Und noch etwas fällt bei den frühen Kirchenvätern sehr auffällig auf, die seltene Erwähnung von Paulus und besonders seiner Briefliteratur. Z.B. einer der ganz frühen Bischöfe war Ignatius (107-110, wahrscheinlich seit 68 Bischof von Antiochia). Er hat kaum Kenntnisse über Paulus und lediglich zwei Textstellen lassen auf eventuell Kenntnisse zur Briefliteratur des Paulus erkennen. Und das bei sieben überlieferten Briefen! Das lässt wahrlich aufhorchen und zeigt, wie schnell Paulus in Antiochia vergessen war.
Noch deutlicher wird die Kritik an Paulus, an einem Schriftfund einer sog. Epistula Petri. Wissenschaftler sind sich ziemlich einig, dass es sich um eine Kampfschrift gegen Paulus und dessen Anhang handelte, die mehrfach von Kirchenvätern erwähnt wird und von deren Sorte es zahlreiche ähnlich gelagerte Schriften gab. Hier wird, was man sonst nicht mehr finden kann (Gründe siehe oben) ganz unverblümt der Konflikt aufgezeigt. Bereits im 2. Kapitel dieser Schrift werden dem Namensträger Petrus Worte zu Jakobus übermittelt, welche vor drohenden Spaltungen waren, welche sich jetzt schon aufzeigen. Weiter heißt es: „Einige Heiden haben die Gesetzespredigt des Petrus zurück gewiesen und statt dessen eine gesetzlose und unsinnige Lehre angenommen, dessen Urheber der „feindliche Mensch“ sei.“ Nun wird im Anschluss explizit auf Gal. 2/ 11- 14 eingegangen, also auf Paulus: und spricht davon, wie Petrus von diesem Menschen verleumdet wurde, „was die Handlung Satans in diesem Verleumder offenbar macht“. Im weiteren Verlauf wird es dann noch deutlicher: „ Seine Verleumderischen Aktivitäten erweisen sich zudem als durchaus erfolgreich.“ Und Petrus rechnet mit dessen Ausbreitung unter den Heiden, nach dessen Tod, ja sie ist schon geschehen. Zugleich wird in dieser Kampfschrift vor Augen geführt, dass nur der ein wahrer Apostel sein kann, der durch den irdischen Jesu eingesetzt wurde. Im Kapitel XVII 19 wird dann das ganze Ausmaß der Kritik beim Namen genannt: „Selbst wenn Jesus dem falschen „Simon“ = Paulus begegnet wäre, so müsste doch noch immer gefragt werden, wie es möglich sei, dass Jesus ihnen nichts persönlich von der Berufung gesagt habe. Und: Ein ganzes Jahr lang seien die Jünger und Petrus bei Jesus in der Ausbildung (Lehre) gewesen und nun solle dieser Jesus dem falschen „Simeon“ die Entgegengesetzte Lehre wie diesen offenbart haben? Das, so sagte/ lehrte Petrus sei unmöglich“. „Zudem, wäre Paulus ein echter Apostel gewesen, hätte er sich Petrus nicht widersetzt und hätte ihn auch nicht öffentlich verleumdet, sondern wäre sein Mitarbeiter geworden“. In Hom. XI 35, 5 wird der Bogen sogar soweit ausgedehnt, dass auf Paulus das Jesus Wort von falschen Lehrern und Propheten bezogen wird (Matth. 24/5). (Interessant ist hier die Übersetzung diese Matth, zitates!)
Diese Streitschrift aus dem 2. Jahrhundert ist die schärfste Schrift gegen Paulus und seinen Anhang, der überlebt hat, doch wie schon ausgeführt, sie ist neben den Zeugnissen der frühen Kirchenväter bei weiten nicht die Einzige gewesen und greift wesentlich ältere Traditionen, die bis in die Zeit von Paulus selbst reichen auf (siehe oben).
Als Gegensatz dazu ist auch interessant, wie sich das Frühchristentum außerhalb der paulineschen Lehre entwickelte. Auch hier gibt es kaum noch Schriftzeugnisse, die Gründe dafür habe ich oben schon angeführt, wobei auch der Islam hier eine tragende Rolle spielte. Allerdings finden wir bei den Kirchenvätern davon Zeugnisse wieder und diese werden durch immer zahlreicher werdende archäologische Befunde teilweise erhärtet. Schaut man nach Persien, so zeigte sich ein ganz anderes Frühchristentum, das bereits kurz hinter Damaskus seinen Wirkungsgrad hatte. Deutlich wird das an den sog. Elkesai, welche später von der Kirche, wie alle judenchristlichen Gruppen als Ketzer verfolgt wurden. Sie beriefen sich ebenso auf die Apostel und ihre Lehren und hier direkt auf Jerusalem, also die Urgemeinde. Sie praktizierten die Beschneidung ebenso, wie Bußtaufe, rituelle Waschungen, Gebete in Richtung Jerusalem, etc, etc. Paulus war ihnen gänzlich unbekannt und sie erschienen eher jüdisch. (Epiph. Haer. 19, 3, 5) An diesem Beispiel, es gibt noch etliche mehr, zeigt sich, dass es ganz unterschiedliche Lehransichten gab und diese überhaupt nicht mit den Lehren des Paulus vereinbar waren.
Man könnte jetzt noch auf den Jakobusbrief eingehen, der wie 1. Clemensbrief (ca. 70 - 90 n.Chr.) bereits richtig ausführt, eine Relativierung der Pauluslehren darstellt. Man könnte noch auf 2. Petrusbrief (ca. 120 n.Chr.) eingehen, der in Kapitel 3 / 15 ebenso auf Schwierigkeiten mit dem Verständnis zur Paulusbriefliteratur eingeht. (Hatte Paulus deshalb Briefe geschrieben, damit man sie nicht richtig versteht? Auch das fragte man sich schon sehr früh!)
Man könnte noch erwähnen, warum Paulus zum Schirmherrn der gnostischen Literatur des Frühchristentums wurde und diese besonders fest an Paulus hielten, ja eigentlich ganz wesentlich sein Brieferbe bewahrten! Man könnte anführen, warum der Judenhasser und Bischof Marcion (um 144) 10 (teilweise heute unbekannte) Paulusschriften und teile aus Lukas für einzig wahr und glaubwürdig erklärte (Er war der erste, der christliche Schriften zu einem Kanon verband).
Man könnte seitenlang ausführen warum Paulus für die Kirche plötzlich so bedeutend wurde, denn dazu gab es ganz triftige Gründe.

