst.
Nein, natürlich meinte ich keine analytischen Aussagen, die als solche definiert sind. (Ein Schimmel ist ein weißes Pferd per Definition – nicht durch Erkenntnis) Bei wissenschaftlichen Aussagen wäre ich schon etwas vorsichtiger, denn grundsätzlich besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, dass die bestehenden Erkenntnisse korrigiert werden müssen. Aber auch daran dachte ich nicht hauptsächlich. Was ich meine sind Aussagen bzw. Überlegungen zu metaphysischen Begebenheiten. Eben weil sie sich der Überprüfbarkeit entziehen. Und hier kommt ein formallogisches Problem hinzu, dass ich versucht habe zu skizzieren. Denn nur wenn ich allwissend bin, kann ich mich nicht irren. Bin ich nicht allwissend, dann gibt es logischerweise etwas, dass ich nicht weiß. Ebenso könnte aber das was ich nicht weiß entscheidend sein für eine bestimmte Anschauung. Folglich kann ich mir logischerweise nie sicher sein, dass meine Erkenntnis der absoluten Wahrheit entspricht. Oder anders gesagt, selbst wenn es vielleicht der Fall sein könnte, kann ich mir dessen nicht absolut sicher sein. Das ist soweit ich es sehe eine logische Tatsache, die man leugnen oder ignorieren kann, die man aber nur schwerlich zu widerlegen imstande ist. Wenn also jemand für sich in Anspruch nimmt über eine absolute Wahrheit zu verfügen, also „absolut sicher um einen Zusammenhang zu wissen“, dann bin ich skeptisch und sehe in diesem Anspruch offen gesagt eher ein menschliches Bedürfnis nach Kontinuität, nach Ansehen oder dem Wunsch nach Sicherheit bzw. der Vermeidung von Unsicherheit. Bedürfnisse, denen wir alle von Zeit zu Zeit erliegen. Agnostizismus ist in diesem Sinne und nach meinem Verständnis also kein Unvermögen an sich, sondern das ehrliche Eingeständnis eines so oder so bestehenden Unvermögens. Wer im Gegenzug einem anderen jedwede Berechtigung seines Glaubens abspricht, weil er selbst glaubt zu 100% recht zu haben, der macht sich in meinen Augen offen gesagt etwas vor. Aber selbst diesen Glauben kann ich tolerieren.

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Digido
Wenn man davon ausgeht, dass eben mit dem Tod die Seele nicht vernichtet wird, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Seele Sitz allen Erkenntnisvermögens - also auch des übersinnlichen - ist. Was man ja auch durch die Erlebnisse, die Menschen im Nahtod hatten, oder durch Telepathie und das sogenannte Astralreisen bestätigt sehen könnte.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Annahme der Unsterblichkeit der Seele zwingend zu der Annahme führt, in ihr ruhe der Sitz des Erkenntnisvermögens. Das hängt denke ich davon ab, was man unter Seele versteht. Aber wenn man von der Wirklichkeit der metaphysischen Annahmen zu Telepathie, Astralreisen oder Nahtoderfahrungen ausgehen mag, dann kann man es sicherlich in dem von dir genannten Sinne interpretieren. Wenn man von dieser Wirklichkeit ausgeht. Ich bin da offen gesagt sehr skeptisch und sehe wenig Veranlassung dazu.

