Lieber Zeuge,
ich muss mich entschuldigen, denn ich habe dir tatsächlich unbeabsichtigt unrecht getan, als ich meinen letzten Beitrag verfasst habe. Ich habe aus dem Auge verloren, dass du ursprünglich nicht von zwangsläufigen Entwicklungen sondern nur von Prädispositionen gesprochen hast. Ich denke Anlass für mein Missverstehen war deine Formulierung „Wenn unsere Einstellung eine so große Macht über unseren Köper hat, warum soll sie dann nicht auch unser Genom verändern können?“ – danke dir für die Klarstellung.
Tatsächlich kann ich deiner letzten Aussage insofern zustimmen, dass ich es durchaus wahrscheinlich finde, dass die Veranlagung zu einem bestimmten Verhalten verschwindet, wenn sie nicht länger genutzt wird, wohingegen neue Verhaltensmuster sich evolutionär durchsetzen und damit auch zur Veranlagung werden können. Ich denke der einzige Diskussionspunkt um den wir uns hier drehen ist die Frage nach der Funktionsweise und damit verbunden vielleicht auch der Wirkgeschwindigkeit.
Und hier sehe ich immer noch die zwei unterschiedlichen Standpunkte. Der von dir vertretene Standpunkt, dass sich das Gen eines Einzelnen durch dessen Verhalten „umprogrammieren“ lässt, mit dem Gedanken verbunden, dass der Geist eine gewisse Dominanz über den Körper ausübt.
Der andere Standpunkt ist, dass die Prädisposition sich langfristig (also über Generationen hinweg) entwickeln, und zwar in Folge von natürlicher Selektion, die das Überleben des „angepassteren“ Verhaltens eher sichert, als das des Nicht-Angepassten.
Beide Theorien haben in meinen Augen ihren Schwachpunkt. Von dem Schwachpunkt der Dominanz des Geistes über den Körper einmal abgesehen (zu dem ich mich ja bereits äußerte), sehe ich in deiner Interpretation der Fakten das Problem, dass eine solche direkte Entwicklung fast schon permanente Evolutionssprünge bedeuten würde. Wenn also ich als unmusikalischer Mensch lerne Klavier zu spielen, dann müsste mein Kind eine musikalische Veranlagung haben. Und zwar auch dann, wenn das Kind bei einem anderen Elternpaar aufwächst (es also nicht in der Erziehung liegt). Und wenn ich Rassist werde (mich also anderen gegenüber abwertend verhalte), dann wird es mit einer Veranlagung zum Fremdenhass geboren? Dies über Gene und nicht über Erziehung erklären zu wollen, scheint mir doch etwas zweifelhaft und auf eine Erklärung der Erbsündenlehre zielgerichtet zu sein. Aber das ist ja nur meine Meinung und muss kein Maßstab sein.
Die Frage für mich ist aber wie so oft, können wir (und damit meine ich nicht zwingend nur uns beide) zu einem gemeinsamen Nenner finden, auf dessen Basis wir im Respekt füreinander und damit auch der individuellen Ansicht des Einzelnen uns gegenseitig einräumen, dass alle Ansichten darüber hinaus Vermutungen, Theorien oder Glaubensinhalte darstellen?
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