Lieber Paulus, heute möchte ich dir einmal schreiben.

Seid Jahren kenne wir uns nun schon indirekt. Oft habe ich deine Zeilen, und die welche dir untergeschoben werden, gelesen. Nicht leichter Stoff, welchen du zum Besten gibst, für unsere heutige Zeit, doch leicht verständlich, wenn ich mich in deine Zeit – gedanklich – begebe, was allerdings oftmals nicht so leicht ist. Viele Bücher wurden über dich schon geschrieben, ja du bist interessant, nicht nur für Christen. Du bist ein „Objekt“ – entschuldige diese Bezeichnung - der Wissenschaften geworden. Was wurde nicht alles an Guten und Bösen über dich geschrieben und ich denke mir, du ahntest es schon, weshalb du im Vorfeld immer auch gleich zu relativieren wusstest. Oder wie ist sonst dein Stückwerk zu deuten, deine mahnende Vorsicht zur Prüfung. Nein dogmatisch wolltest dich nicht verstanden wissen und doch hast du genau das indirekt heraufbeschworen, als du Engel deinen Worten unterordnen wolltest.

Völkerapostel nannte man dich, gleich wohl du nur in deiner kleinen Welt unterwegs warst. Doch du warst eifrig im Reisen und eifrig bei der Flucht vor deinen Feinden. Es tat weh, diese Peitschenhiebe für deine Überzeugungen, und unverstanden fühltest du dich selbst von deinem besten Freund Barnabas, der dir einst die Wege ebnete. Viel hast du einstecken müssen und auch viel ausgeteilt. Das hat sich bis heute nicht geändert, vieles wird dir nachgesagt, Gutes und Schlechtes. Zum Guten, du warst ein Kämpfer für die Sache deines Himmlischen Christus, hast Heiden missioniert, hast durch eifriges Geldsammeln Juden unterstützt, hast gelitten für deinen Glauben, hast alle Register damaliger Rhetorik gezogen, um Menschen für deine Visionen zu gewinnen. Und dann das Böse. Sturkopf nennen dich so manche Theologen, Schriftverfälscher so manche Schriftgelehrten, Frauenhasser so manche Gläubigen und Gelehrte besonders aus der weiblichen Liga, Wendehals so manche Historiker, Schizophren so manche Tiefenpsychologen, einen Häretiker so manche aus deinem Volke, einen Platoniker und Stoiker so manche Philosophen, etc, etc.
Du siehst Paulus, die Meinungen zu dir haben sich seid deiner Lebenszeit und vor allem kurz nach deiner Lebenszeit nicht wesentlich geändert. Hat man dich deshalb ursprünglich in Vergessenheit geraten lassen? Waren es diese negativen Erklärungen, dass dein Name bis weit nach 100 n.Chr. einen denkbar schlechten Ruf hatte? Und lag darin der Grund, dass ausgerechnet ein Häretiker dich wieder entdeckte und erneut öffentlich bekannt machte? Nun, dir wurde dann schnell unglaubliches Zugedacht, nach deiner Verdammung bekamst du einen besonderen Ehrenplatz neben Petrus und wurdest zum endgültigen Bestandteil des nun erwachenden Christentums der Heiden. Deine Mühe hat sich also gelohnt, auch wenn du fast 50 Jahre auf den Erfolg warten musstest. Und nun ebbt seid einigen Jahren erneut die Diskussion auf, wer war dieser Mann Paulus und schon wieder zieht man dir das heilige Mäntelchen aus, welches dir die Kirche so mühsam zusammen gestrickt hat. Diese Bösen Theologen, diese bösen Historiker, Religionswissenschaftler und Ungläubigen, was wollen sie denn alle nur? Eine berechtigte Frage Paulus, denn du hast uns mit vielen Fragen über dich und deine Aktionen zurück gelassen und auch christliche Geschichtsglättung – übrigens waren sie Meister in dieser Sache – hat nicht geholfen, Antworten auf dich und deine Mission zu geben. Und stell dir vor lieber Paulus, erneut waren es Leute aus deinem Volk, die dir kräftig nachspionierten und die dir ganz besonders innig auf deine Schreibfinger und auf die Schreiber über dich schauten. Und stell dir vor, noch etwas seltsames geschah, vor einigen Jahren fand man einige Schriftrollen in der Nähe von Qumran, den Ort kennst ganz sicher noch bestens, da wurde plötzlich so manches klar über dich und deine Aussagen, was niemand vorher so klar erahnt hatte. Denn deine Nachfolger haben die sog. Essener immer tunlichst überall verschwiegen, ja man ging sogar soweit deren Lehren den Pharisäern unterzuschieben. Ab dieser Entdeckung wusste man plötzlich auch warum. Kann es sein lieber Paulus, dass du ein wenig zu viel von ihren Lehren proklamiert hast? Die Ähnlichkeiten sind doch sicher kaum Zufälle oder doch? Und kann es sein, dass gerade dieser irdische Jesus ein erbitterter Gegner dieser Essener war – die in den Evangelien wundersamer Weise zu Pharisäern wurden, weil ihr Glaube nicht selten den Rahmen des jüdischen Glaubensverständnisses sprengte? Und du bedienst dich dieser Lehren? Das lässt Fragen aufkommen lieber Paulus, die ein ganz neues Licht auf dich werfen, gleich wohl schon früh jüdische und christliche Religionswissenschaftler einen gewissen Verdacht hegten. Was hast du denn die vielen Jahre in der Wüste Arabia = Qumran gemacht? Du weißt sicher doch selbst, dass du nie in Arabien, damals sehr weit weg, warst. Nun, wir wissen ja mittlerweile sehr genau, was mit Wüste Arabia gemeint war und lieber Paulus du hast selbst nie ein Geheimnis daraus gemacht, wenn man deine Worte damals hörte oder las.

