Lieber NetKrel,
ich freue mich, dass du meinen Ausführungen etwas abgewinnen konntest. Um vorab deinem Interesse entgegenzukommen… der Autor den man mir empfohlen hat heißt Patrick Spät, sein Buch trägt den Titel „Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein“. Ich habe gestern mal kurz in unserer Bibliothek vorbei geschaut und einen Blick hinein geworfen und kann zumindest meinem ersten Eindruck nach bestätigen, dass er sehr viel einfacher zu lesen ist als die komplexe, eher für Philosophen und den fachbezogenen Diskurs geschriebene Literatur anderer Vertreter.
Lass mich bitte nur noch auf einen Punkt hinweisen, der durch meine unglückliche Formulierung wie mir scheint „falsch rübergekommen ist“. Denn als ich davon geschrieben habe, dass Gott „entstehen würde“, war dies nicht so zu verstehen, dass am Anfang die Materie war und aus ihrem Zusammenspiel Gott entstand. Materielle Eigenschaften und geistige Eigenschaften sind immer schon gleichzeitig gewesen. D.h. in einem auf ein religiöses Denkkonstrukt übertragenen Panpsychismus stünde Gott z.B. wie du richtig beschrieben hast am Anfang, ist Ursprung und Urgrund allen Seins. Er ist nicht erst entstanden, er wäre erste Ursache, allumfassend. In einem vereinfachten Bild gesprochen wäre – wenn man an den Urknall als wissenschaftliches Entstehungsmodell denken mag – im Moment der Schöpfung Gott zugleich geistig als auch materiell in nur einem Punkt verdichtet. Und während nun die Materie expandiert und unsere materielle Wirklichkeit erschaffen hat, ist und bleibt Gott in der Gesamtheit der geistigen Eigenschaften unverändertes Bewusstsein, das zugleich mit allen geistigen Strukturen (und damit auch uns) verbunden ist, die aus dem Zusammenwirken der nun differenzierten Materie entstanden ist. Oder im Versuch mich erneut mit einem Bild zu behelfen (und bitte immer daran denken, dass dies immer noch eine extreme Vereinfachung darstellt) wenn wir auf die rein Materie schauen, dann war diese am Anfang auf nur einen Punkt verdichtet. Dann entstand mit dem Urknall unsere physikalische Welt – Materie breitete sich aus, schuf komplexe Formen bis hin über Milliarden Jahre unser Universum entstand wie wir es heute kennen und in dem unter anderem dein und mein Körper eine physikalische Erscheinung darstellt. Zugleich aber besteht alles nur aus denselben Bausteinen und Elementarteilchen. D.h. wir bzw. unsere Körper sind Manifestationen die dadurch charakterisiert sind, dass sich innerhalb dieses „Ozeans an Materieteilchen“ eine bestimmte „Ballung“ entstanden ist. Ähnlich verhält es sich nun mit dem Geist, der immer eben schon als der Materie innewohnende geistige Qualität gedacht wird. Durch die „Ballung“ entstehen also nicht nur physikalische Körper sondern auch Komplexe „geistige Strukturen“ (wobei geistig hier nicht zwingend denkend meint, sondern einfach nur bei einem Tisch die Idee des Tisches sein kann). In unserem Fall ist es all das was wir „Ich“ oder „Bewusstsein“ nennen. Und obschon wir uns als „abgeschlossenes System“ empfinden, sind wir dieser Interpretation zufolge doch zugleich immer in Gott ruhend und aus ihm hervortretend, da auch unser Geist in Äquivalenz zum „Ozean der Materieteilchen“ nur aus dem „Ozean allen Geistigen“, religiös gedeutet eben Gott hervorgeht. Wir sind also immer zugleich mit Gott verbunden als auch von ihm getrennt – aber eben nicht nur in Geist während der materielle Körper irgendwie…. Naja…. Eigentlich unnötig ist, sondern immer in der Einheit von Materie als Träger physischer und psychischer Eigenschaften. Ist halbwegs verständlich was ich meine?
Hier könnte ich auch deiner Wahrnehmung nicht folgen Digido, weshalb Geist und Materie sich diametral entgegengesetzt verstanden werden muss. Mal ganz von den entsprechend entstehenden und in der Philosophie des Geistes diskutierten Probleme. Aber mir ist offen gesagt auch nicht ganz klar, ob du nun einen Interaktionistischen Substanzdualismus, einen nichtinteraktionistischen Substanzdualismus oder etwas ganz anderes denken würdest.
