Wann begann es?
Eine „kleine“ Ausarbeitung in mehreren Teilen zu den schriftlichen Anfängen der sog. Urgemeinde.
Einleitung
Es war der umstrittene Theologe Bultmann, der als Fazit seiner Forschungen zur Urgemeinde Feststellte: Es gab zwei Bewegungen – a das Kerygma der Urgemeinde in Jerusalem und - b das Kerygma der hellenistischen Gemeinde (Bultmann Das Ur-Christentum). Es ging damals ein kleiner Aufschrei durch gängige Theologenstuben und Kirchenpredigten, denn man verstand die Urgemeinde als eine Einheit, ein Herz und eine Seele, gleich wohl auch anderen Theologen gerade die Spannungsfelder in der Apg. und den Paulusbriefen schon aufgefallen waren.
Bultmann`s Theorie bekam gerade durch die Qumranforschung einen neuen Auftrieb, denn zwei Beobachtungen wurden besonders deutlich bei der Sichtung der Texte – und hier explizit im Vergleich zum N.T..
1. Die Berührungspunkte zu den drei Synoptikern, zur Apg. und Jakobus sind erstaunlich gering, gleich wohl dieses Schriftgut sich am meisten mit der Lebenswelt Jesu und der Jerusalemer Urgemeinde auseinandersetzt. Zugleich entstammt dieses Schriftgut auch literarisch und teilweise geographisch der näheren Umgebung des Wirkungsfeldes der Urgemeinde. Hier erwartete man deutliche Bezugspunkte und auch theologische Einflüsse von den Essenern, die, wie die heutige Forschung klar belegen kann, ein unglaublich großes Einflußgebiet (von Damaskus bis nach Alexandria) innehatten. Das Fazit ist nüchtern und es zeigt sich, dass gerade in den Q Quellen der Synoptiker kaum Bezug zu essenischen Lehrgut besteht. Wohl greift Jesu Lehrgut mehrfach dessen Theologien an, ohne diese im Wesentlichen ausgiebig darzustellen (Ausnahmen sind hier die Racheworte, Selbstdarstellung, Torapflicht, etc die in ihrer Theologie essenischen Ursprungs sind), doch im wesentlichen bleiben die Bezugsquellen für Jesu Lehrgut die rabbinischen Quellen seiner Zeitgenossen.
2. Ganz anders ist die Sachlage bei dem Johannesschriftgut und noch klarer bei der Paulusbriefliteratur. Bultmann der in seiner Analyse ebenso hier die Bezugspunkte angesiedelt sah und vornehmlich den Philonischen Einfluss beobachtete, bezog sich insbesondere auf die Apg. und Paulusbriefe die in ihrer Unterschicht bereits die tiefen Zerwürfnisse dieser beiden Gruppen andeuten. Diesen Sachverhalt bestätigen die Qumranschriften deutlich, denn was wir in besagtem Literaturgut an theologischen Anlehnungen zu den Essenern finden ist fundamental. Angefangen bei der Opfertheologie, dem Taufverständnis, bis hin zum Dualismus von Gut und Böse und der Prädestinationslehre, etc. Schon den Kirchenvätern war früh aufgefallen wie nahe sich philonischer Einfluß und N.T. (Johannesschriftgut und Paulus) standen, bis hin das Philo als 1. Christ bezeichnet wurde. Klar war der Forschung auch, dass Philo sehr nahe dem Essenertum stand, doch klar war eben nicht, wie nahe die Essener Philo standen, da man nur Zitate von Zitaten kannte, bis eben die Schriften der Essener zum Vorschein kamen. Klar darf man sagen Philo war kein Essener, aber ein Bewunderer dieser und klar kann man auch sagen, die Essener waren keine Philonisten, doch große Bewunderer seiner Lehren. Hier muß man also von Wechselwirkungen sprechen. Besonders die Logostheologie des Philo fand nicht nur bei den Essenern seinen theologischen Widerhall, auch im hellenistischen Schriftgut de N.T. wird dieser Ansatz zur tragenden Rolle der Theologie. Noch deutlicher wird dies an der Prädestinationslehre, die ihren Ursprung in Alexandrien hatte und bereits aus altägyptischen Theologien bekannt war (z.B. der Pharaonenkult liegt dieser Lehre zu Grunde).
Die Auswertung des Schriftgutes von Qumran und der Vergleich dieses zum neutestamentlichen Lehrgut warf zuerst die Frage auf, wie kam es dazu, dass der Einfluß der Essener besonders auf das Schriftgut zutraf, welches fern ab von der Urgemeinde entstand. Deutlich zeigt die Qumranforschung auf, dass die Essener weit über die Grenzen Israels agierten und ihr Handlungsspielraum bis nach Rom reichte. In der Diaspora waren sie ebenso organisiert, wie im Kernland Israels. Ihre Verbreitung beschränkte sich jedoch im Wesentlichen auf die asiatischen (Türkei, Syrien, Jordanien) und nordafrikanischen (Ägypten) Gebiete. Doch genau damit lagen die Essener im geistigen Hauptzentrum des Hellenismus, der insbesondere in Alexandrien als Kulturweltstadt sein eigentliches Zentrum hatte. Die Wiege der hellenistischen Urgemeinde lag genau in diesem Einflussbereich. Es verwundert nicht, dass die erste große christliche Kirche (zahlenmäßig) nicht in Rom oder Griechenland entstand, sondern in Alexandrien.