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Digido
Es läge also nur an einem jeden selbst, dieses übersinnliche Erkenntnisvermögen in sich zu erwecken. Oder eben erst einmal mit der Literatur beschäftigen, die von solchen stammt, die behaupten dieses Vermögen in sich erweckt zu haben. Mir fällt da Rudolf Steiner ein.
Ja, Rudolf Steiner hat selbiges sicherlich von sich behauptet. Ich gebe zu, als Person finde ich seinen Lebensweg interessant. Vor allem auch der so radikale Wandeln über sein Leben hinweg.
Was seine inhaltlichen Lehren betrifft, muss ich gestehen überzeugen sie mich soweit ich sie kenne nicht wirklich. Ich sehe ihn da vielmehr als fast schon typischen, durch die esoterischen und nationalistischen Bedürfnisse und Überlegungen seiner Zeit beeinflussten Vertreter einer neuen, im Gegenentwurf zur kirchlichen Tradition stehenden religiöse Neubesinnung. In diesem Sinne sagen seine Ausführung vermutlich viel mehr über seine ihn als über die Wirklichkeit aus. Er hatte gegenüber anderen jedoch wie es scheint ein nicht zu leugnendes rhetorisches Talent bzw. ein Talent sich selbst zu vermarkten. Dennoch beruhen seine Lehren meiner Meinung nach oftmals auf falschen Annahmen und erkenntnistheoretischen Grundfehlern, allem voran sein Anspruch auf die Wissenschaftlichkeit seines Ansatzes.

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Digido
Die Erlebnisse, die Menschen beim Nahtod haben, wurden ja von ihm bereits ausführlich geschildert, bevor solche Erlebnisse überhaupt bekant wurden. Und siehe da, es besteht Übereinstimmung. Das kann ja nicht zufällig sein.
Was meinst Du?
Das ist sicherlich eine interessante Frage. Nein, für einen Zufall halte ich sie nicht. Aber – und das ist einer der Fehler auch in Steiners Denken – man muss zwischen Wahrnehmung und Deutung unterscheiden. Aus der Wahrnehmung allein folgt nicht zwingend die Wirklichkeit als einzig mögliche Deutung. Ganz im Gegenteil. Unsere Realität ist zum großen Teil auch eine Frage der Rekonstruktion. D.h. wir rekonstruieren unsere Realität auch aus den uns zugänglichen Informationen. Spüren wir eine Erregung, interpretiert unser Gehirn diese unter Berücksichtigung des Kontextes als Gefühl – und das nicht immer korrekt. Äußert sich im Fernsehen ein bekannter Schauspieler zu Missbrauchserlebnissen, dann steigen die Fälle von sich wieder an einen Missbrauch erinnernden Opfern sprunghaft an. Es gab gerade in den 80ern und den 90ern, als kritische Schriften zum modernen Satanismus dessen angeblichen und abartigen Praktiken thematisierten, eine große Zahl an Betroffenen, die davon berichteten Opfer satanisch-kultischen Missbrauchs geworden zu sein. Wie wir heute wissen gibt es für diese Behauptungen nicht nur keine Belege, im Gegenteil sind sie z.T. schon aus statistischen Gründen kaum möglich (über 50000 heimlich entführte und getötete Kinder lassen sich kaum verbergen) oder haben sich durch nachträgliche Ermittlung als falsch oder erfunden dargestellt. Was nicht heißt, dass diese Menschen nicht Opfer von (sexueller) Gewalt geworden sind. Aber die Form der erinnerten Gewalt muss nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen. Und es ist denke ich auch in diesem Fall kein Zufall, dass parallel zur Zunahme der Meldungen von Missbrauch im satanischen Umfeld die Berichte von sexuellen Experimenten im Zusammenhang mit außerirdischen Entführungen zurückgingen.
Was ich damit sagen will ist, dass Menschen in ihrer Erfahrungswelt keine unzweifelhafte Zeugen sind. Das wissen wir schon aus der Rechtswissenschaft im Zusammenhang mit dem Wert von Zeugenaussagen. Ich kenne jedoch keine neuere Belege zum Thema Telepathie oder ASW, die einer kritisch-wissenschaftlichen Überprüfung stand gehalten hätte. Meist konnte unter kontrollierten Bedingungen soweit ich es weiß nur eines aufgezeigt werden – das die Befürworter einem Irrtum erlegen sind. Dennoch achte und respektiere ich den Glauben an solche Phänomen – aber eben als Glauben, nicht als Tatsache mit dem Anspruch auf „gesicherte Erkenntnis“.
Viele Grüße
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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