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  1. #21
    Isaak Gast

    Blinzeln Spaß an der Sache

    Stimmt, die Fragen von Mirjamis bleiben einem Nichtstudiertem bis hier hin offen. Selbst wenn ich mir ebenfalls zutrauen würde die Fragen beantworten zu können, so lasse ich diese, so aus Spaß an der Sache, doch lieber gerne von unserem lieben Absalom beantworten.

    Shalom

    Isaak

  2. #22

    Standard

    Hallo Isaak,

    natürlich kannst du die Fragen auch beantworten - oder wer immer will.

  3. #23

    Standard

    Ja Isaak, nur zu, auch ich kann noch gerne und möchte dazu lernen und vor allem verschiedene Einsichten und Ansichten kennen lernen.

    Absalom

  4. #24
    luxdei Gast

    Standard

    Lieber Absalom, lieber Issak,

    danke für Eure Briefe. Sie sind kurzweilig, lehrreich und den Wissensappetit fördernd :-)
    Deshalb setze ich mich mal zu Mirjamis und Inara, und harre erwartungsvoll Eurer Ausführungen.
    Und für die Wartezeit
    für alle.

    LD

  5. #25

    Standard

    Du schreibst: "Du siehst Paulus, die Meinungen zu dir haben sich seit deiner Lebenszeit und vor allem kurz nach deiner Lebenszeit nicht wesentlich geändert. Hat man dich deshalb ursprünglich in Vergessenheit geraten lassen? Waren es diese negativen Erklärungen, dass dein Name bis weit nach 100 n.Chr. einen denkbar schlechten Ruf hatte? Und lag darin der Grund, dass ausgerechnet ein Häretiker dich wieder entdeckte und erneut öffentlich bekannt machte?"

    Dass Paulus zunächst in Vergessenheit geraten ist und Paulus einen schlechten Ruf hatte, das ist mir neu.
    Warum dieser schlechte Ruf?
    Und wie kam es, dass Paulus dann doch so bekannt wurde?

    Liebe Mirjamis, hier greifst du eine Thematik auf, welche bei weitem das Forum sprengen würde, denn damit begeben wir uns weit über den Rahmen des N.T. hinaus, in die frühe Kirchengeschichte und dessen unglaublich reiche Schrifthinterlassenschaften. Man kann dies unmöglich mit zwei drei Sätzen beantworten, weil dazu eine umfangreiche Quellenanalyse und vor allem deren Erwähnung von Nöten wären. Die Fachliteratur zu dieser Thematik ist zudem unglaublich Reichhaltig und vor allem, es ist wahnsinnig viel Lesestoff. Das muß ich einfach vorweg anführen.

    Allein schon die neutestamentlichen Hinweise zu dieser Thematik sind so zahlreich, man kann sie unmöglich hier abarbeiten.

    Ich möchte jedoch versuchen und es wird ganz sicher ein langer Text, einmal einen ganz kleinen historischen Abriss aufzuzeigen, welcher auch die Komplexität der Thematik sichtbar werden lässt.

    Das werden des Frühchristentums ist keine homogene Entwicklung gewesen, sondern sie fand beeinflusst durch dessen Lehrer, Missionare, Apostel, Propheten, etc, in verschiedenen Facetten statt. Das wir heute nur sehr wenig darüber wissen liegt schlicht und ergreifend darin begründet, dass mit dem kirchlichen Zentralismus (kath. Kirche – als Einheitskirche 3 – 7 Jahrhundert) alle anderen christlichen Entwicklungen verdrängt oder ausgerottet wurden und zugleich auch dessen Schriftkultur verloren ging (Ketzerverfolgungen, Schriftvernichtungen, etc). Das begann, wie man historisch belegen kann also schon sehr früh. Allerdings hat sich auch aus diesem Grund einiges darüber erhalten (in sog. Adversusschriften - Antischriften, historischen Kommentaren, apologetischen Abhandlungen), dass noch genug Licht auf diese Frühzeit erhellt und vor allem Zitate überliefert hat. Zudem kam auch die Schriftarchäologie zu manch sensationellen Funden, die so manches aus diesem apostolischen Schriftgut erhellt und vor allem bestätigt hat. Aus dieser Summe der Quellen kann man schon ziemlich genau rekonstruieren und auch schriftlich belegen, welcher Zeitgeist in welchem Jahrhundert vorherrschend war und dies sogar sehr oft regional fest machen.