Einen zweiten Fragenkomplex betreffen die Jochananjünger, die nach dem Tod des Jochanan eine zahlenmäßig starke Gemeinschaft bildeten und in Konkurrenz zur Jerusalemer Urgemeinschaft und den Essener (in tiefer Feindschaft) standen und ebenso in diesem Gebieten agierten. Die theologischen Gemeinsamkeiten zwischen dieser Gruppe und den Essenern sind unübersehbar und geradezu auffällig. Ihre tiefe Feindschaft begründet sich im Wesentlichen in einem Punkt – dem Obrigkeitsgehorsam, der von dieser Gruppe – ähnlich der Jerusalemer Urgemeinde klar verneint wurde (Torarecht geht vor Staatsrecht). Ein zweiter Streitpunkt war die Prädestinationslehre, die sich allein schon aus den Aussagen des Jochanan nicht miteinander vereinbaren ließen. Historisch verschwindet diese Gemeinschaft ab dem 200 Jahrhundert aus dem Blickwinkel der Geschichte. Ihr Einfluß wirkt jedoch im N.T. nach – bis hin zu bekannten Berührungspunkten. Inwieweit diese Gemeinschaft Einfluß auf die wachsende hellenistische Christgemeinde ausübte ist sehr stark umstritten und kann nach heutigem Stand der Erkenntnisse nicht gänzlich rekonstruiert werden. Was man jedoch sagen kann ist, dass Teile dieser Gruppe sich schon früh den hellenistischen Gemeinden anschlossen. Ein Grund dafür mag sein, dass die Jochananjüngerschaft auf Grund ihrer Militanz gegenüber Rom und den Herrschaftsverhältnissen in Israel eine geächtete Gruppe war, die spätestens nach 70 (Tempelzerstörung) ihren Einfluß verlor. Damit teilte sie in ähnlicher Weise das Schicksal der Jerusalemer Urgemeinschaft.
Zumindest wissen wir, dass Paulus um diese Gruppen weiß und ihren Einfluß durch Gegenmission zu bekämpfen sucht.
Trotz langwieriger redaktioneller Arbeit an der neutestamentlichen Literatur über 400 Jahre kann die Textforschung heute drei ganz wesentliche Einflußqullen auf dieses Schriftgut benennen. Dies wird möglich, weil auf Grund der überaus zahlreichen antiken Quellschriften ein Vergleichschriftgut vorhanden ist (Gegenüberstellung von Zitaten, Geschichten, Theologien, etc). Wie schon angeführt findet sich ein großer Teil, bezogen auf die Synoptiker, Apg. und Jakobusbrief im rabbinischen Schriftgut (Talmud, etc). Ein zweiter und hier bei weitem der größte Teil findet sich im Qumranschriftgut, was wiederum auf die Synoptiker im geringen Maße, deutlich mehr jedoch auf das Paulusschriftgut, Johannesschriftgut, Hebräerbrief im höchsten Maße und die sog. kath. Briefe zutreffen. Der dritte Einfluß ist deutlich belegbar im sog. Philoschriftgut, der besonders bei den Johannesschriften – bis hin zu wörtlichen Zitaten ( z.B. Logosprolog) -, bei Paulus und den kath. Briefen zum tragen kommt.
Dass darüber hinaus auch rabbinische Einflüsse bei Paulus und den anderem Schriftgut gibt ist gut von der Textforschung belegt, allerdings ist die Seltenheit solcher Anlehnungen recht auffällig, wenn man sich dazu die Synoptiker als Vergleich hinzuzieht. Man könnte noch eine vierte Gruppe benennen, dessen Einfluß jedoch nicht vor 120 n.Chr. stattfand und deren Wirkungsweise auf das N.T. noch sehr viele Fragen offen lässt. Es sind die sog. Mithrasanhänger, die schon früh in Konkurrenz zum Frühchristentum standen und theologisch äußerst ähnliche Auffassungen vertraten. Dass es erhebliche Wechselwirkungen zueinander gab ist bereits im N.T. (Magnus, Magoi) belegt und historisch nachvollziehbar (ganz besonders in der Missionsgestaltung, Kultsymbole, Kultriten, etc). Das dieser Kult, der später als römischer Staatskult zum Sol Invictus wurde, ist eine historisch Tatsache und dass das Christentum diesen Kult als Staatskult - vorerst nebeneinander (zwei Staatskulte ca. 100 Jahre) ablöste und in sich integrierte ist ebenso ein historisch belegbarer Fakt. Unklar ist jedoch, auf Grund der Spärlichkeit überlieferter eigener Religionsliteratur (die Kirche hat so ziemlich alles vernichtet, was dieser Kult an Schriftgut hatte, bis hin zu Grabschändungen, Tempelverwüstungen und Reliefzerstörungen), wie in der Frühzeit der Urgemeinschaft dieser Kult theologische Fragen vertrat. Wohl können Historiker und Religionswissenschaftler aus Zitaten und Erzählungen antiker Geschichtsautoren sehr viel aus dem Lehrgut dieser Religion entnehmen und auch die Archäologie hat in den letzten 100 Jahren erstaunliche Kulturgüter zu Tage gefördert, doch eine komplexe und umfassende Darstellung inhaltlicher Theologischer Aussagen ist nur in Teilgebieten möglich. Anders sieht die Sachlage auf dem Sektor der Kultgestaltung, Kultausübung und Kulthandlungen aus, hier kann eine verlässliche, komplexe und umfassende Rekonstruktion getätigt werden. Die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu christlichen Praktiken sind sehr klar und deutlich belegbar.
Doch stellen wir uns nun einmal ganz konkret den Quellen der Essener, ihren Theologischen Ansichten und vergleichen diese mit dem Schriftgut des N.T. Der erste Themenkomplex wird sich der überaus wichtigen Dualismuslehre stellen, die besonders vom Paulus- und dem Johannesschriftgut vertreten wird.
Es folgt Teil 2 / Der Dualismus im N.T.
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