6 – Maiby alleine nach Amerika
Peter stoppte mit dem Auto vor dem Flughafen Hamburg. Jana und ich stiegen mit den Taschen aus. Er suchte in Ruhe einen Parkplatz. Jana besorgte uns einen Schiebewagen für das Gepäck und wir fanden die richtige Stelle zum Anstellen. Mir ging ganz schön die Muffe, muss ich gestehen. So viele Leute waren es gar nicht vor mir. Eigentlich schade. Inzwischen kam auch Peter dazu. Jana half mir, die Schilder für die Taschen auszufüllen. Dann zogen die beiden sich langsam zurück und ich war ganz alleine auf mich gestellt. Genau so, wie es geplant war. Mir wurden viele Sicherheitsfragen gestellt. Alle Antworten und Angaben waren richtig. So hatten die Beamten kein weiteres Interesse an mir und mein Gepäck wurde problemlos ange-nommen. Sie reichten mir zwei Zettel und erwarteten meine Angaben. Bereitwillig begann Jana sie auszufül-len. Ach, das hätte ich auch geschafft. Sie verschrieb sich. „Ups“: wie die Kinder dann gerne sagen! Schnell rannte sie hin und holte einen neuen Zettel. Es war nichts Neues, die Angestellten grinsten nur. Zweiter Ver-such. Es klappte auch beim zweiten Mal nicht. Inzwischen fand Peter es nicht mehr lustig. Er holte den Zet-tel, weil Jana es zu peinlich war. Wir setzten uns in den Restaurantbereich und tranken Kaffee. Peter schrieb in jede Zeile das Richtige und mein Zettel war fertig. Die Zeit rannte, Jana begann zu drängeln. Sie wollte nach Hause, um rechtzeitig zum Unterricht in die Schule zu kommen. So verabschiedeten wir uns. Ich ging meinen Weg alleine. Vorsichtig tastete ich mich heran und passierte den Zollbereich. Als ich sicher war auf dem richtigen Platz zu sitzen, konnte ich wieder jede Menge beobachten. Einige Leute saßen einfach nur da, andere rannten wie angestochen umher. Die verschiedensten Gattungen der „Lesenden“ waren hier vertre-ten. Manche lasen die Zeitung und waren trotzdem noch interessiert mitzubekommen, was hier passiert. andere waren völlig versunken in ein Buch.
Das Flugzeug war keins von der ganz großen Sorte. An jeder Seite des Mittelganges befanden sich drei Plätze nebeneinander. Ohne weitere Hinweise vom Personal fand ich meinen Platz direkt am Gang. Es ge-fiel mir wirklich gut. Meine beiden Plätze zum Fenster hin waren noch frei: das gefiel mir noch viel besser. Gegenüber vom Gang saß ein Ehepaar, so eins von der ganz unruhigen Sorte. Der Mann sah aus wie Ja-mes Bond 007. Er war Sean Connery sehr ähnlich, vielleicht war er sogar noch etwas größer. Seine Son-nenbrille trug er cool auf halb acht. Neben ihm saß eine kleine, schlanke, blonde Frau. Sie hatte versucht, sich mit viel Mühe auf jung zu trimmen, was ihr aber leider nicht gelungen war. So ungefähr zehn Jahre mehr gab ich ihr wenigstens. Sie hatten jede Menge Handgepäck mit. Bond suchte krampfhaft nach einem Platz in den Fächern über unseren Köpfen. Mein Rucksack lag genau über mir, damit ich dort auch gut an-komme. Ich atmete tief durch, als er mein Gepäck achtlos zur Seite schob, um seine Tasche unterzubringen. Das war sein erster Fehler. Die Stewardess kam mit ihrer Liste durch den Gang und die letzten Passagiere stiegen ein. Sie stellte fest, dass jemand falsch saß. Natürlich dieses Ehepaar und wo sollten sie hin? Zu mir! „Na toll!“ dachte ich. Zu früh gefreut. Scheinheilig versuchten sie mich zu überzeugen, auf den Fenster-platz zu rücken. Aber auf diesen Trick fiel ich nicht rein. Ich war mit meiner großen Beinfreiheit sehr zufrie-den. Ich war angeschnallt und bereit für den Start. Meinen Pullover hatte ich mir über den Kopf gezogen, um nicht mehr gestört zu werden. An Schlafen war zwar nicht zu denken, aber die Augen zu schließen war schon ganz angenehm. Meine Müdigkeit wurde immer größer. Trotzdem wagte es Bond mich anzusprechen “ Excuse me“. Er wollte an sein Handgepäck. Ich stand auf und reichte ihm freundlich seine Tasche herun-ter. Ich schnaufte und zählte jetzt. Fehler Nummer zwei!
