
Zitat von
net.krel
@Provisorium, Dein Beitrag hat mich in keinster Weise überzeugt.
Ich bin mit meinen Ausführungen doch auch noch gar nicht fertig. Ich hab doch zurzeit leider keine Zeit um alles in einem Rutsch zu schreiben und deshalb mehrfach um Geduld gebeten, weil ich nur Stück für Stück vorgehen kann und das komplizierte Mosaik Steinchen für Steinchen zusammensetzen will, damit sich schlussendlich auch ein vollständiges Bild ergibt.
Ich versuche nun mal deine ach so dringliche Frage zu beantworten, damit du prüfen kannst, ob du auch zukünftig noch meinem Glaubensbekenntnis zustimmen kannst. Ich will dir aber zuvor schon noch sagen, dass mich deine Reaktion ziemlich traurig macht! Wir kennen uns seit so vielen Jahren und ich hab in dieser Zeit soviel geschrieben und Zeugnis von meinem Glauben gegeben, dass du mich sogar Bruder nanntest und jetzt willst du das alles über Bord werfen, weil ich mich weigere vereinfachende Antworten auf hochkomplexe Fragen zu geben? Das ist schon enttäuschend. Aber gut...
Die Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung und deren Beurteilung als objektive Wahrheit im Religiösen kann nicht ernst genug genommen werden. Wenn man die Berichte aus religiösen Schriften als moderner Mensch heute noch ernst nehmen möchte, muss man sich unbedingt dieser Diskrepanz bewusst werden, da man ansonsten notwendig überall nur Widersprüche und Widersprüchliches findet.
So sind die Erfahrungen des Mose am Berg Sinai, genauso wie die Begegnungen Mohammeds mit dem Engel Gabriel, oder auch die Ereignisse vor Damaskus bei Paulus, aus heutiger, wissenschaftlicher Sicht heraus, nichts anderes, als subjektive Bilder vom Gehirn für das Gehirn, die der so Erlebende auf Gott hin deutet und die dann in ihrer Rezeption und Verfestigung im jeweiligen sozialen Umfeld, objektivert und im Laufe der Zeit als Tatsachenberichte verstanden werden.
Dabei ist der historische Einfluss hinsichtlich bestehender Werte und Normen unbedingt zu beachten. Das heißt, der "Empfänger" dieser Bilder und Worte ist immer ein Kind seiner Zeit und kann entsprechend gar nichts anders, als seine Erfahrungen im Kontext seiner Zeit zu deuten und entsprechend zum Ausdruck zu bringen.
Aufgewachsen in einer Sklavenhaltergesellschaft mit all ihrer erbarmungslosen Härte, von der wir uns heute ohnehin kaum noch ein Bild machen können, weil wir es soooo viel angenehmer und unbedrohlicher haben, wird Mose nun also schwerlich seine subjektiven Erlebnisse in korrekt gegenderter und gerechter Sprache, mit Beispielen aus der Quantenphysik und den Neurowissenschaften zum Ausdruck bringen können.
Er muss sie vielmehr hinsichtlich aktueller Problemstellungen und orientiert am gesellschaftlichen und politischen Mainstream, mit Beispielen aus der Erfahrungswelt seiner Zeitgenossen zum Ausdruck bringen, sonst versteht ihn nämlich kein Mensch.
Und nun schaut euch doch bitte mal die Erfahrungswelt der damaligen Menschen an. Bedroht von allen Seiten, ständiger Kampf um Grund und Boden, lebensbedrohliche Dürren, Missernten, Krankheiten bei Mensch und Vieh und das alles eingebettet in eine Zeit, in der Krieg völlig normales Mittel politischer Interaktion war, so wie wir heute UNO Vollversammlungen abhalten.
Es gab deshalb keine antiken Gesellschaften ohne Todesstrafe, ohne harte körperliche Strafen, ohne Gewalt und Grausamkeit. Und da die Gefahren nicht nur von außen drohten, sondern auch innen wirksam wurden, mussten sich die Menschen ein Regelwerk geben, dass auf all diese Bedrohungen Antwort findet (im Falle des jüdischen Volkes sind es die 613 Ge- bzw Verbote, plus ihre mündliche Diskussion, um auch starangels Frage nach dem was Tora ist zu beantworten).
Das heißt, nicht selten handelten diese Menschen aus purer Not und Verzweiflung heraus so, wie sie es taten. Sie trieben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Politik und die Politik der damaligen Zeit war nun einmal ganz grundsätzlich unfassbar grausam. Verglichen mit anderen Völkern jedoch, war die Politik des jüdischen Volkes absolut human und fortschrittlich bis genial (z.B. der Sabbat).
Davon dürfen wir Spätgeborenen heute lernen und wir sind es diesen Menschen schuldig, sie nicht mit billigen Absolutsetzungen aus unserer heutigen Sicht und Erfahrungswelt heraus abzuspeisen. Sondern wir müssen versuchen ihre grundsätzlichen Intentionen, Herzenshaltungen und - regungen kennen- und verstehen zu lernen (vermittels tiefenpsychologischer Exegese zum Beispiel), um auch aus ihren alten, für uns unendlich grausamen Texten, noch die Stimme Gottes hörbar werden lassen zu können.
Dann werden wir vielleicht irgendwann erkennen, dass Gott seine Geschöpfe vor allen Gefahren und Bedrohungen retten will und seine schützende Hand so lange nach den Menschen ausstreckt, bis sie sie endlich zu ergreifen bereit sind. Und genau das ist bedingungslose Liebe über alle Zeiten, Wirren und Verirrungen hinaus.
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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