Das für viele Christen – nicht für alle - die christliche Bibel (man muß hier deutlich unterscheiden – Bibel ist nicht gleich Bibel), unantastbar ist, ist verständlich, bildet diese doch im Wesentlichen (nicht nur, siehe z.B. Katechismus, etc) die Grundlage des Glaubens ihrer Religion. Das ist in soweit in Ordnung, dass man als Außenstehender (z.B. Nichtchrist) dieser Ansicht nicht zustimmen muß, d.h. diese Verbindlichkeit aus verschiedensten Gründen ablehnen kann.
Für mich persönlich z.B. spielt die christliche Bibel im Wesentlichen in einer Hinsicht eine entscheidende Rolle, indem ich ihren historischen – literarischen und theologischen Werdegang nachvollziehen möchte und ich dessen Lehrgut in wesentlichen Bereichen abgetrennt, von dem einstigen jüdischen Urgemeinschaftsgut um und nach Jesu, sehe. Das heißt, dass entscheidendes Lehrgut des N.T. nur ganz bedingt auf die Urheberschaft dieser „Urgemeinschaft“ zurückzuführen ist und im Verlauf der Zeit entscheidende Wandlungen erfahren hat.
Gerade das N.T. und mehr noch die sog. apostolischen Väter sind bei genauerem Studium der Sachlage die besten Zeugen dieser Entwicklungsgeschichte. Exemplarisch möchte ich das an folgendem historischen Zeugnis belegen.
Wir begeben uns zurück in die Zeit des „Kirchenvaters“ Hieronymus und seiner intensiven redaktionellen Arbeit, um endlich einen allgemein gültiges N.T. inkl. gleichen Textgehaltes zu erstellen. Diesen Auftrag erhielt er von Papst Damasus.
Bei seinen Recherchen und der Sichtung des überaus vielschichtigen Überlieferungsgutes der Texte des N.T. stieß er auf hoch interessantes Material, doch lauschen wir seinen Schilderungen selbst:
1. "Ein schwieriges Werk ist mir auferlegt, nachdem diese (Übersetzung ? ) mir von Euer Hochwürden anbefohlen wurde, wovon St. Matthäus selbst, der Apostel und Evangelist, nicht wünschte, dass es offen geschrieben werde. Denn wenn das nicht geheim gewesen wäre, würde er (Matthäus) dem Evangelium hinzugefügt haben, dass das, was er herausgab, von ihm war; aber er stellte dieses Buch mit hebräischen Lettern versiegelt her und gab es noch dann auf solche Art heraus, dass das Buch, in hebräischen Buchstaben und von seiner Hand geschrieben, im Besitze der religiösesten Menschen sein sollte; die es auch im Verlaufe der Zeit von denen erhielten, die ihnen vorangingen. Aber dieses Buch selbst gaben sie niemals irgend jemandem zum Abschreiben, und seinen Text erzählten die einen auf die eine Art und die ändern auf eine andere. (Brief an die Bischöfe Chromatis und Heliodorus + de Viris Illustr., III.)
2. Es fand sich das echte und ursprüngliche Evangelium, hebräisch geschrieben von Matthäus, dem Zöllner, in der zu Caesarea von dem Märtyrer Pamphilius gesammelten Bibliothek, "ich erhielt Erlaubnis von den Nasaräern, die zu Beroea zu Syrien dieses benützten, es zu übersetzen", de Viris Illustr., III.
3. "In dem Evangelium, das die Nasarener und Ebioniten benützen", das ich neulich aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzte und das von den meisten Leuten (alten Kirchenvätern) das echt Evangelium des Matthäus genannt wird und in chaldäischer Sprache, aber mit hebräischen Lettern geschrieben war. (Komment. Zu Matthäus XII. 13)
4. „Und es traf zu, dass dieses Buch … Stoff nicht zur Erbauung, sondern zur Zerstörung darbot (für die Kirche) und dass dieses (Buch) auf einer Synode approbiert wurde, worauf zu hören die Ohren der Kirche sich schicklich weigerten.“ (Aversus Haer. I. 26) Die Ursache dafür war : Das die Judenchristen, alle übrigen apostolischen Schriften verwarfen und nur dieses Evangelium benutzten (Adv. Haer; I. 26); und die sie glaubten, wie Epiphanius erklärt: „Ebenso wie die Nazarener halten sie fest daran, dass Jesus nur ein Mensch war, vom Samen eines Menschen".