Oft habe ich über dich und deine Beweggründe nachgedacht und oft fragte ich mich oh Paulus wie konntest du vom Saulus zum Paulus werden. War dir dein römischer Name so wertvoll geworden oder ist es so, dass du mit deiner eigentlichen früheren Identität brechen wolltest? Und was war das für eine Identität. Woher kennst du so gut die Stoiker und Platonisten? Das lässt auf eine überaus tiefe philosophische Bildung schließen, die man nicht so am Straßenrand erwarb. Noch mehr frage ich mich jedoch, woher kanntest du die Schule des Philo so gut. Ja sicher, er war hellenistischer Jude wie du, betrieb Mission genau nach dem gleichen Strickmuster wie du, doch er tat es vor deiner Zeit. Sicher, ich weiß Philo und die Essener sind miteinander sehr eng verwoben und eventuell liegt da der Schlüssel zu meiner Frage, doch es waren genau diese, welche sich dir später insbesondere unter den Heiden anschlossen. Oder liegt das Geheimnis in den verschwunden Briefen, welche von dir bekannt sind und Alexandrien, dem geistigen Zentrum der Antike damaliger Zeit und Hauptsitz der Philogemeinschaft, gewidmet waren. Sie sollen überaus zahlreich gewesen sein und du selbst sollt dort gewesen sein wie man aus anderen Quellen hört. Dein großer Gönner Marcion kannte diese Kontakte noch und er selbst gehörte zu den Gnostikern, die dich hoch und heilig verehrten. Du siehst, es umranken dich so manche Geheimnisse und viele offene Fragen.

Wenn du lieber Paulus wüstest, was mit deinem Schriftgut und so manchem, was dir irrtümlich untergeschoben wird geschah, auch du wirst es sicher aus den Himmeln vernommen haben. Heilige Schriften nennt man diese jetzt. Hättest du das geahnt, ich glaube dir aufs Wort, du hättest sicher anders geschrieben. Was ich sehr merkwürdig finde ist allerdings, dass du, der nie die Schriften wörtlich nahmst, sondern nach deinem Gutdünken frei interpretiertest und rezitiertest nun wörtlich genommen wirst. Selbst die unglaublich vielen Textstellen, welche man heute als Apokryphen oder Pseudepigraphen bezeichnet und deshalb als unheilig gelten, die du aber zitierst, werden heilig genannt. Ist das nicht wirklich merkwürdig? Ja und deine stoischen und platonischen Aussagen wurden auch zur Heiligkeit erhoben. So funktioniert Religionsgeschichte lieber Paulus und du hast etlichen Beitrag durch dein seltsames Reden dazu beigetragen. Du ahnst ja nicht welchen Zwiespalt dein Zwiespalt zur Tora und dessen Geboten, die du merkwürdiger Weise ganz unjüdisch als reine juristische Gesetze bezeichnest, hervorgerufen haben. Paulus einmal ganz ehrlich, du wusstest doch auch, dass kein Jude glaubte durch eine Torabefolgung ins Königtum der Himmel zu gelangen. Nicht einmal deine Erzfeinde die Sadduzäer, welchen du einstmals dientest – auch so eine Besonderheit in deinem Lebenslauf – glaubten das. Kann es sein, dass du oder waren es spätere Redakteure hier etwas mit hellenistischen Ansichten verweckselten: Kultfrömmigkeit führt zum Olymp? Wie dem auch sei, dein Umgang mit der Tora war ziemlich salopp laut deinen Aussagen und so manches Gemüt hast damit sicher verschreckt und es wundert mich nicht, dass der Oberboss Jakobus dem Einhalt gebot.

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