2 – Vorfreude, schönste Freude

Das Semester war lang, aber in dieser Woche endeten die Kurse in den Schulen. Selbst wenn ich es gewollt hätte, findet man in den Sommermonaten nicht genügend Teilnehmer. Auch in meiner Werkstatt war es in den Veranstaltungen nicht voll, aber dort hatte ich immer etwas zu tun. Im Sommer sind die Leute in ihrer Freizeit lieber im Garten oder an der See.
Wir hatten keinen Urlaub geplant und wahrscheinlich wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, wenn mich nicht eine Malerin meines Kurses eingeladen hätte. Seit langer Zeit sprach Dörte davon, dass ich unbedingt ihre Schwester in Südfrankreich kennen lernen sollte. In diesem Frühjahr ergab sich alles wie von selbst. Die beiden Schwestern hatten Sehnsucht nacheinander. Wir fanden einen gemeinsamen Termin. Peter gelang es über das Internet, ein günstiges Flugticket zu kaufen. Die Tage bis zum Urlaub vergingen schnell.

Abends saß ich am Rechner und erledigte noch meine letzten Aufgaben. Nur schnell dieses Angebot schrei-ben, den Antrag formulieren und die Druckvorlage erstellen….
So ist es immer, am Schluss kommt eins zum anderen und die Zeit rast. Ruck, zuck stand der kleine Zeiger meiner Uhr auf der Zehn. Während das Gepäck meines Lieblingsmannes bereits abfahrbereit auf dem Flur stand, überlegte ich, welche Reistasche ich nehmen sollte. Es war kein Wunder, dass Peter alles fertig hatte, denn bereits seit einer Woche sah unsere Stube wie eine Kleiderkammer aus. Alle Oberhemden schmückten auf Bügeln unseren Schrank in der Stube. Der komplette Inhalt seines Kleiderschrankes war im Zimmer ausgebreitet. Alle Sachen waren frisch gewaschen und gebügelt, als er die heilige Entscheidung fällte, was eingepackt werden soll. So schwer fällt mir das Packen nicht. Meine drei „guten Sachen“ unterscheiden sich eindeutig von meiner Arbeitskleidung. In Windeseile waren sie in die Tasche umquartiert. Nach einer Viertel-stunde ging mein Reißverschluss immer noch leicht zu. Es war sogar Platz für die Malsachen und für meine Neuanschaffung: einen kurzärmeligen und kurzbeinigen Taucheranzug, auf den ich sehr stolz war.

Ein Foto von dem Schnäppchen entdeckte Peter auf der Titelseite der Werbezeitung von Lidl. Er machte mich darauf aufmerksam. Wir beschlossen, für jeden in unserer Familie so einen Anzug zu kaufen. Als ich unserem Freund von meinem Vorhaben erzählte, erklärte er sich bereit, mir bei der Schlacht zu helfen. Der Laden öffnete um acht Uhr. Jörg ist es gewohnt, jeden Tag so früh aufzustehen und so stand er bereits um sieben Uhr vor der verschlossenen Tür. Als ich eine halbe Stunde später kam, schmunzelten wir beide. Wa-rum waren wir ganz alleine? Ohne Leute macht so eine Schlacht ja keinen Spaß! Aber das änderte sich schnell und wir wurden nicht enttäuscht. Nach und nach trudelten die Kunden ein und wir konnten das Ge-fühl genießen, die Ersten in der Schlange zu sein. Pünktlich öffnete sich die Eingangstür. Wir steuerten ziel-strebig zum Mittelgang und erreichten als erste die Sonderangebote. Wie geplant, schnappten wir uns drei Anzüge in den richtigen Größen. Geschafft! Zeit zum Aufatmen! Wir traten etwas zur Seite, während nun wild die Pappkartons aufgerissen wurden. In einer riesigen Menschentraube, wurden die Tauchersachen in allen Größen hin und her gezogen. Der Geräuschpegel wurde immer höher, so dass wir nun den Gang zur Kasse antraten.

Auch dieser Taucheranzug fand noch Platz in meinem Gepäck. Dann trug ich meine Tasche in den Flur. Peters Tag war zu Ende. Meiner noch nicht. Ich setzte mich nun gemütlich in die Stube auf den Sessel, legte meine Füße auf unseren wunderschönen pinkfarbigen Gymnastikball. Im Fernsehen lief ein relativ interes-santer Film. Ich genoss, wie sich in mir nun langsam die Urlaubsvorfreude und das Reisefieber steigerten. Hatte ich an alles gedacht? Was musste ich morgen früh noch erledigen? Was würde uns im Urlaub erwar-ten? Mit all diesen Fragen landete ich um drei Uhr im Bett.
Am Morgen funktionierte ich wie ferngesteuert, aber alles klappte. Mein Urlaub begann, als ich neben Peter im Auto saß. Wir fuhren aus unserer Stadt heraus. Das zarte Grün der Buchenwälder leuchtete im Sonnen-licht. Die Blätter hatten noch lange nicht ihre richtige Größe erreicht. Unser Auto fuhr über die Dörfer in Rich-tung Hagenow, vorbei an den schönen Mecklenburger Feldern. Inzwischen konnte man jede Kornsorte gut erkennen, die ersten Rapspflanzen begannen an den Rändern gelbe Blüten zu zeigen.

