Hallo Saved,
dann hoffe ich NetKrel hat deine Frage richtig verstanden.^^ Ich kann deine Skepsis gut verstehen. Sehr viele der oft angeführten Forschungsbemühungen sind schon Jahrzehnte alt und gelten heute als überholt bzw. methodisch fehlerhaft. Nehmen wir die von Digido angeführte Helen Wambach. Sicherlich war sie um seriöse Forschung bemüht, aber sowohl der Umstand, dass sie meines Wissens nach zumeist Vertreter der Esoterikszene befragt hat, welche Ihrerseits etwas von ihrem früheren Leben in Erfahrung bringen wollten, und denen daher wohl berechtigterweise eine gewisse Erwartungshaltung und eine vermutlich bereits im Vorfeld bestandene Auseinandersetzung mit dieser Thematik zugesprochen werden kann, als auch der Umstand, dass die Befragung meines Wissens nach erst nach der Hypnose erfolgte, als die Personen im Wachbewusstsein versuchten ihre Eindrücke zu sortieren und einzuordnen, lässt diesen Bemühungen aus heutiger Sicht keinerlei Beweiswert zukommen. Von anderen Problemen wie iatrogene Beeinflussung durch die Hypnose oder andere, damals noch unbekannte Zusammenhänge in der Funktion des Gedächtnis ganz abgesehen. Auch Ian Stevenson als Hauptvertreter einer wissenschaftlichen Bemühung um Reinkarnationsforschung würde ich nicht als unseriös bezeichnen. Aber auch seine Arbeit kann hauptsächlich Fragen aufwerfen, aber aus verschiedenen Gründen eben (zumindest aktuell) nicht mehr.
Und auch Fachvertreter können durchaus Fehler machen bzw. methodische Vorgaben ignorieren oder missverstehen. Deshalb bedarf es eben auch mehr als der Anerkennung durch vereinzelte Befürworter. Reinkarnation bleibt damit eine alternative Erklärung, aber nach eine weltanschauliche Erklärung, keine wissenschaftliche, auch wenn manche ihrer meist aus dem esoterischen Umfeld kommenden Befürworter das nicht einsehen wollen oder aus Gründen der eigenen Legitimierung das fortgesetzt propagieren. Natürlich kann man sich wie NetKrel andernorts es mal angesprochen hat darüber streiten, was das „Recht“ hat sich „wissenschaftlich“ zu nennen und was nicht. Aber dieser Streit ist tatsächlich nebensächlich, denn eine wissenschaftliche Anerkennung erfolgt eben durch wissenschaftliche Fachvertreter – und eben nicht durch z.B. Esoteriker. Wir lassen ja auch nicht Sprengmeister entscheiden, ob eine bestimmte Maßnahme aus medizinischer Sicht Sinn macht, oder Mediziner, wie die Sprengladung an einem Gebäude anzubringen ist.^^
Die Gründe für die Aberkennung der Reinkarnation als wissenschaftliche Tatsache hat aber verschiedene Gründe. Ein paar habe ich schon genannt, bezugnehmend auf Digidos Ausführung kann ich gerne noch ein paar weitere nennen. Schau dir Digidos Beitrag Nr. 160 an, der sehr gut das häufig zu beobachtende Vorgehen beschreibt. Wenn ich das in allgemeineren Worten beschreibe, dann nimmt man hier ein Datenelement (in diesem Fall das Vorhandensein einer mutmaßlichen Erinnerung) und wenn alternative Erklärungsmodelle versagen, dann wird dies in einem ersten Schritt als Beweis für die Falschheit bestehender Annahmen gewertet, in einem zweiten Schritt offeriert man einen metaphysischen Erklärungsansatz (in diesem Fall die Reinkarnationstheorie) welche das Datenelement erklären könnte, und belegt eben damit zugleich die Richtigkeit des metaphysischen Ansatzes. Dieses Vorgehen ist aber aus verschiedenen Gründen unzulässig.
1. Folgt aus dem Fehlen einer Erklärung nicht die Falschheit einer bestehenden Theorie. Eine wissenschaftliche Theorie muss nicht ALLES erklären können (und das wird sie in den seltensten Fällen auch schaffen), sie muss nur die Datenmenge bestmöglichst erklären.