5. Hieronymus bemerkt weiter, das dieses Hebräerevangelium „häufig benutzt“ hat der Origenes, der es Evangelium der 12 Apostel nannte, worin er bestärkt wurde in seinem Glauben an die Vorexistenz der Seele. (Diese Lehre wurde von der Kirche als „jüdische Lehre“ zur Häresie erklärt) (de Viris Illustr, Adv. Haer.)
6. Doch auch andere alte Kirchenväter kannten dieses Evangelium, angefangen von Papias, bis hin zu Julius Afrikanus und Eusebius, welche alle diese Schrift als das einzig echte Evangelium bezeichneten.
Die heutige Textforschung weiß, dass immer wieder dieses „seltsame Schriftstück“ in apostolischer Zeit aufgetaucht ist und etliche Kirchenfürsten es nicht lesen konnten, da es in fremder Sprache (hebräisch) geschrieben war und von daher kaum Interesse fand. Fakt ist auch, die Kirche verwarf dieses Evangelium auf Grund seines jüdischen Inhaltes und der Darstellung des Juden Jesus als natürlicher Menschen und auf Grund der zu jüdisch anmutenden Lehren und stufte es letztlich als gefährlich ein. Fakt ist auch, dass die jüdischen Nachfolger der Urgemeinde dieses allein benutzten und es auch in Synagogen verbreitet war. Soweit kann die Textforschung heute, auf Grund der Zeugnisse der Kirchenväter, den Sachverhalt recherchieren. Die Frage die sich stellt und die einst schon der renommierte kath. Theologe Prof. Alfons Deißler stellte ist, wieso konnte eine Schrift, die von der Mehrheit der großen Kirchenväter als einzig echte und verlässliche Schrift eines Augenzeugen über die Person Jesu und die Lehren Jesu von der Kirche als gefährlich und zu jüdisch eingestuft werden? Was erregte die Angst der frühen Kirche, dass es zu einer regelrechten Jagd nach diesem Schriftgut kam und in Folge dessen zu einer gänzlichen Vernichtung diese Schriftgutes, ja sogar in Folge dessen diese Glaubensgemeinschaften verfolgt und vernichtet wurden?
Es ist heute möglich Großteile des Lehrgutes Jesu zu rekonstruieren und es ist heute möglich – nicht zuletzt durch die Funde von Qumran und der neuen Auswertung hellenistischen und auch jüdischen – hellenistischen Glaubensgutes die Einflüsse auf das N.T. gut zu werten. Wir wissen heute sehr genau, dass Paulus in ganz wesentlichen Aussagen vom Essenertum beeinflusst war, und auch wissen wir wie nachhaltig der Philosemitismus auf das N.T. gewirkt hat. Es ist heute sehr gut nachvollziehbar wie die Jungfrauengeschichte und insbesondere die Magoigeschichte ihren Weg ins N.T. fanden, bis hin zu den apokalyptischen Einflüssen des letzten Buches, dass seine Vorreiter nicht selten in jüdischen - apokalyptischen Schriftgut findet.
All dies ist sicher die Ebene der Wissenschaft – sprich Textforschung und Religionshistorie, doch für einen „Außenstehenden“ können diese Ergebnisse eben nicht den Tatbestand reinen göttlichen Wirkens beinhalten, sondern in erster Linie den Fakt von religionshistorischen Entwicklungen, welche überaus menschlich sind und oft den Fakt von Theopolitischer Einflussnahme verdeutlichen. Man denke nur an den historischen Satz von Konstantius: Was ich will, dass ist kanonisch“; und die Antwort der Synode dazu: „Wir folgen dir.“
All das kann man ausblenden, trägt aber zu einer offenen und nüchternen Analyse zur christlichen Bibel nicht bei.
Es verwundert mich dann eben nicht, dass für die Mehrheit der Christen die Bibel nicht das Buch des Glaubens ist, sondern eher des Anzweifelns. Und das liegt weniger am Inhalt dieser Schriften, als vielmehr mit der Postulierung dieses Schriftgutes als göttlich. Und genau das nimmt dieses Schriftgut, ja nicht einmal Paulus für sich selbst in Anspruch. Oder um mit Lukas zu sprechen: „Viele haben es schon unternommen, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Worts gewesen sind. So habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben…“
Ich meine eine ganz ehrliche Aussage, die die Absicht eines Menschen klar und deutlich darstellt und vor allem ohne göttliche Inanspruchnahme, sondern aus Eigenermessen.
Absalom
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