4 – Hurra, das Kind ist wieder da
Jana beendete ihr Schuljahr in Lancaster. Barry hatte ihr sogar ein Ballkleid genäht, denn sie hatte viele Abschlussfeiern. In allen Unterrichtsfächern erreichte sie beste Ergebnisse. Ihr Abschlusszeugnis bewies uns, dass es richtig war, sie auf diese Reise zu schicken. Sie hat dort viel gelernt, was sie für ihr weiteres Leben brauchen wird.
Im Mai landete sie und ihr Freund Jake auf dem Flughafen in Hamburg. Leider schaffte es die Fluggesell-schaft nicht, dass sie zusammen fliegen konnten. So mussten sie beide die vielen Stunden alleine überste-hen. Zuerst konnten wir unser Kind in die Arme nehmen, eine Stunde später begrüßten wir den Amerikaner.
Zu Hause warteten viele unserer Freunde und die Familie, um Jana „Hallo“ zu sagen. Jake war erstaunt und genoss es, hier so herzlich aufgenommen zu werden. Wir starteten eine kleine Grillparty. Jake liebte unsere Bratwurst, sein Rekord lag bei sieben Stück pro Abend. Wenn ich Mittag kochte, traf mein Angebot nur ein-geschränkt seinen Geschmack. Die Koteletts, Klopse und einfach alles an Fleisch verschwanden schnell in diesem Jungen. Peter hatte oft Angst, dass er nicht genug bekommt und er sicherte sich gleich zu Beginn die doppelte Portion Fleisch auf seinem Teller. Für verschiedenes Gemüse, Salate oder jegliche Art von Obst erntete ich nur ein Kopfschütteln. Den Umgang mit Messer und Gabel zu beobachten, war ein lustiges Erlebnis. Die Menge an Ketchup eher beängstigend. Wie oft bei kleinen Kindern, war auch bei unserem A-merikaner der Teller nie leer gegessen und sah aus wie nach einem Bombenangriff. Auch der Kellner in der Gaststätte schmunzelte. Mit einem Lächeln fegte er den Platz um ihn herum sauber, denn dort ging einiges zu Boden.
Wir wollten unserem Gast alles zeigen, was wir liebten, was uns gefällt, woran unsere Erinnerungen hängen. Aber es ist schwer für einen Fremden, alles das zu verstehen und Vieles bleibt fremd. Sein Interesse hielt sich in Grenzen. Oft war er den ganzen Tag nur müde und wollte am liebsten schlafen. Er war ein Teenager, wie er im „Buche steht“, der Weg zum Erwachsensein ist noch lang und hart für ihn. Aber es machte ihm Spaß, unsere Sprache zu lernen und er machte gute Fortschritte. Er erlebte mit uns die Fußballaktionen dieser großartigen Weltmeisterschaft. Wir sahen Spiele an den großen Bildschirmen im Zentrum unserer Stadt und auch in den Kneipen. Auf jedes Tor wurde angestoßen und das Bier, welches er hier trinken durfte schmeckte ihm gut. Dieses Partyleben kannte er nicht aus seinem Teil Amerikas. Jana stellte hier schnell fest, dass Jake nicht für die ganz große Liebe reicht. So blieb es bei einer Freundschaft zwischen den bei-den, worüber Jake allerdings sehr traurig war.
Zu dieser Zeit begann Barry meine erste Ausstellung zu organisieren. Viel konnte ich zu diesem Thema nicht erfahren. Auf zehn meiner Fragen erhielt ich oft nur eine Antwort. Aber es lag einfach daran, dass Barry keine Lust hat, am Computer zu tippen. Ich vertraute ihm und hoffte, dass er alles im Griff hatte.
