13 – Independence Day

Der 4. Juli war, wie jedes Jahr in den USA, ein Feiertag. Carrie brauchte nicht zur Arbeit. Trotzdem war sie früh auf dem Beinen und saß vor dem Haus. Wenn ich sie hörte, zog es auch mich aus dem Zimmer.
Es war der „Independence Day“ der Unabhängigkeitstag. Diese Unabhängigkeit testete ab diesen Tag auch Andrew. Sein Freund stand mit einem Truck vor der Tür. Gemeinsam schleppten sie das Bett, den Schrank und alle Sachen von Andrew aus dem kleinen Zimmer auf die Ladefläche des Autos.

Carrie nickte und sagte: „Es ist Zeit für ihn zu gehen!“ Sie war müde ständig zwischen Mann und Sohn zu stehen und immer zwischen diesen beiden Kampfhähnen schlichten zu müssen. Sie tat so, als wenn es ihr nicht viel ausmachte. Sie wollte keine Gefühle zu zeigen. Doch ich merkte, wie es in ihr als Mutter aussah.

Dennoch war die Situation für mich als Außenstehenden schwer. Carrie und Barry begannen zu erklären und wir sprachen über die Teenager im Speziellen und im Allgemeinen. Bei solchen Lebensweisheiten fehl-ten mir doch ein paar englische Worte. So beschlossen wir, den Laptop mit dem Übersetzungsprogramm zu starten.

Später ging jeder seinen Aufgaben nach. Barry verschwand wieder und rannte mit Werkzeug um das Haus. Er strich ein Stück Zaun und breitete am Teich Stroh auf dem Boden aus.

Carrie reinigte das Haus und Chase sollte dasselbe in seinem Zimmer tun. Viel lieber spielte er mit seinem neuen Flugzeug, welches er wenige Minuten zuvor von seinem Bruder geerbt hatte. Er machte einen Höllen-lärm. Warum nur lieben das alle Kinder? Warum auch sollte er anders sein?

Ich malte ein Bild für Carries Mutter, denn mir fehlte noch ein kleines Geschenk. An diesem Tag waren wir zum Familientreff eingeladen. Carrie verriet mir, dass ihre Coca-Cola-Phase zu Ende war. Zurzeit liebte sie eine kleine Zeichentrickfigur aus dem Fernsehen. „Baddy Boob“ hieß diese elegante Frau mit einem roten Kleid und hohen Hackenschuhen. Eine Vorlage hatten wir uns aus dem Internet ausgedruckt.

Gegen Mittag fuhren wir gemeinsam los. Carries Schwester Candy hatte sich mit ihrem Freund ein neues Haus gekauft, es war etwa eine Stunde Autofahrt entfernt. Zum Essen brachte jeder etwas mit. Unsere Auf-gabe war das Besorgen von gebratenen Spare Rips. Sie wussten, wo es die besten in dieser Stadt gibt. In diesem Restaurant kauften wir gleich einen großen Eimer mit Fleisch.

Wir parkten direkt vor einem weißen Holzhaus. Es war eins von vielen, die alle gleich aussahen in dieser Straße. Weit und breit war nicht ein Busch oder ein Baum zu sehen. Eine kleine Holztreppe führte zum Ein-gang. An diesem Ort sah es nicht bewohnt aus. Doch hinter der Tür begrüßte uns Candy und bat uns herein. Die doppelte Tür schloss sich hinter uns automatisch. Damit auch ja keine warme Luft hereinkommt und die kühlen Temperaturen der Klimaanlage erhalten blieben.

Wir traten ein in diese perfekte Wohnung. Im Haus war alles mit hellen Farben gestrichen. Die Möbel stan-den hier genau wie im Möbelkatalog. Jedes Stück Dekoration hatte mit Sicherheit seinen genauen Platz. Am liebsten hätte ich es getestet. Wenn ich etwas verrückt hätte, wäre es Candy garantiert sofort aufgefallen. Aber brav wie ich war, fasste ich nichts an.

Der Sonnenschein in diesem Haus war der kleine Bill. Candys Sohn war gerade zwei Monate alt. Er lag an-geschnallt in seiner Liegeschale und roch verdächtig. Da die Mutter noch in der Küche mit den letzten Vor-bereitungen für das Essen beschäftigt war, erhielt Carrie die Erlaubnis, den Kleinen mit einer neuen Windel zu versorgen. Ich folgte ihr ins Kinderzimmer, welches mit Motiven von „Winnie Puh“ geschmückt war.

Carries Mutter und auch der Vater, den ich vorher noch nicht gesehen hatte, trafen pünktlich ein. Die Schwiegermutter von Candy durften wir auch kennenlernen. Auf dem Tisch standen wieder viele leckere Sachen. Wir stellten unsere Rippchen dazu. Gemeinsam begannen wir die vielen Schalen und Töpfe zu leeren.