    Ein klassisches Beispiel liefert hier folgende Aussage: ”Das weißt du, dass sich von mir abgewandt haben alle, die in der Provinz Asien sind” (2Tim 1,15) (alle, nicht nur einige!!!).

    Justin (um 100 - 165) beschreibt in seinen Briefen die tiefen Zerwürfnisse nach Paulus auf, welche besonders auf Asien und Palästina zutreffen, obgleich er den Namen von Paulus nicht ein einziges Mal anführt. Er spricht davon, dass noch immer der Kampf um das Evangelium tobt. Denn ein Teil fordert den Anschluss der Heidenchristen an das Judentum, was auf Apostellehre zurück geht, „damit Heiden Christen sein können“; und ein anderer Teil, besonders hellenistische Juden, fordern hingegen lediglich bestimmte Bedingungen zu erfüllen, was ebenso auf Apostellehre zurück geht, „damit Heiden Christen sein können“ (Dial Tr. 46 + 47/ 2-3)
    Das Justin alle Apostel erwähnt, jedoch Paulus nicht einmal nennt, lässt ebenso tief blicken und zeigt die angespannte Lage auf.

  6. #26

    Standard

    Paulus wird in den Mund gelegt und diese Aussage kann wirklich von ihm beklagt sein, dass sich ganz Asien, also sein Hauptbetätigungsfeld von ihm abgewandt hat, dass ist überaus deutlich und muß ihn unglaublich getroffen haben. Doch warum geschah das, was ist der Hintergrund dafür und vor allem wie kommt es, dass dieses Zerwürfnis bis Justin bestand hatte? Um diese Fragen zu beantworten, reicht es nicht mehr allein aus das N.T. zu konsultieren, sondern man muß zu den Zeitgenossen dieser Geschehnisse durchdringen und hier wird es äußerst schwierig, denn hier hat die spätere - kirchliche Zensur und Redaktionsarbeit „gute“ Arbeit – im negativen Sinne - geleistet. Denn es wurde so gut wie alles „judenchristliche“ Schriftgut vernichtet. Allerdings wenn das, was wir kennen nur die Spitze des Eisberges darstellen sollte, so kann man sehr klar erkennen, was wirklich für ein tiefer Konflikt herrschte und das eben schon zu den Lebzeiten des Paulus.
    So berichtet Eusebius, dass bereits von Anbeginn bei den „Juden“ (Judenchristen) das Apostolat des Paulus umstritten war und er später auch offiziell abgelehnt wurde, überall! (Haer 126, 2; Harvey 213; Hist. Eccl. III 27,4; etc) Damit bestätigt Eusebius die Aussage des Paulus und mehr noch, Paulus selbst gibt genaue Detailinformationen, was geschah und genau das deckt sich mit den Aussagen von Justin: Gal 2, 12: ”Bevor einige von Jakobus kamen, aß er (Petrus) mit den Heiden; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus dem Judentum fürchtete”. ”Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du dann die Heiden, jüdisch zu leben” (Gal 2,14) Mit dem durch Paulus verursachten Zwischenfall hatte Paulus das Jerusalemer Übereinkommen gebrochen. Dort war nur vereinbart, dass Heidenchristen gesetzesfrei leben durften. Für Judenchristen hatte sich nichts geändert, d. h. es war ihr gutes Recht, die Gesetzeserfüllung ernst zu nehmen. Hier beginnt der Konflikt, den Paulus in einem öffentlichen Brief sogar noch zuspitzt. Als Paulus fünf Jahre später den Zwischenfall im Galaterbrief dokumentierte, muß die Empörung gegen ihn “weltweit” gewesen sein. Man hatte in Antiochia nicht verstanden, warum Paulus Petrus öffentlich getadelt hatte. Absolut unverständlich war, weshalb Paulus den Vorfall auch noch in seinem Galaterbrief kundgeben mußte, so dass Petrus vor aller Welt bloßgestellt ist: Der Galaterbrief mußte von liberalen Judenchristen als Kampfansage verstanden worden sein. Paulus schreibt, dass es gerade für Juden darauf ankommt, zu erkennen, dass niemand aus Gesetzeswerken gerecht wird (Gal 2,16) und “In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern eine neue Kreatur” (6,15).
    “Wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, habt ihr Christus verloren und seid aus der Gnade gefallen” (5,4). “Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus” (3,28).