Dennoch, auch kurz noch zu deiner Frage, wie Reinkarnation bzw. ein Weiterleben nach dem Tod möglich sein sollte, wenn doch der Körper zerfällt. Vorab zur Reinkarnation – wenn ich davon spreche, dass ich sie prinzipiell für möglich halte, dann hat dies zwei Ursachen. Erstens weil ich mir bewusst bin, dass ich als Mensch immer unvollkommen in meinem Wissen und meiner Erkenntnis bin und niemals anders sein kann. Entsprechend kann ich mich irren. Zweitens bestünde in meinem persönlichen Denken rein theoretisch die Möglichkeit, dass sich durch einen unglaublichen Zufall eben jene elementaren Teilchen meines Wesens wieder zusammenfinden und eine entsprechend vergleichbare geistige Entität schaffen. Vielleicht reicht dazu auch nur ein Anteiliges Zusammenkommen, ich weiß es nicht. Deshalb halte ich das eben zwar für theoretisch möglich aber für sehr unwahrscheinlich.
Die andere Frage ist nun, wie der Mensch nach dem Tod weiterleben kann. Was eine gute Frage ist. Denn du hast recht, auf den ersten Blick könnte man meinen, mit dem Zerfall des Körpers geht auch der Zerfall der geistigen Repräsentation einher. Aber lass mich meine Antwort an einem Beispiel erklären. Wenn ich meinen Tisch hier vor mir zerlege, ihn zersäge und schließlich zu Sägespäne verarbeiten, dann würde ein neu hinzugekommener Mensch diesen Sack voll Späne wohl kaum als Tisch erkennen, ja. Ich hingegen weiß um die Herkunft der Späne. Sehe ich den Sack, erinnere ich mich und damit ist zugleich auch die geistige Repräsentation des Tisches in meinem Bewusstsein, bleibt die geistige Form bzw. Idee erhalten. Wenn wir nun aber allezeit in Gott ruhen und nur aus ihm heraus entstehen, so sind wir in dessen Bewusstsein immer auch präsent. Und auch wenn unsere Körper nach dem Tod vergehen und sich seine physikalischen Eigenschaften ändern, ja selbst wenn sich aus seinen elementaren Eigenschaften neues formt und mit diesem Neuen auch neue geistige Komplexe, so lebt doch mein geistiges Wesen, sozusagen meine Seele als geistige Repräsentation im Bewusstsein Gottes weiter. Präziser formuliert lebt meine Seele ausschließlich aus und durch Gott. Ich gebe aber zu, ohne sich jetzt in einer ausschweifende und Seiten füllende Ausdifferenzierung zu verlieren mag dieses Konzept sehr abstrakt klingen – da ich aber nicht darauf aus bin zu verkünden sei mir dies hoffentlich verziehen.^^
AH, und in einem kleinen PS. Zu deiner Bemerkung bezüglich der Berücksichtigung der Quantenmechanik und neueren Physik NetKrel… also ich kann natürlich nicht abschätzen was für ein Verständnis der Quantenphysik du genau hast. Ich bin da mittlerweile etwas vorsichtig, weil gerade in der New-Age Literatur (der du dich wenn ich es richtig verstanden habe ja verbunden fühlst) oft ein Verständnis vermittelt wird, dass teilweise erheblich vom wissenschaftlichen Verständnis abweicht und aufgrund von Bedeutungsverschiebung bzw. dem Versuch der Integration in eine holistische Weltdeutung zumindest ungenau ist. Aber um auf deine Bemerkung einzugehen, dass die Materie ja aus etwas „immateriellen“ besteht. Du musst aufpassen, dass du hier nicht zwei unterschiedliche Begriffsverwendungen miteinander vermischst. Der Begriff Materie und materiell meint in der Physik etwas anderes als in der Philosophie. Im Kontext des Materialismus umfasst „materiell“ eben nicht nur „grobstoffliche“ Materie sondern auch z.B. Energie. Es ist also nicht so, dass Energie in dieser Diskussion etwas immaterielles oder gar „Geistiges“ wäre.
Zudem würde ich nicht sagen, dass der Panpsychismus als Eigenschaftsdualismus die letzten hundert Jahre Physik ausblendet, ganz im Gegenteil. Diese und gerade auch die Quantenphysik wird in das Konzept integriert und auch als Argument gegen den Materialismus oder einen Substanzdualismus mit angeführt. Aber da würde ich dir wie gesagt die weiterführende Literatur empfehlen, da ich mir auch nicht sicher bin, was für ein Verständnis der Quantenphysik oder was für Einblicke in die Philosophie des Geistes du hast und ob es dir nun etwas bringt wenn ich anfange Begriffen wie Supervenienz, Superdupervenienz, mentaler Verursachung oder Qualia anzuführen.
So… für den Moment muss das reichen, denn ich steuere auf eine sehr arbeitsintensive Woche zu und eigentlich war deine Vorgabe NetKrel auch nur zwei Sätze zu gebrauchen.^^ Aber wenn ich etwas unklar formuliert habe, dann haben wir vielleicht nächste Woche Gelegenheit und darüber nochmal auszutauschen.
Für den Moment wünsche ich euch noch einen guten Start in die Woche zusammen.
Viele Grüße
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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