Nächster Versuch zu schlafen, doch bei diesem Gewimmel war kaum daran zu denken. Das Personal dieser Airline war sehr gemischt. Es gab nicht nur perfekte, schöne, junge Frauen. Hier war alles gemischt, vom Alter und auch vom Aussehen. Eine der Frauen hatte auch ein paar Kilo mehr, und sie war so groß, dass sie gerade stehen konnte. Sie hatte einen gewaltigen Auftritt. Mein Wasser im kleinen Becher auf meinem Tisch zitterte. Die Umrisse, die ich durch meinen Pullover erkannte, kamen denen eines Sauriers sehr nahe. Grin-send musste ich an diese Situation im Film JURASSIC PARK denken. Die Stewardessen rannten einige Male hin und her, so dass ich auf meinen ersten Schlaf noch bis nach dem Essen warten musste. Auf dem weiteren Flug stellte sich mein Vorurteil über meine Nachbarn als falsch heraus. Sie waren nett, und wir unterhielten uns viel. Er war ein Deutscher, der jetzt in South Carolina lebte.
Die Zeit verging schnell. Die Anschnallzeichen über mir leuchteten auf und es ging tiefer. Während die Fans in Deutschland das Spiel unserer Mannschaft bei dem Achtelfinale der Weltmeisterschaft verfolgten, hörte ich nach der Landung nur den Spielstand. Unsere Mannschaft hatte das 1:1 geschossen. Mit dem Ausstei-gen verschwand nun auch der letzte deutsche Kontakt. Ich war in Amerika. Die Luft war heiß wie in der Sau-na, es benebelte mich. Mit der Zeit und der Umstellung der Uhren hatte ich es noch nicht so richtig drauf. Sonst hätte ich vielleicht gewusst, dass mein Anschlussflugzeug in diesem Moment abflog. Es war also wirk-lich nicht zu schaffen. Einige rasten wie die Geisteskranken los. Ich beeilte mich, aber mehr war nicht drin bei mir. Alle strömten in einem Affentempo heraus, als ob das Gepäck zur Gepäckausgabe fliegen würde. Ich ließ mich noch nicht aus der Ruhe bringen und folgte den anderen. Am Laufband fand ich auch meine beiden Taschen. So einen Wagen für das Gepäck konnte ich mir nicht holen, denn ich hatte nur Dollars in Scheinen. So trug ich die schweren Taschen. Ich fragte nach dem Weg, und sie schickten mich von einem Schalter zum anderen. Immer war es der falsche Ort. Ich testete alle Rolltreppen und alle Fahrstühle. Mir lief der Schweiß den Buckel herunter. Endlich fand ich den richtigen Schalter. Eine junge Frau nahm mir das Gepäck ab. Sie tippte in ihrem Computer und sagte: „Morgen früh können Sie fliegen“ Hatte ich das richtig gehört? Mein dummes Gesicht muss wohl genug gesagt haben. Sie fragte mich, ob ich versuchen möchte, heute noch mit dem Flugzeug mitzukommen. Der „check in“ würde in einer Stunde beginnen. Allerdings trug mein Ticket die Kennzeichen „stand by“. Es war zwar nicht sicher, ob ich noch einen Platz bekomme, aber es hörte sich schon irgendwie besser an. Sofort machte ich mich auf die Suche nach dem richtigen Weg. Wie ich es gelernt hatte, fragte ich noch ein weiteres Mal zur Sicherheit. Sie bestätigten mir, dass ich am richtigen Platz sei und warten müsse.