    Damit sprengte Paulus jegliche Abmachungen die einst getroffen wurden und schuf den tiefen Konflikt zwischen Jerusalemer Urgemeinde und seiner Fraktion. Damit hatte Paulus die Sonderstellung der Urgemeinde in Frage gestellt: “In Christus” waren alle hergebrachten religiösen, kulturellen und sozialen Besonderheiten und die sich darauf gründenden Ansprüche aufgehoben. Mehr noch, jetzt zeigt sich, wie dieser Konflikt zu wirken beginnt: Nach dem Zwischenfall in Antiochia war die Kephas-Partei enstanden und viele Christen, die Paulus ursprünglich wohlgesonnen waren, hatten für Petrus Partei gegen Paulus ergriffen. Der Beginn der Spaltung war damit eingeleitet. Die „jüdische Fraktion“ fordern die Beschneidung der Heidenchristen als Bedingung des Heils (Gal 5,2; 6,12f), sie betreiben eine Gegenmission gegen die Mission des Paulus.
    Sie verkünden ein „anderes Evangelium“ (1,6), sie „verwirren“ die Galater (1,7; 5,10) und „hetzen sie auf“ (5,12), sie fordern die Beobachtung des Festkalenders (4,10). Was sie lehren und fordern, nennt Paulus „Werke des Gesetzes“ (3,2.5), „durch das Gesetz gerecht werden wollen“ (5,4). Wer ein anderes Evangelium verkündigt als das des Paulus, der „sei verflucht“ (1,8f). Paulus ignoriert jegliche Vereinbarungen und setzt mit seiner Argumentation zum Gegenschlag an.
    Deutlich geht es eigentlich nicht und genau hier zeigt sich die Reaktion der Urgemeinde auf Paulus in der Apg: 21/ 20 Als sie das hörten, priesen sie Gott und sagten zu ihm: Du siehst, Bruder, wie viele Tausende unter den Juden gläubig geworden sind, und sie alle sind Eiferer für das Gesetz.21 Nun hat man ihnen von dir erzählt: Du lehrst alle unter den Heiden lebenden Juden, von Mose abzufallen, und forderst sie auf, ihre Kinder nicht zu beschneiden und sich nicht an die Bräuche zu halten. 22 Was nun? Sicher werden sie hören, dass du gekommen bist. 23 Tu also, was wir dir sagen: Bei uns sind vier Männer, die ein Gelübde auf sich genommen haben. 24 Nimm sie mit und weihe dich zusammen mit ihnen; trag die Kosten für sie, damit sie sich das Haar abscheren lassen können. So wird jeder einsehen, dass an dem, was man von dir erzählt hat, nichts ist, sondern dass auch du das Gesetz genau beachtest.
    Natürlich kannten sie die Paulusschriften und wussten um die Ansichten von Paulus. Ebenso wussten sie um die tiefen Zerwürfnisse, welche sich bereits in Philippi, Galatien, Antiochia, Ephesus, Korinth, etc abzeichneten.
    Wenn die Apg davon mehrfach spricht, dass „Eiferer des Gesetzes“ Hauptbestandteil der Urgemeinde Jesu waren, wozu offensichtlich als dessen Oberhaupt Jakobus ohne Zweifel gehörte, wie der Galaterbrief offenbart, dann weiß man, wie solche Aussagen des Paulus auf diese gewirkt haben. Es verwundert nicht, dass in der nachpaulinischen Literatur (2. Tim- 4/ 16 Paulus in den Mund gelegt wird: „Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden.“
    Das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt, der belegt, wie tief greifend die Zerwürfnisse waren, welche spätere Autoren ebenso berichten.
    An Kritik gegenüber Paulus und seinen Lehren und ebenso über dem Konflikt zu Petrus und Jakobus muß es zahlreiche Literatur gegeben haben. Das ist aus Quellen bekannt und manche Zeugnisse dessen zeigen noch heute die tiefe Brisanz auf. So wird immer wieder bei den Kirchenvätern deutlich, dass besonders Lehraussagen zur Debatte standen. Hegesipp (100 -180) führt z.B. folgendes vor: Matt.: 16/13 Ihr aber seid selig, denn eure Augen sehen und eure Ohren hören. Und dazu eine Aussage des Paulus: 1.Kor. 2/ 9 Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Dazu im Vergleich: Jes.: 64/3 … Von Urzeiten her hat man nicht gehört, hat man nicht erlauscht, nie hat etwas ein Auge ersehen von einem Gott außer dir, der es tut für den, der seiner harrt. Es mag nicht verwundern, dass Paulus hier schon frühzeitig Fälschung bzw. Sinnveränderungen der Schriften vorgeworfen wurde in Bezug zu Jesaja und mehr noch gegenteilige Lehre in Bezug zu Jesus. Das nur als ganz kleines Beispiel aus der Vielschichtigkeit der Literatur. Irenäus spricht gar von: „gläubigen Christen, die regelrechte Paulusgegner sind“ (Häer. III 15,1).