Die schwarze Erde des Waldweges zum Gläserhorst war vom Regen durchgeweicht. Peter steuerte unser Auto vorsichtig durch die dicken Pfützen. Mitten in diesem Wald, wo man niemanden mehr vermutet, steht das Haus meiner Malfreundin. Dort wohnt sie mit ihrem Mann Klaus und mit der Familie ihrer Tochter. Die Haushündin Lili saß draußen auf der Treppe und kam uns zur Begrüßung entgegen. Dieses kuschelige Tier-chen hat zwar eine stattliche Größe, aber von der Aufgabe eine Wachhündin zu sein hält Lilly nicht viel. Sie freute sich riesig über jeden Besucher. Ohne dass wir die Klingel betätigten, kam Dörte mit ihrem kleinen roten Plastik-Köfferchen zum Ziehen heraus. Die Tochter folgte ihr, um alle Reisenden zu verabschieden. Ein bisschen Reiselust spiegelte sich in ihren Augen, denn ihr Alltag ist gezeichnet von der Arbeitssuche und der Kinderbetreuung. Sie rollte mit den Augen, als Vater Klaus noch ein weiteres Mal Instruktionen erteilte, was bei der Versorgung von Haus, Hof und Tieren zu beachten ist. „Nun komm schon!“ drängelte Dörte und er stieg ins Auto.

Wir fuhren quer durch das Grenzgebiet, welches Klaus wie seine eigene Westentasche kennt. Er unterhielt uns mit Erlebnissen und Geschichten aus alten Zeiten. Die Fahrzeit nach Frankfurt Hahn war lang.
Wir stoppten an einer Autobahnraststätte. Mein erster Weg führte zu den Toiletten. Doch ich stand vor einem riesigen Edelstahlkomplex mit dicken Schranken und vielen Schildern. Dörte folgte mir und sie schaute ge-nauso unwissend wie ich. Was für eine Freude. Ein junger Mann kam helfend zu uns. Unter seiner Anleitung gelang es uns, eine Eintrittskarte zu den Toiletten zu erwerben. Die Sauberkeit war wirklich eine Freude. Während ich mir nach dem erlösenden Geschäft in aller Ruhe die Hose hochzog, begann sich meine Klobril-le im Kreis zu drehen. Auf diesem Wege wurde sie gesäubert und desinfiziert. Mit dem Wertbon über fünfzig Cent kamen wir sogar alleine wieder raus. Wir bestellten uns dafür einen Kaffee und warteten auf unsere Männer. Sie hatten nicht so viel Spaß wie wir.

Am späten Nachmittag kamen wir an der Mosel an. Wir fanden ein Zimmer in einer kleinen Pension, in Bern-kastel-Kues. Am Abend saßen wir bei einem Glas Wein zusammen und konnten in allen Himmelsrichtungen die Weinberge sehen. Der Flughafen war nur wenige Kilometer von uns entfernt und so hatten wir am Mor-gen nur ein kurzes Stück zu fahren. Die eine Stunde Flugzeit lohnte gar nicht zum Schlafen. Es ertönte die Ansage für die Landung. Die Häuser wurden immer größer und die vielen blauen Pools fielen mir besonders auf.

Dörtes Schwager Erwin holte uns vom Flughafen ab. Er ist ein lustiger rüstiger Rentner aus der Schweiz. In dessen linkem Mundwinkel sich oft eine Zigarre befindet. Seinen Kopf schmückte eine gelbe Baskenmütze. Er trägt am liebsten ein blauweiß gestreiftes T-Shirt mit einer grauen Outdoor Weste mit tausenden Taschen, in denen er allerhand verstecken kann.

Wir hatten zu tun, all’ unsere Sachen in das kleine Auto zu quetschen. Wir saßen auf der Rückbank mit drei Personen wie die Heringe in der Dose. Nach einer Stunde Fahrt mitten durch die wunderschöne Landschaft mit vielen Weinbergen, erreichten wir das kleine Dorf Causses et Veyran. Wir hielten in einer schmalen Straße mit großen Miethäusern. Erwin öffnete das Tor zur Garage und fuhr hinein. Der Raum war eine Mi-schung aus Abstellkammer, Bausstofflager und Antiquariat. Hier begrüßte uns seine Frau Antje. Die beiden Schwestern lagen sich gleich in den Armen. Wir stiegen die Treppen hinauf zur Wohnung. Alles sah riesig aus, weil die Zimmer sehr hohe Decken hatten, wie Säle. Alle Wände waren einheitlich weiß gestrichen und die riesigen Türen glänzten hellblau vom Lack. An den Wänden hingen farbenfrohe Bilder. Erwin und Antje zeigten uns unsere Zimmer. Peter und ich waren erstaunt, denn so einen Luxus hatten wir nicht erwartet. Auf einer großen Liege lag nur eine Bettdecke. Die vielen verschiedenen Muster der Bettwäsche machten dieses Lager einzigartig. In der Ecke stand ein Schaukelpferd. Es hatte schon viele Jahre auf dem Buckel. Eine große Flügeltür war weit geöffnet und man konnte vom schmalen Balkon über die Straße schauen. In den Balkonkästen waren keine deutschen Stiefmütterchen oder Studentenblumen. Immergrüne Sukkulenten zierten hier das Haus, es sah richtig nett aus, weil es nicht zu viele Blüten waren. Eine schwarz-braune Katze schnurrte um meine Beine, und ich war mir sicher, dass es ein schöner Urlaub werden würde.