Nun musste ich anrufen. Die vielen Telefone hatte ich bereits gefunden. Aber schon auf den ersten Blick war zu erkennen, dass hier Geldstücke gefragt waren. Im Pizzarestaurant wollte ich meinen Dollarschein in vier Quader tauschen. Entweder sie verstanden mich nicht oder sie wollten ihre Kasse nicht öffnen. Den zweiten Versuch startete ich im Cafe. So einen frischen Kaffee konnte ich gerade gut gebrauchen. Auf diese Art und Weise fiel mein Tauschversuch nicht auf. Nach dem Bezahlen achtete ich natürlich darauf, dass ich das entsprechende Wechselgeld erhielt. Es klappte. Bei den Telefonen sprach ich ein Ehepaar an. Die Frau sprang mir sofort freundlich zur Hilfe. Sie erklärte mir, wie viel Geldstücke ich brauche. Kurz darauf zog sie eine Telefonkarte aus ihrer Handtasche, nahm meinen Zettel und tippte meine Zahlen ein. Den tutenden Hörer gab sie mir dann in die Hand. Bei den Fords meldete sich nur der Anrufbeantworter. So konnte ich wenigstens Bescheid sagen, dass ich dort auf einen Platz im Flugzeug wartete. Da ich diese Münzen in der Tasche hatte, versuchte ich es auch bei uns zu Hause. Auch dort war keiner.
Auf der Anzeigetafel hatte sich der Zeitpunkt inzwischen schon geändert. Ich vergewisserte mich immer wieder, dass ich am richtigen Platz war. Immer wieder hörte ich „Ja, aber später“. Woran es lag hatte ich nicht begriffen. Ändern konnte ich es nicht. Neben mir saß eine Frau, die in das gleiche Flugzeug wollte. Ich beobachtete sie ständig. So bemerkte ich sofort, dass die Nummer für das Gates unseres Abfluges geändert hatte. Irgendwie müssen diese Wartenden ja auch beschäftigt werden! Ob sie es extra so machen? Inzwi-schen stand die Abflugzeit auf 18 Uhr, es war immer noch ewig Zeit. Ich tauschte noch einmal Geld, und rief noch mal bei Barry an. Aber der war schon auf dem Weg zum Flughafen.
Nach dem Einsteigen ging dieses kleine Flugzeug in die Luft. Es gab eine Runde Getränke, dann klappte ich mein kleines Tischchen herunter und pinselte an meinem Elefantenbild. Gerade als ich den letzten Strichen zog, wurden die Häuser etwas größer und wir landeten.
Vor meinen Reisetaschen sah ich Andrew, er kam mir gleich als erster entgegen. Seine Zahnspange funkel-te, als er mich rief. Sofort nahm er mir meinen Rucksack ab und umarmte mich. Am Ende der Treppe warten auch Chase und Barry, deren Begrüßung ebenso herzlich war. Besonders begeistert war ich, als ich meine Gepäckstücke entgegennehmen konnte. Die beiden Männer schleppten meine schweren Taschen und ich lief hinterher. Da saß ich wieder in diesem Truck und es war, als wäre ich erst gestern dort ausgestiegen. Barry drückte auf das Gaspedal und wir verließen die Tiefgarage. Gleich auf dieser ersten Straße begeister-ten mich die vielen Farben der Bäume und Büsche. South Carolina blühte. Alles war nicht nur voller Blätter sondern es strahlte in bunten Farben. Was waren es alles für Pflanzen, dieses pink, gelb, rot, rosa und weiß? Ich wusste, dass ich viel Zeit hatte, um all das genau herauszubekommen. All diese riesigen Rasen-flächen zu beiden Straßenseiten waren kurz gemäht und dieses Grün war satt und dunkel. Ich sah aus dem Fenster. Einiges erkannte ich noch vom letzten Besuch. All die Fragen, die im Auto gestellt wurden, verstand ich problemlos und so halbwegs konnte ich antworten. Barry fuhr schnell und eh ich mich versah, waren wir in Lancaster.
Carrie hatte wieder einen langen harten Arbeitstag hinter sich. Sie wartete zu Hause. Sie kam mir lächelnd entgegen. Sie strahlte über das ganze Gesicht, und ich muss wohl ungefähr genauso ausgesehen haben. Es ist einfach toll, sie nach so vielen E-Mails endlich wieder zu sehen. Wir lagen uns in den Armen. Das ist so ein Gefühl, bei dem man am liebsten die Zeit anhalten möchte, wo man vor Freude auf der Stelle zu heu-len beginnen könnte. Sie schaute mich mit großen Augen erwartungsvoll an.
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