Im "Hagar, Sarah und der Paulus Thread", der insgesamt ja etwas holprig war, kam zum Schluss die Frage auf (von Leuchte), wie man Gott denn überhaupt erkennen könne, woraufhin ich mit einem Artikel zur Philosophie Meister Eckharts antwortete und dann gebeten wurde (von dispicio) dies genauer zu erklären, was ich dann wieder anhand des Artikels versuchte, womit aber weder dispicio, noch Leuchte sonderlich glücklich waren und der Eine (dispicio) um persönlichere Erläuterung bat während der Andere (Leuchte) seinen Einwurf einbrachte, dass man keinen Eckhart bräuchte, wo Jesus doch schon alles gesagt habe.
Unser tapferer Snoopy hat dann vorläufig der Verwirrung ein Ende bereitet und um die Eröffnung eines neuen Threads gebeten, falls Interesse bestehe die Diskussion weiterzuführen und voilá, da is' er ja!

Da Jesus ja sehr gerne in Gleichnissen gesprochen hat und die dadurch entstehende Bilderwelt gar unterschiedlichste Assoziationen in den Köpfen und Herzen der Menschen hervorzurufen vermag, kommt es in interessierten Kreisen mit schöner Regelmäßigkeit zu Diskussionen, wie der gute Jesus dieses oder jenes denn nun eigentlich genau gemeint haben könnte.
Mal ganz davon abgesehen, ob es überhaupt DIE richtige Deutung seiner Worte gibt, war ich neulich doch sehr erstaunt, als ich einen Thread in einem "Nachbarforum" las, bei dem es um das Thema "Kreuz auf sich nehmen" ging und die dort versammelte Gemeinschaft nur niederdrückende, deprimierende, ja fast masochistische Assoziationen zum Thema hatte (bei Interesse hier der Link zu diesem Thread): http://www.glaube.com/forum.html?tx_mmforum_pi1[action]=list_post&tx_mmforum_pi1[tid]=6300&tx_mmforum_pi1[page]=1

Deshalb fühlte sich das Provisorium herausgefordert, seine individuelle Sicht der Dinge zum Besten zu geben, was dort schlichtweg ignoriert wurde, mir hier aber die wunderbare Möglichkeit eröffnet, in persönlicher Ausführung, auf Grundlage der Philosophie Meister Eckharts, ein Gleichnis Jesu zu beleuchten, womit ich hoffe, den Wünschen und Anregungen von dispicio, Leuchte und Snoopy nachkommen zu können!

Zunächst das Gleichnis:

Lukas 14,25: Es gingen aber große Volksmengen mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: 26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und die Mutter und die Frau und die Kinder und die Brüder und die Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben / seine eigene Seele, so kann er nicht mein Jünger sein; 27 und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachkommt, kann nicht mein Jünger sein. 28 Denn wer unter euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht vorher hin und berechnet die Kosten, ob er das Nötige zur Ausführung habe? 29 Damit nicht etwa, wenn er den Grund gelegt hat und nicht vollenden kann, alle, die es sehen, anfangen, ihn zu verspotten, 30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und konnte nicht vollenden. 31 Oder welcher König, der auszieht, um sich mit einem anderen König in Krieg einzulassen, setzt sich nicht vorher hin und ratschlagt, ob er imstande sei, dem mit zehntausend entgegenzutreten, der gegen ihn mit zwanzigtausend anrückt? 32 Wenn aber nicht, so sendet er, während er noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um die Friedensbedingungen. 33 So kann nun keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein.

Wer keine Lust hat den kompletten Thread im "Nachbarforum" zu lesen (lohnt eigentlich auch nicht wirklich;-)), soll an dieser Stelle wissen, worin so ungefähr die Interpretaion der Mitdiskutierenden gipfelte. "Wir müssen lernen Kummer zu lieben, Armut, Schmerz, Bedrängnis" war da zu hören...
Sancta Simplicitas, da stellten sich dem Provisorium aber wirklich sämtliche Nackenhaare und obwohl ich dort eigentlich nie poste (da herrschen schlimme Umgangsformen, mit Höllenandrohungen und ähnlichem) , raffte ich mich auf und legte das Gleichniss in provisorischer Art aus, was ich euch nun nicht länger vorenthalten möchte:

Zu diesen Versen möchte ich gerne auch etwas sagen.
Meine persönliche Interpretation dieser Worte ist sicher etwas anders als die, die ich bisher hier las, aber sie entspringt meines Herzens, ohne jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Verabsolutierung.

