Lieber Christof,

ich habe mir den ersten Teil deiner Geschichte durchgelesen.

Ja, der kleine Junge hatte es schwer.
Ja, es war ein kränklicher Junge.
Ja, die Menschen um ihn waren nicht immer gerecht zu ihm.

Aber weisst du was?

Dieses Kind ist mittlerweile erwachsen. Und dennoch steckt in diesem Erwachsenen irgendwie immer noch das kleine Kind, das den Finger hochhält und sagt: "Wegen Dir... Weil die Menschen so böse waren... Weil du mich geärgert hast..."

Aber dieses Kind sollte langsam mal erwachsen werden und auch Heilung zulassen.
Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können zwar nichts aus unserem Leben herausradieren, so gerne wir es oft tun würden. Jeder von uns, jeder um dich herum, hat Dinge erlebt, die ihn zu Fall gebracht haben. Die Spuren an ihm hinterlassen haben. Die ihn so werden liessen, wie er heute ist. Und jeder sieht oft in den Spiegel und spürt die Wahrheit: "Wenn dieses oder jenes nicht geschehen wäre, ich wäre heute nicht so und so.
Ich hätte heute nicht diese und jene Angst."
Vieles an unserer einstigen Leichtigkeit ist verloren gegangen, weil irgendetwas in unserem Leben nicht richtig war.

Aber wir sind mittlerweile alle erwachsen.
Und es liegt an uns, ob wir immer noch das kleine Kind sein wollen, das hilflos alles geschehen und zulassen muss, weil es noch so klein und hilflos ist.
Oder ob wir uns hinstellen und sagen:
"Und dennoch, trotz allem lebe ich.
Auch wenn ihr alle gesagt habt, dass ich keinen Wert habe, dass ich es nie zu irgendetwas bringen werde. Welt pass auf, ich bin im Anmarsch.
Und ich werde der Welt, den Menschen um mich herum beweisen, dass nichts so bleiben muss wie es ist.
Und nur weil mein Vater Alkoholiker war, muss ich noch lange keiner werden. Weil ich gesehen habe, was der Alkohol aus ihm gemacht hat. Ich bin für mein Leben verantwortlich, weil ich erwachsen bin.
Ja, ich trage Wunden und Narben aus meiner Kindheit. Und das Leben wird mich immer wieder verletzen.
Aber meine Narben zeugen auch vom Leben, darum trage ich sie mit Würde. Denn sie sind auch Zeugen meiner Heilung. Und ich weiss, jede Wunde kann eines Tages verheilen.
Auch wenn mich das Leben immer wieder verletzt, gefällt mir dieses Leben.
Und ich möchte es schaffen, am Tag meines Sterbens auf mein Leben zurückzublicken und ich möchte sagen können, dass sich genau dieses eine Leben, für das ich die Chance hatte zu leben, gelohnt hat zu leben."