Doch es gab immer auch Männer, die als Frauen lebten. In vorgeschichtlicher Zeit etwa, als die Dominanz des weiblichen Prinzips außer Frage stand und eine weibliche Gottheit, die Magna Mater, als Urmutter aller Gottheiten verehrt wurde, versuchten Männer im Rahmen religiöser Riten an der Fruchtbarkeit, dem Wissen und der Macht der Frauen teilzuhaben. Sie imitierten den Menstruationsvorgang durch rituelle Kastrationen (die Bedeutung des Spermas war noch unbekannt; als einzige Substanz, die Leben übertragen konnte, galt Blut, insbesondere Menstruationsblut), sie ahmten den Geburtsvorgang nach (Couvade) und trugen weibliche Kleidung. Noch im Römischen Reich geriet der Kybele-Kult vor allem durch die in Frauenkleidern auftretenden Weibmann-Priester zu einem orgiastischen Spektakel: Im Rahmen ekstatischer Zeremonien entmannten sich die Priester-Novizen - und mit ihnen viele Gefolgsleute - dabei selber, warfen ihre Genitalien auf den Umzügen in die Häuser, deren Besitzer sie daraufhin mit weiblicher Kleidung ausstatten mussten.
Religiöse Feste waren nicht selten rituelle Veran-staltungen, zu denen Männer in Frauenkleidern erschienen, wie der Dionysos- und der Herakles-Kult in Athen und Rom, die speziell auf die Oberschicht bezogen waren. Spätere Kaiser wie Heliogabal und Caligula zeigten sich auch ohne feierlichen Anlass in Frauenkleidern. Nero heiratete zweimal einen Mann; einmal, so sagt man, trug er selbst das Brautkleid. Auch Lustknaben kleideten sich häufig als Frau.
Mit dem Aufkommen monotheistischer Religionen wie dem Christentum, dem Judentum und dem Islam, die die Dominanz des männlichen und die absolute Minderwertigkeit des weiblichen Prinzips festschrieben, wurde die Rolle der Frau nachhaltig diskreditiert. Frauenkleider trugen Männer jetzt allenfalls noch als Tarnung auf der Flucht. Oder auf der Bühne: In der Oper wurden weibliche Gesangspartien bis ins 18. Jahrhundert von Knaben und Kastraten übernommen, und auch im Theater stellten fast ausschließlich Männer die Frauenrollen dar; Frauen war eine solche Betätigung kirchlich verboten. Einer der wenigen Männer, die lebenslang Geschichte als Frau schrieben, war Charles G. L. Thimothée d' Eon de Beaumont. Er reiste 1755 als Geheimagent Ludwigs XV. zum russischen Hof, wo er in elegantester Damentoilette als Nichte des französischen Diplomaten Douglas Aufse-hen erregte und wichtige politische Informationen zusammentrug. In Rekordzeit ritt er - wieder Mann - zurück nach Versailles, um die Neuigkeiten zu überbringen. Im Anschluss an diese Mission spionierte er in England. Da er abwechselnd als Mann oder Frau erschien, wussten zuletzt seine engsten Freunde nicht mehr, welches Geschlecht er eigentlich besaß. 1770 gab es in London offizielle Wettbüros darüber, ob er ein Mann oder eine Frau sei.
http://www.das-parlament.de/2004/46/Thema/015.html
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