
Zitat von
net.krel
Wie würdest Du von daher den zweiten Teil des Abschnittes Deuten Provisorium?
lg Net.Krel
Also zunächst muss ich erstmal sagen, dass ich mir grundsätzlich hinsichtlich der Offenbarung des Johannes sehr, wirklich sehr sehr schwer tue! In den allermeisten Fällen werde ich nämlich nicht wirklich aus der Bildsprache schlau, in der dieses Buch geschrieben ist und deshalb kann es sehr gut möglich sein, dass ich mit meiner Deutung völlig daneben liege! Also bitte Obacht...:-)
Allerdings sind zu meinem Glück in dem nun zu besprechenden Text ja gar nicht mehr sooo viele Bilder enthalten, weshalb vielleicht doch was Vernünftiges bei rauskommt? :-) Ich zitiere zur allgemeinen Erinnerung zunächst nochmal den Text (nach der Elberfelder Bibel) um den es geht (Offenbarung 20,5-8):
Und der, welcher auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu. Und er spricht: Schreibe! Denn diese Worte sind gewiss und wahrhaftig.
Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich will dem Dürstenden aus der Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst. Wer überwindet, wird dies erben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein. Aber den Feigen und Ungläubigen und mit Gräueln Befleckten und Mördern und Unzüchtigen und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern ist ihr Teil in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.
Ihr habt ja bereits über den wahrscheinlich entscheidenden Teil des Textes gesprochen, also der Teil, der am meisten zu Spekulationen anregt und bei dem es um die "Überwindung" geht. Da stellt sich natürlich die Frage, was genau mit "Überwindung" gemeint sein könnte, oder was man denn nun überwinden soll?
Jesus hat nach Johannes 16,33 auch einmal vom "Überwinden" gesprochen, nämlich in folgenden Trostworten, die er an seine Jünger richtete:
Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Nun könnte man durchaus annehmen, dass das, was Jesus überwinden musste, auch wir überwinden sollten. Aber wie überwindet man die Welt?
In der historisch kritischen Bibelforschung ist man sich heutzutage nicht sicher, ob der Johannes, der das Johannesevangelium schrieb, auch der Johannes der Johannesbriefe und der Offenbarung des Johannes ist, aber für gewöhnlich wird es in der christlichen Tradition so gesehen, dass das alles ein und derselbe Johannes ist. Deshalb nehme ich nun einfach einmal an, dass der Johannes, der in der Offenbarung von "überwinden" spricht auch folgende Verse geschrieben hat (1.Johannes 5,4+5):
Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?
Na, merkt ihr schon, was sich das Provisorium da feines zusammenbastelt? :-)))
Spaß beiseite: Im 1.Johannesbrief 5,4+5 bekommen wir also einen weiteren Hinweis darauf, was "überwinden" bedeuten könnte. Die Welt überwindet demnach also alles, was von Gott geboren ist und der Glaube, dass Jesus Gottes Sohn ist, ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Das deckt sich meiner Meinung nach auch grundsätzlich mit dem was Jesus sagte, als er die oben genannten Trostworte zu seinen Jüngern sprach und meinte, dass man in ihm Frieden haben könnte.
Zusammenfassend findet man also bis hierher zwei "Voraussetzungen", die bezüglich des "Überwindens" erfüllt sein müssen: Man muss (erstens) von Gott geboren sein und (zweitens) den Glauben haben, dass Jesus Gottes Sohn ist. Und wie könnten diese beiden "Voraussetzungen" zusammenhängen?
Ich versuch's mal so einfach wie möglich nach meinem persönlichen Verständnis und Glauben zu erklären: Als Christ glaube ich persönlich ja daran, dass Jesus Gottes Sohn ist, dass er also aus Gott geboren ist und mehr noch, dass er mit Gott eins ist (Johannes 10,30). Nun war Jesus hier auf Erden aber ein ganz normaler Mensch, so wie ich es auch bin und wenn der Mensch Jesus aus Gott geboren wurde und mit ihm eins ist, dann müsste doch auch ich Mensch und alle anderen Menschen aus Gott geboren werden können und mit ihm eins sein, oder?
Und genau das ist für mich die "Frohe Botschaft" des Evangeliums, nämlich das der Mensch aus Gott geboren ist und auch Gott in den Menschen "hineingeboren" werden kann, oder präziser, dass Gott in die Seele des Menschen geboren wird. Das ist das, was meiner persönlichen Meinung nach, Jesus während seiner Zeit auf der Erde verkündigen wollte, der Grund, weshalb er meiner persönlichen Meinung nach überhaupt hier war. Gott ist nicht irgendwo außen, fern von uns, sondern er ist innen, in unserer Seele und uns näher, als wir es uns selbst sind - substantiell sind wir nämlich meiner Meinung nach mit Gott eins. Wir wissen das für gewöhnlich nur nicht und strecken uns deshalb nach außen aus, um Gott zu finden, dabei ist er aber in uns, in unserer Seele und wartet nur darauf, dass wir uns zu ihm nach innen kehren um dort, wie der verlorene Sohn, in seine liebenden Arme sinken zu können.
Der Glaube also, dass Jesus Gottes Sohn ist, ist gleichsam der Glaube daran, dass auch wir seine Töchter und Söhne sind. Denn so wie Gott in den Menschen Jesus geboren wurde, wird er auch in jeden anderen Menschen geboren, was uns für gewöhnlich zwar nicht bewusst ist und doch jeden Augenblick geschieht, denn wir schöpfen unser Leben allein aus Gott und von ihm allein fließt es uns zu - in jedem winzigen Moment unseres Lebens.
Die Überwindung der Welt ist also gleichsam die Überwindung alles Weltlichen, hin zum Göttlichen. Diesen Weg hat uns Jesus geebnet, indem er uns lehrte, dass wir substantiell göttlicher Natur sind, wofür er beispielhaft mit seinem Leben Zeugnis gab. Johannes findet dafür in 1.Johannes 5, 19-20 folgende Worte:
Wir wissen, dass wir von Gott sind, und die ganze Welt liegt im Argen. Wir wissen aber, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Einsicht gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen erkennen. Und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.
Mir fällt gerade auf, dass ich jetzt schon soviel geschrieben habe und mir aber immer noch nicht sicher bin, ob ich mich bis hierher verständlich machen konnte hinsichtlich der Frage, was "überwinden" für mich persönlich bedeutet. Ich mach an dieser Stelle deshalb einmal Halt und wenn ihr Fragen habt, dann bitte immer raus damit! :-)
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
Lesezeichen