Du siehst Mirjamis, die Thematik ist unglaublich tiefgehend und schon nur an den wenigen Beispielen zeigt sich, das dass N.T. nur einen kleinen Teil und Hinweis auf historische Verhältnisse werfen kann und will. Wenn man allerdings etwas genauer hinschaut, kann man sehr wohl so manches erkennen. Die spätere kirchliche - redaktionelle Bearbeitung der Urgemeinde und des Frühchristentums hat genug Spuren hinterlassen, welche aufzeigt, dass es nie eine Idealgesellschaft war, sondern schon sehr früh durch verschiedenste Persönlichkeiten und hier war Paulus nur einer von Vielen – das wird auch immer wieder außer Acht gelassen - war.
Das Paulus am Ende fast allein dastand, fast alle seine Weggefährten verlor, seine Gemeinden ihm den Rücken kehrten, ist ein historisch belegbarer Fakt, den das N.T. sogar selbst bestätigt. Allerdings werden die Hintergründe nur versteckt angeführt und nur durch Quellenstudium in ihrer ganzen Tragweite sichtbar und offenbar. Einmal hinter die Kulissen zu schauen lohnt sich wirklich, sollte aber grundsätzlich nicht das persönliche Verhältnis zu Gott beeinträchtigen, es sei denn man frönt einem Buchstabenglauben.

Du schreibst auch von Schriftgut, das dem Paulus "irrtümlich" zugeschrieben wurde. Sind das Briefe aus dem Neuen Testament? Und welche?
Richtig. Hierzu folgende Auflistung:

Die sieben echten Paulusbriefe

Der erste Thessalonicherbrief
Der erste Korintherbrief
Der zweite Korintherbrief
Der Galaterbrief
Der Philipperbrief
Der Philemonbrief
Der Römerbrief

Ich verweise diesbezüglich auf eingehende Fachliteratur.

Ich hoffe ich konnte etwas Licht in die Fragen bringen!

Absalom