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Unbekannt
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Wir wissen, daß Jesus einen schrecklichen Tod erlitten hat.
Die Kreuzigung war eine der schlimmsten Foltern der Alten Welt und für die Juden ein Zeichen dafür, von Gott verworfen zu sein (Deuteronomium 23,23; Galater 3,13).
Das Neue Testament gibt uns zu verstehen, daß das Kreuz kein Fehlschlag und keine Verurteilung war, sondern ein Werkzeug zu unserem Heil ( z. B. Galater 6,14; Kolosser 1,20).
Es ist nicht erstaunlich, daß es von jeher nur schwer zu begreifen war, wie etwas so Schreckliches so glückliche Folgen zeitigen konnte.
Dieses Unverständnis beruht letztlich auf einer Zweideutigkeit, die zu klären sich lohnt.
Seit Jahrhunderten hat diese Zweideutigkeit Verheerungen angerichtet und unzählige Menschen vom Glauben an Christus entfernt.
Sie besteht in der Vorstellung, daß das Leiden Jesu als solches rettenden Wert besitzt.
Anders gesagt, Gott der Vater wäre darauf angewiesen, stünde also in einem gewissen Einvernehmen mit der Gewalt, die auf seinen einzigen Sohn ausgeübt wird.
Es genügt fast, diese These auszuformulieren, um sich darüber klarzuwerden, daß sie nicht nur falsch, sondern gotteslästerlich ist.
Wenn Gott nicht einmal möchte, daß böse Menschen leiden und sterben (Ezechiel 33,11), wie sollte er dann beim Leiden seines geliebten Sohnes, des Ersten aller Unschuldigen, Genugtuung empfinden?
Das Leiden als solches hat in den Augen Gottes keinerlei Wert.
Mehr noch, der Schmerz, der das Lebendige abtötet, steht in vollkommenem Widerspruch zu einem guten Gott, der will, das alle Menschen in Fülle leben (Johannes 10,10).
Woher kommt also diese Zweideutigkeit?
Unter anderem von einer zu oberflächlichen Lesart biblischer Texte, die ihrerseits Zusammenfassungen sind.
Bei dieser Lesart tritt nicht zutage, worum es im Letzten geht. Im Letzten geht es nämlich um die Liebe.
Denn nur die Liebe kann Leben schenken, kann retten.
Das Leiden hat zwar keinen Wert in sich, ist meistens nichts als zerstörerisch, aber es gibt Augenblicke, in denen man unbegreifliches Leid auf sich nimmt, um der Liebe treu zu bleiben.
Die Texte im Neuen Testament, die das Leiden zu verherrlichen scheinen, feiern in Wirklichkeit die Liebe Gottes, der um des geliebten Menschen willen in der vollkommenen Hingabe bis zum Äußersten geht.
Daran erinnert uns Johannes ausdrücklich: „Es gibt keine größere Liebe, als sein Leben für die Freunde zu geben“ (Johannes 15,13).
Im Satz „Christus hat für uns gelitten“ (1 Petrus 2,21) beispielsweise ist es das „Für uns“, worum es im letzten geht, die Gegenwart der Liebe.
In seinem Sohn hat Gott das Menschsein angenommen und dabei aus Liebe den letzten Platz erwählt.
So ist das Kreuz Ausdruck einer vollkommenen Solidarität (vgl. Philipper 2,6-8).
Und wenn Paulus schreibt, daß er die Leiden Christi teilt ( z. B. 2 Korinther 1,5; Philipper 3,10; Kolosser 1,24), bringt er damit seine Sehnsucht zum Ausdruck, sich in der Nachfolge Jesu ohne Einschränkungen für die anderen zu verausgaben.
Weil Christus die Leiden unseres Menschseins aus Liebe auf sich genommen hat, können diese Leiden nicht mehr als verdiente Strafe oder blindes und absurdes Schicksal erfahren werden, sondern als eine Begegnung mit der Liebe und als ein Weg zum Leben.
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