Liebe Mirjamis, du kannst mich aber auch in Anspruch nehmen - lach -.
Ich will mich versuchen kurz zufassen, bei diesem Punkt. Es wird sicher wieder länger…
Paradoxer Weise ist es vor allem Randgruppen, wie Marcioniten, Gnostikern (vornehmlich Alexandria), philosophisch ausgerichtete Hellenistenchristen und anderen Strömungen zu verdanken, dass die Diskussion um Paulus lebendig blieb. Gerade diese Gruppen beanspruchten die Lehren des Paulus für sich und bildeten einen massiven Gegenpol zu der werdenden „judenchristlichen“ Gemeinschaft. Diese formierte sich nach 70 neu (Zerstörung des Tempels, Ende der Urgemeinde, Tod aller Apostel und Augenzeugen Jesu, etc), orientierte sich aber noch immer wesentlich an Jakobus und Petrus und den Vorgaben der Jerusalemer Gruppen, löste sich jedoch zunehmend aus den Synagogen und bildete eigene Gemeinschaften – oft Mischgemeinschaften von Heidenchristen und Judenchristen. Und noch ein zweiter Fakt spielt hier eine Rolle, der noch überhaupt keine Erwähnung fand, die Gruppen, die sich um die sog. alexandriensche Schule („Johanneskirche“) scharte (sog. Philochristen), die einen ebenso starken Gegenpol zu den Jerusalemer Gruppen- und besonders zu Antiochia entwickelten (ab ca. 100 - 120). Diese drei Gruppen konkurrierten zunehmend gegeneinander und schufen innerhalb des sich ausbildenden Christentums tief greifende Zerwürfnisse. Nur durch den äußeren Druck der Illegalität (Nichtanerkennung des christlichen Glaubens als eigenständige Religion im Imperium) blieb dieser Konflikt weitestgehend auf Verbalkämpfe (Mission, Gegenmission, Heilsabsprechungen, Ketzerbeschimpfungen, Häresievorwürfe, etc) beschränkt. Gewinner waren letztendlich die, welche sich zunehmend mit dem Imperium arrangierten und einen Gewissen Grad an geduldeter Legalität (ab 160 – 180) für sich vom Imperium erkämpften und erkauften. Und genau hier beginnt zunehmend der Einfluss der römischen Kirche, die im Herzen der Imperialen Macht - Rom, den größten Rückhalt vom Imperium hatte. Von hier aus begann zugleich die Sammlung der Christen und die Formierung der Kirche, welche sich nun katholisch also Allumfassend verstand. Rom wurde zunehmend zum Endscheidungsfaktor für die Ausrichtung des Christentums zu einer eigenständigen und selbstständigen Religion. Dazu war es notwendig Einheit und Verbindlichkeit herzustellen und zugleich die vielen konkurrierenden Machtmonopole auszuschalten. Rom beanspruchte für sich den „Stuhl Petri“ und erfand dazu die Sonderrolle des Papsttums und Oberhirten. Zugleich begann in diesem Zeitraum der intensive innerchristliche Streit um ein eigenes verbindliches Schriftgut, welches als Gegenpol zu den bis dato allein als verbindlich anerkannten alten Schriften (Tanach und Septuaginta), die jedoch für Heidenchristen kaum Stellenwert besaßen, gebildet werden mussten. Und noch ein Punkt spielt eine große Rolle, nach dem Ende der Urgemeinde und den Verfolgungen der Juden durch Rom, die ebenso die Judenchristen traf, weitestgehend aber Heidenchristen verschonte, verschob sich das Gewicht an Mitgliedern zugunsten der Heiden, also Nichtjuden in den Gemeinschaften deutlich und ziemlich abrupt. Es entstand so zusagen ein judenchristliches Vakuum, welches nicht mehr gefüllt - und somit von der Interessenslage überflüssig wurde. Faktisch, es gab einen Überlieferungsverlust urgemeindlicher Lehren durch Juden und zugleich eine andere Bedarfsorientierung, die auf jüdische Belange, welche für Heiden nicht galten (Apostelkonzil) keine Rücksicht mehr nehmen musste.
Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die judenchristliche Akzeptanz innerhalb der Synagogen schon vor 70 deutlich abnahm.
Also auch hier ein ganz vielschichtiger Prozess, der in seiner Gesamtheit einzeln beleuchtet werden muß, um entsprechende Entwicklungen klar herauszustellen.
Marcion stellte mit seinem ersten heidenchristlichen Kanon genau diese Situation dar. Alle jüdischen Elemente verschwinden aus dem Gesichtskreis und Marcion schreckt als erster auch nicht davor zurück, vorhandenes Überlieferungsgut der neuen historischen Situation anzupassen. Dabei beruft er sich auf seinen Vorreiter Paulus und nennt ihn als Garanten für die „neue Kirche“, welch unabhängig jeglicher urgemeinschaftlichen Überlieferung ihren Weg gehen muß. Marcion war der erste, der erkannte und öffentlich aussprach was viele dachten, das mit einem Judenmessias, der zugleich auch noch als Rebell gegen Rom und den Kaiser (Tacitus Annales) hingerichtet wurde, kein „Staat“ zu machen, war, sprich die legatio – öffentliche staatliche Anerkennung - verweigert blieb. Zugleich forderte er öffentlich und längst nicht alleine, dass sich das Heidenchristentum vom Judentum lossagt, welches durch seinen Ungehorsam gegen Rom zunehmend in Ungnade fiel und faktisch für Vogelfrei erklärt wurde, was auch Heidenchristen zunehmend – da sie mit dem Judentum in Verbindung gebracht wurden – erleiden mussten. Zudem erwies sich das Judentum denkbar ungeeignet als Integrationsbecken für verschiedene Völker. Der Selbstanspruch des Judentums, Glaube, Volk und Land, sind denkbar schlechte Missionsgrundlagen. Universalismus wäre hier das treffende Schlagwort, für Missionsgrundlage, nämlich sich auf die Bedürfnisse der jeweiligen Umgebung einzustellen. Das konnte das Judentum noch nie leisten und die Ursprungslehre Jesu sah das auch nicht vor (geht nicht in die Städte der Heiden, etc).
Wir sehen hier den ersten offensichtlichen Theopolitisch durchdachten Ansatz für eine Trennung von Judenchristen und Heiden, der später auf die Überlieferungskultur einen vehementen Einfluss nehmen sollte (Nicht Römer sind Feinde Jesu, sondern Juden werden es).
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