Candy war als erste fertig und hatte auf ihrem Teller einen großen Berg Knochen gesammelt. Damit ver-schwand sie auf der anderen Seite aus dem Haus. Das sah verdammt nach einem Hund aus. Richtig er-kannt! Auf meine Frage erhielt ich sofort die Antwort. Ich beeilte mich mit dem Essen, denn die Neugier war groß, zu erfahren, welche Rasse es ist. Schnell schluckte ich die letzten Bissen herunter. Wie gut, dass ich auch Knochen auf meinem Teller hatte. Ich ging nach draußen. Eine große Rasenfläche war mit einem Ma-schendrahtzaun begrenzt. Es war kein Tier zu sehen. Ich ging die Treppe hinunter und rief. Langsam kam ein großer schwarzer Labrador unter der Treppe hervor und direkt auf die Tür zu. Ich überlegte kurz: Wer ein kleines Kind in diesem Haus hat, kann keinen bissigen Hund besitzen! Ich öffnete die Tür und ging in sein Gehege. Er kam direkt auf mich zu und wedelte mit dem Schwanz. Nicht gerade mit viel Elan nahm er mir die Knochen ab. Er war nicht hungrig. Auf der Wiese lagen Bälle, Puppen und allerhand Hundespielzeug. Ich nahm einen Ball und warf ihn. Der Hund schaute mich mit großen Augen an. „Was will die Alte denn?“ Er reagierte überhaupt nicht. Ich versuchte es noch einmal – keine Reaktion. Streicheln ließ er sich, doch auch das ging ihm tierisch auf den Geist. Er drehte sich um und verschwand wieder im Schatten. Es war einfach zu warm, um sich zu bewegen in der Sonne.

In der Stube wurden die Lederteppiche und Kissen vom Kunsthaus in Lancaster gezeigt. Mit Begeisterung fanden sie ihre neuen Besitzer. Carrie erhielt ihr Geschenk von ihrer Mutter. Die selbst genähten Patchwork-Decken für die drei Schwestern waren jetzt fertig. Carrie kniete nachdenklich darauf und streichelte über das Muster, über die Stickerei ihres Namens und über das Sarah Key Püppchen, das extra ihre Haarfarbe erhal-ten hatte. Sorgfältig faltete sie ihr Geschenk zusammen und Barry brachte es gleich zum Auto.
Der kleine Bill war munter und lag auf seiner bunten Babydecke. Wild wackelte er mit den Armen und ver-suchte sich bemerkbar zu machen. So lenkte er die Aufmerksamkeit auf sich. Dieses kleine Wesen brachte Carrie und ihre Mutter so nah zusammen. Beide hielten die Hand von „Little Bill“ und leise strömte ein wenig Sympathie durch seinen Körper. Es sah aus, als wenn das Lächeln durch sein Blut von einem Gesicht zum anderen wanderte. Beide lachten und das nicht nur für das Foto.

Candy kam liebevoll dazu und hielt ihren Kleinen im Arm. Nach der Geburt hatte sie nicht nur ein paar Kilos mehr auf der Wage, sie zeigte Verantwortungsbewusstsein und viel Liebe einer Mutter. So nach und nach waren alle in diesem Zimmer versammelt. Ich saß auf dem Sessel und es hörte sich an, als wenn alle auf einmal reden. Meine Augen wurden immer schwerer und so langsam wurden die vielen englischen Worte zu einem gleichmäßigen Geräusch. Carrie sah, dass ich mich quälte, um nicht einzuschlafen. Sie versicherte mir, dass es niemanden stört, wenn ich nach draußen gehe, um zu malen. Diese Chance zu fliehen nutze ich gerne. Ich setzte mich auf den Balkon unter den Sonnenschirm und packte meine Malsachen aus und arbeitete an dem dritten meiner Elefantenbilder. Es dauerte nicht lange, da kamen auch die anderen nach draußen. Meine Freundin setzte sich neben mich und schaute mir über die Schultern. Candy brachte mir ein Foto mit von Bill. Das war mein nächstes Bild. Interessiert schauten alle zu, wie ich dieses Porträt malte. Es gab ein kühles Bier. Na, ja, ein paar mehr waren es schon. Aber dieses Getränk kann man wirklich nicht mit deutschem Bier vergleichen. Ich glaube, Alkohol ist da auch nicht enthalten oder auf alle Fälle sehr wenig. Mein Bild sah dem Foto wirklich sehr ähnlich. Mit großen Buchstaben schrieb ich in deutscher Sprache „Viel Glück“ darunter. An die Seite malte ich noch ein paar Herzchen. Mit meiner Unterschrift beendete ich meine Arbeit. Ich schenkte es Candy für den kleinen Bill. Sie freute sich riesig und wischte sich sogar eine Träne aus dem Auge. Es war Zeit sich von allen zu verabschieden und wieder nach Lancaster zu fahren.