2. Ist die Begründung „Es lässt sich nicht anders erklären als mit ...“ im Zusammenhang mit metaphysischen Spekulationen zumindest als wissenschaftliche Theorie unzulässig. Denn nur weil sich aktuell keine Erklärung für eine bestimmte Fragestellung findet, heißt dies nicht, dass es keine solche gibt und deshalb metaphysische Annahmen als Folge erlaubt wären.
3. Ist der Versuch diese Lücke mit einer metaphysischen Theorie zu erklären spätestens dann fragwürdig, wenn im Gegenzug mehr neue Lücken entstehen, die mit weiteren metaphysischen Annahmen „gestopft“ werden müssen. (Ich hatte verschiedene „naive“ Fragen die sich aus dem Umstand ergeben bereits angeführt) Denn so werden aus einer spekulativen Annahme auf einmal zwei Dutzend oder mehr.
4. Entzieht sich eine metaphysische Theorie der Falsifizierbarkeit.
Im letzten Punkt liegt auch einer der maßgeblichen Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Theorien und Glaubensdogmen. Denn im Falle von Glaubensdogmen gilt das Bestreben ihrer Befürworter im Regelfall dem „Beweisen“ der eigenen Ansicht. Anders als es von Laien oft falsch verstanden wird, geht es aber in der Wissenschaft nicht darum eine Theorie zu beweisen, die Bemühungen zielen grundsätzlich darauf ab sie zu widerlegen. Das hat mit den Grundsätzen der Logik zu tun, denn ich kann z.B. nicht beweisen, dass es keine grüne Schafe gibt. Dazu müsste ich diese Aussage an allen jemals existierenden Schafen überprüfen. Ich kann bestenfalls aus dem Umstand, dass ich bisher diese Annahme nicht widerlegen konnte, schlussfolgern, dass die Annahme sehr wahrscheinlich ist.
Wenden wir dies nun mal auf die Reinkarnationsforschung an. Wie kann ich denn beweisen, dass die Theorie nicht stimmt? Wie widerlege ich eine metaphysische Annahme, wenn sie sich meinem Arbeitsbereich eben entzieht? Indem ich widerlege, dass diese Erinnerungen echt sind? Nun, das wurde in einer Vielzahl an Beispielen bereits getan. Ich denke in sehr viel mehr Fällen, als an „unerklärbaren“ Fällen übrig bleibt. Aber warum hat dies keine Relevanz für Vertreter dieser Überzeugung? Das liegt darin, dass die Argumentation der meisten Reinkarnationsgläubigen tautologisch aufgebaut ist. Entweder es lassen sich scheinbare Belege für die Wahrhaftigkeit der Erinnerung finden, die sich aktuell nicht anderweitig erklären lassen, oder aber es war keine echte Reinkarnation und man rettet sich auf den Vorwurf, dass die Wissenschaft aber eben nicht alle Phänomene erklären kann oder metaphysische Aspekte nicht ausreichend würdigt. Natürlich kann dies aber auch niemals der Anspruch der Wissenschaft sein. Ebenso könntest du der Farbe grün vorwerfen sie sei nicht rot genug.^^
Diese Art der Argumentation ist aber auch nicht wirklich neu. Wenn du mal genau hinschaust, dann findest du einige Parallelen zu diversen Argumentationen aus dem kreationistischen Lager. Auch hier wird mit Lücken argumentiert, wissenschaftliche Belege im Sinne der eigenen Anschauung interpretiert, Gegenbeweise aber entweder ignoriert oder man versucht sie durch weitere Annahmen zu entkräften, welche oftmals aber die Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit (und damit aber auch indirekt die Grundlage der akzeptierten Belege) infrage stellen.
Im Fazit würde ich deshalb sagen: Ja, es gibt seriöse Forschungsbemühungen. Aber auch seriöse Bemühungen führen nicht immer zu sinnvollen Ergebnissen und noch weniger sind sie Garant für die Seriosität ihrer Interpretation. Und was den Aspekt der Anerkennung als wissenschaftliche Tatsache betrifft… lass es mich so sagen: Du wirst in keinem mir bekannten wissenschaftlichen Lehrbuch die Reinkarnation als wissenschaftliches Erklärugsmodell behandelt finden - allenfalls als Aspekt moderner Religiosität oder als lexikalischer Eintrag als eine "mit der Vorstellung der Seelenwanderung einhergehende Annahme der Wiederholung des Individuallebens in neuer Diesseitsverkörperung." (zitiert nach Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 13. Auflage)
Beantwortet das deine Frage ausreichend?
Lieben Gruß
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
Lesezeichen