Lieber Plueschmors,
ich will gerne mal auf deinen Thread antworten, obschon ich nur bedingt sinnvoll auf deine Fragen eingehen kann, da ich zwangsläufig eine etwas „weltliche“ Sichtweise habe.

Zitat von
Plueschmors
Wie empfindet Ihr die von vielen Christen doch recht schmerzhaft empfundene Zertrennung unter den Christen?
Um die Antwort vorweg zu nehmen.... nun, ich fühle mich aus naheliegenden Gründen davon nicht betroffen. Und es überrascht mich nicht. Gleichwohl finde ich darf man auch auf den Umstand schauen, dass die großen Gemeinschaften der Christen immer wieder auch eine Ebene des gemeinsamen Dialoges finden.

Zitat von
Plueschmors
Warum herrscht diese Unklarheit? Wie kann es sein, daß Christen sogar völlig gegensätzlicher Meinung sind?
Die Antwort auf diese Frage scheint mir offensichtlich. Denn Menschen unterscheiden sich nun mal, haben unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche Werte, unterschiedliche kulturelle Prägungen, unterschiedliches Wissen und unterschiedliche sprachliche Ausdrucks- und Denkmuster.
Damit will ich nicht sagen, dass im Verstehen der Schrift nicht auch im Großen und Ganzen eine gewisse Einigkeit möglich wäre. Aber es erfordert meiner Meinung nach ein umfangreiches Wissen, um ein Buch, das in einer uns sehr fremden Zeit und Kultur geschrieben wurde, richtig und in seinem Kontext zu verstehen.

Zitat von
Plueschmors
Sind die Worte der Bibel entweder nicht klar genug?
Meine persönliche Meinung? Nicht so klar, wie manche Christen manchmal zu glauben meinen. Keiner würde beispielsweise erwarten, dass der deutsche Ausdruck „etwas auf die lange Bank schieben“ wörtlich in die Muttersprache eines anderen übersetzt von diesem richtig verstanden wird, wenn er denn die Aussage wörtlich zu verstehen versucht. Und wo die meisten heute beim Lesen von Geboten wie „macht euch die Welt untertan“ am ehesten ein kulturgeschichtlich geprägtes Verständnis von „Untertan machen“ im Kontext der absolutistischen Monarchie haben, darf nicht ignoriert werden, dass frühere Kulturen hier ganz andere Vorstellungen von Herrschaft gehabt haben, die z.B. in der Wahrung der kosmischen Ordnung die wesentliche Aufgabe des Herrschers sahen. Davon also zu sprechen, dass die Worte der Bibel „klar“ sind, scheint mir in Anbetracht der Vielzahl an für das Verständnis zu berücksichtigenden Faktoren bei kultur- und zeitgeschichtlich fremden Texten vorsichtig formuliert etwas sehr optimistisch.
Nun wird von vielen, gerade auch von den im Internet vertretenen Christen gerne der Heilige Geist als Garant für das rechte Verständnis angeführt, der die individuellen Unterschied des Menschen sozusagen vernachlässigbar macht. Nun, dies ist eine theologische Lehrmeinung, zu der ich mir kein Urteil erlauben will. Aber die Realität selbst bescheinigt die Tatsache, dass es so leicht möglicherweise nicht ist – es sei denn man spreche eben allen nicht gleichgeschalteten Christen echte Jesunachfolge ab.
Für den Christen steht es außer Frage, dass in der Schrift der Geist Gottes wirkt. Aber auch hier hängt vieles davon ab, ob ich die Schrift als ein Buch verstehe, eben in dem der Geist Gottes wirkt, oder als ein Buch, aus dem heraus der Geist Gottes wirkt. Ob es mich bereichert und auf dem Weg zu tieferen Erkenntnissen in bestimmte Richtungen anleitet und zu bestimmten Gedanken führt, oder ob es mich gleich einem Gesetz zur wörtlichen Befolgung all des geschriebenen verpflichtet.
Aber gerade mit Blick auf die Eskalation im Thema zum Fundamentsalisums, möchte ich hier einen Gedanken auch noch einmal aufgreifen. Ich finde es auch bedenklich, wie der Heilige Geist im fundamentalistischen Verständnis oftmals verwendet wird. Denn ohne den Heiligen Geist gelesen ist die Schrift wertlos, weil sie dem „Weltmenschen“ verschlossen bleibt. Wenn nun aber nicht der unvollkommene Mensch in seiner individuellen, unvollkommenen und damit zur Einsicht in die Vollkommenheit unfähigen Natur, sondern vielmehr allein der in ihm wirkende Heilige Geist die eigentliche Erkenntnis der Wahrheit bringt, und wenn in der Schrift der Wille Gottes niedergeschrieben ist, aber erst der Heilige Geist eben diesen Text richtig verstehen lässt stellt sich mir die Frage, wozu es dann noch eines so unvollkommenen Mediums wie das eines Buches bedarf. Denn wenn der Heilige Geist also eigentliches Medium in der Vermittlung von Gottes Willen ist, dann braucht es die Schrift nicht.
Wie dem auch sei, in meinen Augen liegt hier (wenn auch nicht immer) ein eher esoterisches Denken vor, eine esoterisch-individuelle Verfügbarmachung der alleinigen Wahrheit der Bibel durch allein den Heiligen Geist bei gleichzeitiger Immunisierung gegen jedwede Möglichkeit zur Kritik. Insofern erscheint auch mir das fundamentalistisches Konzept in seiner Entstehung im Wesentlichen durch Angst und Abgrenzung bzw. die in der Abgrenzung einschränkende Verfügbarmachung und damit Vermeidung von Kritik bestimmt zu sein. Er ist damit in einer Zeit der Aufklärung und der zunehmenden Komplexität von Gedanken und Denkprozessen im Bemühen um erkenntnistheoretische Fragestellungen eine Alternative, die gerade für Menschen mit eigeschränktem Zugang an Bildung einen großen Reiz hatte, aber vielleicht auch eine gewisse Notwendigkeit darstellte.
Aber spätestens wenn ich die Frage

Zitat von
Plueschmors
Führt der Heilige Geist die Gläubigen individuell?
für mich mit Ja beantworte, muss ich dann aber auch die Möglichkeit annehmen, dass eine fundamentalistische Denkart für manche Menschen eben eine zeitweilige Antwort darstellt – sei es (um nur ein paar Beispiele zu nennen) um Glaubenszweifeln zu begegnen, sei es um in erlebtem Leid einen Sinn zu finden oder eine wie auch immer geartete Krise zu bewältigen. Wo nun Fundamentalismus gefährlich ist, da mag es wünschenswert sein dem anderen die Augen zu öffnen, aber auch das kann nur in Wertschätzung gelingen. Das nur um nochmal zum Nachdenken über den teils doch etwas feindseligen Ton gegenüber dem fundamentalistischen Glauben anzuregen.
Ich jedenfalls bin der Meinung, dass jede Gottesbeziehung etwas individuelles ist. Und unser Umgang mit Gott nicht nur durch IHN, sondern immer auch mit bestimmt ist von der Art, wie wir IHM begegnen können. Mag auch in Gott uns vielleicht ein Ziel vereinen, und mag es auch nur eine Richtung dorthin geben, so denke ich doch, dass ein jeder von uns auf seinem ganz persönlichen Weg geführt wird. Aber das ist nur meine Meinung.
Liebe Grüße
Kaspar
Geändert von Lior (19.12.2014 um 12:39 Uhr)
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
Lesezeichen