Du schreibst: "Du siehst Paulus, die Meinungen zu dir haben sich seit deiner Lebenszeit und vor allem kurz nach deiner Lebenszeit nicht wesentlich geändert. Hat man dich deshalb ursprünglich in Vergessenheit geraten lassen? Waren es diese negativen Erklärungen, dass dein Name bis weit nach 100 n.Chr. einen denkbar schlechten Ruf hatte? Und lag darin der Grund, dass ausgerechnet ein Häretiker dich wieder entdeckte und erneut öffentlich bekannt machte?"
Dass Paulus zunächst in Vergessenheit geraten ist und Paulus einen schlechten Ruf hatte, das ist mir neu.
Warum dieser schlechte Ruf?
Und wie kam es, dass Paulus dann doch so bekannt wurde?
Liebe Mirjamis, hier greifst du eine Thematik auf, welche bei weitem das Forum sprengen würde, denn damit begeben wir uns weit über den Rahmen des N.T. hinaus, in die frühe Kirchengeschichte und dessen unglaublich reiche Schrifthinterlassenschaften. Man kann dies unmöglich mit zwei drei Sätzen beantworten, weil dazu eine umfangreiche Quellenanalyse und vor allem deren Erwähnung von Nöten wären. Die Fachliteratur zu dieser Thematik ist zudem unglaublich Reichhaltig und vor allem, es ist wahnsinnig viel Lesestoff. Das muß ich einfach vorweg anführen.
Allein schon die neutestamentlichen Hinweise zu dieser Thematik sind so zahlreich, man kann sie unmöglich hier abarbeiten.
Ich möchte jedoch versuchen und es wird ganz sicher ein langer Text, einmal einen ganz kleinen historischen Abriss aufzuzeigen, welcher auch die Komplexität der Thematik sichtbar werden lässt.
Das werden des Frühchristentums ist keine homogene Entwicklung gewesen, sondern sie fand beeinflusst durch dessen Lehrer, Missionare, Apostel, Propheten, etc, in verschiedenen Facetten statt. Das wir heute nur sehr wenig darüber wissen liegt schlicht und ergreifend darin begründet, dass mit dem kirchlichen Zentralismus (kath. Kirche – als Einheitskirche 3 – 7 Jahrhundert) alle anderen christlichen Entwicklungen verdrängt oder ausgerottet wurden und zugleich auch dessen Schriftkultur verloren ging (Ketzerverfolgungen, Schriftvernichtungen, etc). Das begann, wie man historisch belegen kann also schon sehr früh. Allerdings hat sich auch aus diesem Grund einiges darüber erhalten (in sog. Adversusschriften - Antischriften, historischen Kommentaren, apologetischen Abhandlungen), dass noch genug Licht auf diese Frühzeit erhellt und vor allem Zitate überliefert hat. Zudem kam auch die Schriftarchäologie zu manch sensationellen Funden, die so manches aus diesem apostolischen Schriftgut erhellt und vor allem bestätigt hat. Aus dieser Summe der Quellen kann man schon ziemlich genau rekonstruieren und auch schriftlich belegen, welcher Zeitgeist in welchem Jahrhundert vorherrschend war und dies sogar sehr oft regional fest machen.
Ein klassisches Beispiel liefert hier folgende Aussage: ”Das weißt du, dass sich von mir abgewandt haben alle, die in der Provinz Asien sind” (2Tim 1,15) (alle, nicht nur einige!!!).
Justin (um 100 - 165) beschreibt in seinen Briefen die tiefen Zerwürfnisse nach Paulus auf, welche besonders auf Asien und Palästina zutreffen, obgleich er den Namen von Paulus nicht ein einziges Mal anführt. Er spricht davon, dass noch immer der Kampf um das Evangelium tobt. Denn ein Teil fordert den Anschluss der Heidenchristen an das Judentum, was auf Apostellehre zurück geht, „damit Heiden Christen sein können“; und ein anderer Teil, besonders hellenistische Juden, fordern hingegen lediglich bestimmte Bedingungen zu erfüllen, was ebenso auf Apostellehre zurück geht, „damit Heiden Christen sein können“ (Dial Tr. 46 + 47/ 2-3)
Das Justin alle Apostel erwähnt, jedoch Paulus nicht einmal nennt, lässt ebenso tief blicken und zeigt die angespannte Lage auf.
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