@Zeuge

Du darfst nicht äußere mit innerer Armut verwechseln und dann noch das daraus resultierende Gefühl der Bedürftigkeit in den Mittelpunkt stellen.

Natürlich ist der Mensch immer auch bedürftig. Er lebt sein Leben zum Großteil im Streben nach Befriedigung seiner Bedürfnisse. Eckhart ist sich dessen wohl bewusst, aber in seiner Armutspredigt stellt er etwas anderes in den Mittelpunkt.

Eckhart ging es – wie der antiken Philosophie überhaupt und wie Augustin – um Glück oder Seligkeit, um argumentativ vermittelte unmittelbare Verbindung mit dem Ursprung. Er lehrt zurückzutreten in diesen uns immanenten Ursprung, damit wir sehen: Wir erhalten durch intellektuelles Erfassen unseres göttlichen Ursprungs zuallererst unsere Existenz, und danach erst treten Gott und Welt und Ich auseinander. Im tätigen Intellekt (in der Philosophie/Scholastik intellectus agens genannt), sind wir wir selbst. Arm ist, wer radikal dieses Leben lebt, als Intellekt vor dem Auseinandertreten von Wissen und Wollen. Er lebt ein zielfreies Leben in der absoluten Einheit. Sie heißt „absolut”, weil sie abgelöst ist von der Unterscheidung von Gott und Ich und Welt.

Was hier Intellekt heißt, ist nicht der heutigen Umgangssprache zu entnehmen, er ist weder eine Seelenkraft noch ein abgetrennter, halb-göttlicher Zwischenwesen-Intellekt; er ist unser menschliches Denken, aber als immer-tätiger Seelengrund, nicht als bloßes Denkvermögen, nicht als bloß theoretisches Verhalten. In Eckharts Theorie begreift der menschliche Intellekt sich selbst als tätige Einheit von Selbst-Durchsichtigkeit und Selbstgenuss, die sich als zeitgebunden und vergänglich nur wissen kann, weil sie zeitüberlegen, immer schon bei sich ist.

Wir sollen arm sein an Geist, sofern unser Geist – was er immer auch muss – nach anderem schaut und draußen sucht; wir können arm sein an Geist, denn wir sind immer schon der Intellekt, der eins ist mit der Einheit.

LG
Provisorium