Jesus hat uns das Gebot der Nächstenliebe gegeben und zum Zentrum seiner Lehre gemacht. Wir sollen den Nächsten lieben wie uns selbst und da klingt es doch zunächst sehr verwunderlich, wenn es in Vers 26 heißt, dass wir nicht nur uns selbst, sondern auch unsere "Allernächsten", also die Familie, hassen sollen. Hebt Jesus hier etwa sein zentrales Gebot der Nächstenliebe auf, führt er es durch diese Worte nicht sogar ad absurdum?

Wir sollen unser Kreuz tragen, sagt er. Und wer es nicht trägt und ihm nachkommt, kann nicht sein Jünger sein. Spricht er damit tatsächlich all die kleinen und großen Beschwernisse des Lebens an, all die dunklen Täler, durch die zu gehen uns so sehr fürchtet?

Als Jesus sein Kreuz trug, da war ihm bewusst, dass er sehr bald wird sterben müssen. Er war durch das Kreuz direkt konfrontiert mit dem Tod. Ich interpretiere deshalb die Aufforderung "sein Kreuz zu tragen", als direkten Hinweis auf den eigenen Tod, auf unsere Vergänglichkeit.

Aber nicht in dem Sinne, dass Jesus uns hier ängstigen wolle, vielmehr fordert er uns auf, uns bewusst und gezielt mit unserer geschaffenen und vergänglichen Kreatürlichkeit auseinanderzusetzen, sie bewusst anzunehmen und das Leben vom Tod her zu verstehen, den Blickwinkel, die Perspektive einmal umzudrehen.

Nichts ist so sicher wie der Tod und wenn er kommt, dann können wir nichts mitnehmen. Nackt sind wir gekommen und nackt müssen wir gehen. Wir werden wieder zu dem Staub, aus dem wir einst geschaffen wurden. Wir müssen alles dalassen. Wir müssen uns selbst lassen...

Ich glaube das ist es, was Jesus uns vermitteln wollte. Er fordert uns auf, ganz bewusst alle Dinge, ja uns selbst zu lassen, um dadurch Gelassenheit zu erlangen. Wenn wir täglich unser Kreuz auf uns nehmen, dann lassen wir ganz bewusst von allem Kreatürlichen und Geschaffenen ab, so wie wir es einst tun müssen, wenn wir sterben.

Dieses Lassen betrifft auch unsere fundamentalsten Verbindungen, eben z.B. auch die Familie, die Jesus in Vers 26 ansprach. Aus Vater und Mutter wurden wir einst geboren, wuchsen auf und entwickelten uns gemeinsam und in Gemeinschaft mit unseren Brüdern und Schwestern, traten in der weiteren Entwicklung bewusst in Verbindung mit Frau (Mann) und Kind.

Wenn wir dann einst sterben werden, müssen wir all diese Verbindungen lösen. Wir müssen Abschied nehmen und werden abgeschieden sein. Ich glaube das ist es, worauf uns Jesus hinweisen will. Er möchte, dass wir einen Perspektivwechsel vornehmen und mit aller Bewusstheit dieses Lassen einüben, weil es sich Angesichts des Todes und unserer Sterblichkeit mit Sicherheit vollziehen wird.

Hierdurch rückt dann auch gleichzeitig das Gebot der Liebe wieder in den Mittelpunkt. Wir sollen unsere Familie nicht hassen, wir sollen uns selbst nicht hassen, nicht Ausschau halten nach all dem Hassenswerten in uns, sondern wir sollen aus der Perspektive des Todes heraus auch unsere fundamentalsten Verbindungen lösen lernen, täglich neu lernen Abschied zu nehmen, von dem ich einst ohnehin werde Abschied nehmen müssen und uns in der Abgeschiedenheit (dem Gebet) auf den Abschied, das Lassen, vorbereiten.

Deshalb erwähnt er dann auch noch den Bau des Turmes und den in den Krieg ziehenden König als bildhafte Beispiele für das Vorbereitetsein und die Verheißung auf Frieden.

