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3 – Leben in der Salatschüssel

Wir wurden zum Essen gerufen. Auf dem Tisch standen Gläser für Weißwein. Erwin schenkte ein. Mitten auf dem Tisch war eine große, bunte Blumenschale aufgestellt. Doch es war keine Dekoration, es war unser Mittag. Peter wackelte mit der Nase wie ein Kaninchen und grinste. Mir war klar, was er damit sagen wollte, als er die niedlichen, kleinen, blauen Blümchen in der Salatschale sah. Später lernten wir, dass es Boretsch war. Jeder bekam eine Portion auf seinen Teller. Wenn Peter nicht wenigstens dieses halbe gekochte Ei bekommen hätte, wäre er wohl hungrig zum Mittagsschlaf angetreten. Zu Hause gibt es zum Salat meistens eine Fleischportion und Kartoffeln, aber hier reichte ein Stück Meterbrot zum Sattwerden. Grünes stand nicht nur auf der Speisekarte, es war, als wenn man in der Salatschüssel wohnt. Während wir durch die idyllische Gegend spazierten, roch es überall nach Thymian. Der Frühling leuchtete in allen Farben. Der Flieder blüh-te. Die Gingsterbüsche strahlten mit gelben Blüten.

Aber schon am Abend stellte sich heraus, dass Erwin ein leidenschaftlicher Koch war. Er verwöhnte uns täglich mit fünfgängigen Menüs. Wir haben dort Sachen gegessen, die ich sonst nur aus dem Fernsehen kenne. Unsere beiden Gastgeber liebten es, das Essen zu zelebrieren. Wir saßen oft über mehrere Stunden am Tisch. Zu jedem Gang wurde ein anderes Getränk gereicht. Selbst beim Einschenken gab es strenge Regeln in der Reihenfolge der Bedienung. Peter war der einzige, der Erwin etwas zur Hand gehen durfte. Uns Frauen war es meistens streng untersagt. Im besten Fall durften wir beim Abdecken oder beim Einräu-men der Spülmaschine helfen.

Am Morgen wachte ich auf, mir war kalt. Der größte Teil unserer gemeinsamen Bettdecke war nicht bei mir. Hier gab es kein dickes Federbett, keine Kuscheldecke und keine dicken Wollsocken, wie zu Hause. In Süd-frankreich war es nicht so warm wie erwartet. Aber vielleicht lag es auch daran, dass die Balkontür sperran-gelweit auf stand. Die Schwalben flogen dicht an der Tür vorbei. Im Hintergrund hörte ich Gesangsübungen. Es war leise und hörte sich an, als wenn sich ein Chor einsingt. Später erfuhr ich, dass Antje und Erwin mit diesem Ritual jeden neuen Morgen begrüßen. Nach den Tönen der Klangstäbe singen sie sich frei für den Tag. Was krabbelte denn da auf dem Fußboden? Ameisen! Eine richtige kleine, schwarze Straße führte an der Wand entlang. Ich stand auf um mir die Sache genauer anzusehen. Der Strich endete genau an meinem Rucksack. Nein, das war wirklich nicht nett! Warum denn immer bei mir? Ich untersuchte den Fall. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Mein Reiseproviant. In einer Papiertüte war noch ein schönes Ochsenauge. Der zuckersüßen Klecks Marmelade war es, was die Ameisen mochten. Dabei hätte ich diesen leckeren Keks noch gut essen können, aber nun nicht mehr! Vorsichtig schüttelte ich die Ameisen aus der Tüte und es dauerte nicht lange, bis auch die anderen ihnen nach draußen folgten.

Das Haus war groß. Wir Frauen verschwanden im Dachgeschoß. Mit viel Liebe, Zeit und Geld hatten sie diesen Raum ausgebaut. Es war Antjes Reich. In ihrem Leben hatte sie in vielen verschiedensten Jobs ge-arbeitet. Nun, an ihrem Lebensabend, nutzte sie verständlicherweise den größten Teil des Tages, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Sie genoss es, wenige Aufgaben zu haben. Das Kochen erledigte ihr Mann, zum Saubermachen hatten sie eine Putzfrau und mal beim Abwaschen oder beim Ausräumen der Spülmaschine zu helfen, bereitete ihr Freude. Sie beschäftigte sich mit dem Gießen der Balkonpflanzen, züchtete Kräuter in ihrem Garten. Sie lag in der Sonne und las. In ihrem Gesicht war immer ein Lächeln. Oft zog sie sich fünf bis sieben Mal am Tag um. Teilweise war es begründet, weil die Temperaturen sehr schwankten. Es war nicht so, dass sie sich besonders herausputzte. Ihre Sachen waren einfach, oft selbst genäht und jedes Klei-dungsstück hatte eine lange Geschichte. Zu jedem Outfit erschien sie mit neuer Frisur. Ihre langen, leicht gewellten, grauen Haare hatte sie manchmal hochgesteckt oder sie hatte leuchtende, farbige Tücher einge-bunden. Dörte hingegen sah zu jeder Zeit perfekt aus. In ihrem kleinen Köfferchen war natürlich die beste Urlaubsgarderobe eingepackt. Es waren schicke Sachen, sicher aus einer Boutique, denn sie gönnt sich gerne das ein oder andere teure Stück. Darüber allerdings machte sich „Klausimausi“, wie Dörte ihren Mann liebevoll nannte, keine Gedanken. Wenn er vor dem Fernseher die Börsenberichte anschaute, erfreute er die Menschheit mit klugen Ratschlägen zur sinnvollen Geldanlage. Es gab so viel Schönes in diesen Tagen und ich war sehr dankbar, dass wir diese Reise machen konnten.

