Ich denke, man darf einerseits das Ideal nicht runterziehen, und wie ich dort ausgeführt habe, ist spirituelles Wachstum ohne Entsagung schlecht möglich. Die Notwendigkeit zur Entsagung sollte definitiv (auch gesellschaftlich!) anerkannt sein! Aber das von vornherein zu erwarten, rigide und vielleicht wütend und hart gegen sich selbst und andere wegen der Stärke der Begierde zu sein, führt zu einer unguten Verzerrung.
Sehe ich auch wieder so wie Du, dass grundsätzlich erstmal die Freiheit da sein sollte, sich auszuprobieren, auch als ganz praktische Notwendigkeit auf dem Weg! Man sagt ja: "Ein Mönch ist kein Bettler." Ein Bettler müsste nur sein Gewand wechseln und schon ist er scheinbar ein Mönch, was natürlich nicht der Fall ist. Ein echter Mönch kann nur jemand werden, der
die Welt haben könnte, sie dann jedoch aufgibt und ihr entsagt. Diese Erfahrung der Welt führt für einen Bettler einerseits zu einer psychologisch wichtigen "Eroberung", so wie Cäsar das kleine Gallien wohl nicht mehr interessiert hätte, hätte er es erobern können. Dann ist es auch nicht mehr so wichtig.
Mir fällt in diesem Zusammenhang eine kleine Analogie ein, die vielleicht hilfreich sein könnte. Ich sehe es im Grunde so, dass spirituelles Wachstum einen Weg beschreibt, der mit dem "Befindlichkeits-Ich" beginnt, sich zum "Beziehungs-Ich" entwickelt und schlussendlich in Gott sein Zuhause findet und zur Ruhe kommt.
Mit "Befindlichkeits-Ich" meine ich das spirituelle Verhalten mit Gott Handel treiben zu wollen. Man bittet Gott um Vorteile, um Wohlergehen, er soll einem im Leben Glück und Zufriedenheit geben und wenn möglich irgendwann auch einmal das Himmelreich. Im Gegenzug verspricht man fein brav zu sein, so gut es geht seine Gebote zu befolgen und z.B. jeden Sonntag in die Kirche zu gehen - man treibt also Handel mit ihm. Ich gebe dir, damit du mir gibst.
Mit "Beziehungs-Ich" meine ich das gereifte spirituelle Verständnis dafür, dass man mit Gott keinen Handel treiben kann (nicht zuletzt, weil ohnehin alles von ihm kommt und wir ohne ihn gar nichts zum Handeln hätten) und dass das Handeln mit Gott einen auch unmöglich Gott näher bringen kann. Als Händler drehe ich mich immer nur um mich selbst und meine Befindlichkeiten. Ich suche meine Vorteile, meine erhebenden Gefühle, kurz meine Seligkeit. Dabei kann ich aber doch niemals selig sein, als nur in Gott. Das ist der Moment in dem einen die Beziehung zu Gott (und auch den Menschen) zunehmend bedeutsam wird. Die Befindlichkeiten treten zurück, man empfängt alles was man empfängt als Gabe Gottes, es sei einem Freud oder Leid - immer nimmt man es dankbar an, weil man in einer lebendigen Beziehung zu Gott lebt.
In dieser Phase wird man dann für gewöhnlich auch allmählich gewahr, dass es unglaublich viel Mist gibt, den man nicht braucht. Sowohl materiell, als auch zunehmend spirituell, weil es gar nicht so selten auch hinsichtlich der spirituellen Bedürfnisse noch eine ganze Menge Befindlichkeiten und beharrlicher Eigenwille geben kann (nur sind die dann eben vergeistigt), die einen an Gott und an einer lebendigen Beziehung zu ihm hindern (das können tatsächlich auch sehr fromme Dinge, Wünsche und Willensbekundungen sein).
Der in einer lebendigen Beziehung zu Gott stehende Mensch lässt nun allmählich alles fallen. Tatsächlich gibt er schlussendlich die ganze Welt auf, weil er sich selbst zunehmend in dem Sinne aufgibt, dass er an nichts mehr festhällt was die Welt an Freuden, Trost, Halt und Sinnspendendem zu bieten hat (und das ist ja nun nicht gerade wenig). Solch ein Mensch wird, um es einmal mit Meister Eckhart zu sagen, geistig arm und steigt hinab in seine innerste Armut.
Und dort, in der innersten Armut des Menschen, wohnt Gott mit seiner ganzen Fülle. Dort allein kommt der Mensch zur Ruhe und es geschieht das Wunder, das Meister Eckhart einmal so beschrieb:
Wie wunderbar: draußen stehen wie drinnen, begreifen und umgriffen werden, schauen und (zu gleich) das Geschaute selbst sein, halten und gehalten werden – das ist das Ziel, wo der Geist in Ruhe verharrt, der lieben Ewigkeit vereint.
Sorry, jetzt ist mal kurz der Pathos mit mir durchgegangen, aber es dürfte vielleicht deutlich geworden sein wie ich persönlich die Keuschheit einschätze und -ordne?
Kennst Du vielleicht den ersten Matrix Film? Was bei ihm wirklich außergewöhnlich ist, ist dass dort zum ersten Mal der Monismus in einer "Erleuchtungsszene" metaphorisch dargestellt wurde.
Ja, den hab' ich mal gesehen, kann mich an besagte Szene aber leider nicht erinnern. Ich weiß auch gar nicht ob Matrix überhaupt monistisch gedacht ist, denn in was für einer Welt leben denn eigentlich die Menschen, nachdem sie ihr Dasein als Batterie hinter sich gelassen haben und vom System abgekoppelt wurden? Darüber gibt der Film doch keine Auskunft, oder täusche ich mich?
LG
Provisorium
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