Vers 33: "So kann nun keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein." Das heißt, erst wenn Du lernst alles zu lassen und dieses ganz bewusst, jeden Tag aufs Neue tust (d.h. sein Kreuz auf sich nehmen), wirst Du es tun, wie es auch Jesus getan hat, der täglich seinen Tod vor Augen hatte, weil er wusste, dass er dann erst wird sagen können: "Es ist vollbracht".

Ihr seht, ich kann in diesen wunderschönen Worten Jesu nur liebevollste, gar zärtliche und ausgesprochen mutmachende Bilder und Glaubensrichtlinien erkennen. Denn ich weiß, er hat den Tod überwunden. Deshalb bin ich dazu befreit (und aufgefordert) mein Leben vom Tod her begreifen zu dürfen. Das Joch ist wahrlich leicht...

Meister Eckhart hat diesen täglichen Prozess einmal sehr prägnant in folgenden Worten zusammengefasst: Richte Dein Augenmerk auf Dich selbst, und wo Du Dich findest, da lass von Dir ab, das ist das Allerbeste.

LG
Provisorium

PS: Der heutige Leitvers passt auch sehr schön zu diesem Thema: Denn ich weiß, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, euch eine Zukunft und eine Hoffnung zu geben.
Jeremia 29,11



Soweit meine persönliche Auslegung des Gleichnisses.

Im Alltag kann man sich sehr leicht in Belanglosigkeiten, oder Aufregern verstricken und das Ergebnis kennen wir wahrscheinlich alle zur Genüge: Stress.
Das der nun nicht gerade gesund ist, wissen wir ebenfalls und deshalb versucht jedermann(frau) den Stress so gut es geht zu vermeiden, was mal besser, mal schlecher gelingen mag. Wenn ich, wie oben, von "lassen" spreche, dann ziehe ich mich ganz bewusst zurück in mein Kämmerlein, werde still und lausche und harre Gottes, sprich ich bete. Das aber nicht mit vielen Worten, sondern ich übe eine bestimmte Gebetspraxis, die von den Wüstenvätern übermittelt wurde und die heute eher als Meditation betrachtet werden würde - das Ruhegebet.

In diesem Gebet, diesem Lassen, vergisst man nicht nur alles um sich herum, man wird regelrecht leer, was ausgesprochen nützlich ist, da je leerer man wird, desto mehr Abstand gewinnt man von der kreatürlichen und geschaffenen Welt um sich herum und desto näher kommt man der ungeschaffenen, zeitlosen, inneren Welt, die Gott ist. Hier geschieht das im Praktischen, was Eckhart im Theoretischen beschrieb, wenn er sagt:
Richte Dein Augenmerk auf Dich selbst, und wo Du Dich findest, da lass von Dir ab, das ist das Allerbeste. Oder ausführlicher in diesem Link, den ihr bereits aus dem "Hagar, Sarah und Paulus Thread" kennt: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_391/

Zusammenfassend mag ich die Frage, wie man Gott erkennen kann, deshalb folgendermaßen beantworten: Ich selbst erkenne Gott gar nicht, das ist meiner Meinung nach völlig ausgeschlossen. Aber Gott erkennt mich und erkennt sich selbst und je mehr ich von allem kreatürlichen und geschaffenen Dingen (also auch von mir selbst) Abstand bekomme, je mehr ich dies alles lassen kann, desto mehr werde "ich" in Gott verwandelt und "ich" darf ihn erkennen, wie er sich selbst erkennt...
Vollendet wird dieser Prozess meines Glaubens nach im Tod sein. Jesus hat das meiner Überzeugung nach erkannt und gelehrt. Die Frohe Botschaft ist für mich die Botschaft der Einheit in Gott, der Überwindung des Todes und der Liebe, die in sich selbst quillt. Schon hier auf Erden dürfen wir davon kosten und dann wird das Kreuz, das wir alle zu tragen haben ganz leicht, ganz sanft und zärtlich...

LG
Provisorium

PS: Sollte der Link zum Nachbarforum nicht richtig funktionieren (bei mir ist das komischer Weise so), dann schaut bitte bei Interesse, bei Glaube.com nach dem Thread "Mk8,34:...nehme sein Kreuz auf sich..."nach.