Erwin war der beste Reiseführer. Er zeigte uns alles, was in dieser Gegend interessant war. Wir besuchten ein paar kleine Städte, krabbelten auf die Burg, schauten von Brücken, besichtigten einen Botanische Gar-ten und einen Weinkeller.
Besonders interessiert war ich an der Badestelle. Erwin lieferte Peter und mich in der Nähe ab, so dass wir noch einen kleinen Spaziergang zum Fluss machen konnten. Das Wasser schlängelte sich zwischen den Weinbergen hindurch. Es war eine tolle Gegend und wir waren ganz alleine. Jeder von uns suchte sich ei-nen Ast, um die Sachen aufzuhängen. Dann zogen wir unsere kleinen Taucheranzüge an. Peter war schnel-ler als ich. Er griff seine Maske und seinen Schnorchel und ging zum Wasser. Schon als der Fuß im Wasser war, begann er zu stöhnen. Aber er zeigte Mut und machte sich nass. Gerade als ich am Wasser war, kam er wieder heraus. An der warmen Luft ließ der Schmerz der Kälte nach. Nun versuchte ich es. „Huh!“ Es war wirklich kalt. Kam dieses klare Wasser vom Gletscher? Ich atmete tief durch und sprang hinein. Das kalte Wasser drang in den Taucheranzug. Es erwärmte sich nur langsam durch meine Körpertemperatur. Doch ich gewöhnte mich daran. Durch die vielen interessanten Steinplatten die das Flussbett begrenzten, war ich abgelenkt. Teilweise konnte ich den Grund nicht erkennen, weil es so tief war. Die Strömung war stark. Die kleinen Fische waren am Boden wie angenagelt. Ich schwamm dem Fluss entgegen und schaute in jede Bucht, ließ mir von den kleinen Wasserfällen den Rücken massieren oder mich vom Wasser treiben. Wie ein Fisch vergnügte ich mich im Wasser. Peter versuchte es noch ein weiteres Mal, doch er konnte es nicht aushalten in diesem kalten Wasser, da half auch kein Anzug.

Die Werke der Hausherrin waren einzigartig. Es waren Bilder und Collagen mit viel Farbe, deren Deutung viel Phantasie erforderte. In diesem Haus war eine langer Abschnitt von Antjes Leben ausgestellt. Die Jah-reszahlen der Bilder verrieten mir den Zeitpunkt der Herstellung. Antje war ihrem Stil immer treu geblieben. Sie hatte den Pinsel nur dann in die Hand genommen, wenn sie Lust dazu hatte. Vielleicht war es das, was Dörte mir zeigen wollte? Sie hatte schon immer an mein Talent geglaubt und gesagt, dass mehr in mir schlummere. Oft trösteten mich ihre Worte, wenn ich müde war von den sinnlosen Arbeiten. Sie ermutigte mich weiterzumachen. Ihre Meinung war, dass ich mir irgendwann einmal ein Stück von der großen Kunst abschneiden kann. Diese Hoffnung habe ich auch. Aber ich weiß, dass ich bis dahin meinen Anteil am Fami-lieneinkommen verdienen muss. So werde ich auch weiterhin Osterhasen und Weihnachtsmänner basteln und Kurse leiten. Aber den Weg zur Kunst werde ich nicht aus den Augen zu verlieren. In Frankreich hatte ich Zeit, meine Gefühle zu Papier zu bringen. Mit meinen Aquarellfarben entstanden schöne einzigartige Katzenbilder in Kombination mit Blumen.

Wir verbrachten wunderschöne und unvergessliche Tage in Frankreich. Auf der Heimreise unterbrachen wir unsere Fahrt und kehrten in ein Motel ein. Wir lieferten Dörte und Klaus wieder im Hagenow ab und erreich-ten glücklich Schwerin.