Wenig später stellte Carrie mir die Frage, ob ich nicht kommen könne. Der Rat der Künste South Carolina wollte die Künstlerin kennen lernen. Ich las ihre E-Mail immer und immer wieder, es lag mir wie ein Kloß im Hals. Seit diese Bilder mit dem Paket unterwegs waren, überlegte ich, wie sie wohl sein würde, die erste Ausstellung in den USA. Natürlich war dieser Wunsch da, dort dabei zu sein. Was hatte ich hier schon alles versucht, wie lange kämpfte ich hier um das nackte Überleben. Nun wollte dieses große Land nicht nur meine Bilder sehen, sondern auch mich. Allein diese Einladung war für mich schon eine große Bestätigung. Es war eine große Anerkennung.
Doch ich sah in unseren Geldbeutel. Die Familienkasse war leer. Peter sagte: „Wenn, dann musst du alleine fliegen!“ Viele Gedanken rasten durch meinen Kopf. Würde ich das alles alleine meistern. Konnte ich genug Englisch? Wie gut, dass ich an diesem Englischkurs im Seniorenbüro teilgenommen hatte. Konnte ich ein-fach alleine diese Zeit genießen? Meine beiden schien diese Situation nicht zu schocken. Ich traute ihnen zu, alleine klar zu kommen. Eine Frage nach der anderen beantwortete sich selbst und es wuchs der Reiz, es zu versuchen. Sehnsüchtig beobachtete ich die Preise der Flüge. Doch es war erschreckend. Ich sollte fast doppelt so viel Geld auf den Tisch legen, wie auf unserer ersten Reise.
Als mein Auto in der Werkstatt stand um die TÜV Untersuchung durchzuführen, kam der Schock. Die Spezi-alisten sagten „Es ist ein Haufen Schrott“. Mein schönes Auto. Es lief wie eine Biene. Ich konnte es kaum glauben. Doch ich bekam keinen Schein, und an eine Reparatur war nicht mehr zu denken. Ich trug es mit Fassung, ein neues Auto musste her. Traurig schrieb ich meiner Freundin von meinem Schicksal. Ich er-gänzte den Satz: „Nur ein Wunder kann helfen!“. Genau das ließ zum Glück nicht lange auf sich warten. Einige Tage später teilte mir Carrie mit, dass der Bund der Künstler Amerikas mir den halben Fahrpreis er-statten will. Gleichzeitig überraschten mich meine Eltern mit einer finanziellen Spritze für mein neues Auto. So blühten wieder Hoffnungen in mir. Sie wurden jeden Tag ein wenig bunter.
„Du brauchst einen Kombi“ sagten sie alle. „Damit du das ganze Zeug mitschleppen kannst“. Mir war es ganz egal, ob groß, ob klein. Wenn es ein kleines Auto wird, wird die Rückbank umgeklappt, wenn es groß wird, werde ich das Parken üben müssen. Es interessierte mich nicht, welche Automarke es wird. Wichtig war, dass wir dieses Auto bald brauchten, denn mein TÜV war abgelaufen. Inzwischen fuhr ich schon fast drei Wochen, ohne dass es erlaubt war. Mit schlechtem Gewissen parkte ich nicht mehr auf öffentlichen Parkplätzen, sondern versteckte meinen Citroen nur noch auf Hinterhöfen. Wir hofften, das richtige Auto über die Werkstatt zu bekommen. Es war nichts zu finden. So zog Peter mit mir los. Wir haben uns alle Ge-brauchtwarenautos in unserer Stadt angesehen. Ein leuchtend metallic türkisfarbiger Toyota strahlte mich sofort an. Einige Tage später rollten diese vier neuen Räder auf unseren Hof.
Am selben Abend schnüffelte Peter im Internet herum. Ganz zufällig öffnete er die Seite mit den Flugpreisen. Da gab es auf einmal einen Termin für einen günstigen Flug. Sofort ließen wir das Telefon in Amerika klin-geln. Unsere Freunde hatten nichts gegen diesen Termin. Peter hatte den Finger auf dem Wort „ Buchen“ und dann drückte er drauf. So schnell kann es gehen. Ich atmete tief durch, es war passiert, es gab kein Zurück mehr!
Lesezeichen