  7. #27

    Standard

    Und noch etwas fällt bei den frühen Kirchenvätern sehr auffällig auf, die seltene Erwähnung von Paulus und besonders seiner Briefliteratur. Z.B. einer der ganz frühen Bischöfe war Ignatius (107-110, wahrscheinlich seit 68 Bischof von Antiochia). Er hat kaum Kenntnisse über Paulus und lediglich zwei Textstellen lassen auf eventuell Kenntnisse zur Briefliteratur des Paulus erkennen. Und das bei sieben überlieferten Briefen! Das lässt wahrlich aufhorchen und zeigt, wie schnell Paulus in Antiochia vergessen war.
    Noch deutlicher wird die Kritik an Paulus, an einem Schriftfund einer sog. Epistula Petri. Wissenschaftler sind sich ziemlich einig, dass es sich um eine Kampfschrift gegen Paulus und dessen Anhang handelte, die mehrfach von Kirchenvätern erwähnt wird und von deren Sorte es zahlreiche ähnlich gelagerte Schriften gab. Hier wird, was man sonst nicht mehr finden kann (Gründe siehe oben) ganz unverblümt der Konflikt aufgezeigt. Bereits im 2. Kapitel dieser Schrift werden dem Namensträger Petrus Worte zu Jakobus übermittelt, welche vor drohenden Spaltungen waren, welche sich jetzt schon aufzeigen. Weiter heißt es: „Einige Heiden haben die Gesetzespredigt des Petrus zurück gewiesen und statt dessen eine gesetzlose und unsinnige Lehre angenommen, dessen Urheber der „feindliche Mensch“ sei.“ Nun wird im Anschluss explizit auf Gal. 2/ 11- 14 eingegangen, also auf Paulus: und spricht davon, wie Petrus von diesem Menschen verleumdet wurde, „was die Handlung Satans in diesem Verleumder offenbar macht“. Im weiteren Verlauf wird es dann noch deutlicher: „ Seine Verleumderischen Aktivitäten erweisen sich zudem als durchaus erfolgreich.“ Und Petrus rechnet mit dessen Ausbreitung unter den Heiden, nach dessen Tod, ja sie ist schon geschehen. Zugleich wird in dieser Kampfschrift vor Augen geführt, dass nur der ein wahrer Apostel sein kann, der durch den irdischen Jesu eingesetzt wurde. Im Kapitel XVII 19 wird dann das ganze Ausmaß der Kritik beim Namen genannt: „Selbst wenn Jesus dem falschen „Simon“ = Paulus begegnet wäre, so müsste doch noch immer gefragt werden, wie es möglich sei, dass Jesus ihnen nichts persönlich von der Berufung gesagt habe. Und: Ein ganzes Jahr lang seien die Jünger und Petrus bei Jesus in der Ausbildung (Lehre) gewesen und nun solle dieser Jesus dem falschen „Simeon“ die Entgegengesetzte Lehre wie diesen offenbart haben? Das, so sagte/ lehrte Petrus sei unmöglich“. „Zudem, wäre Paulus ein echter Apostel gewesen, hätte er sich Petrus nicht widersetzt und hätte ihn auch nicht öffentlich verleumdet, sondern wäre sein Mitarbeiter geworden“. In Hom. XI 35, 5 wird der Bogen sogar soweit ausgedehnt, dass auf Paulus das Jesus Wort von falschen Lehrern und Propheten bezogen wird (Matth. 24/5). (Interessant ist hier die Übersetzung diese Matth, zitates!)
    Diese Streitschrift aus dem 2. Jahrhundert ist die schärfste Schrift gegen Paulus und seinen Anhang, der überlebt hat, doch wie schon ausgeführt, sie ist neben den Zeugnissen der frühen Kirchenväter bei weiten nicht die Einzige gewesen und greift wesentlich ältere Traditionen, die bis in die Zeit von Paulus selbst reichen auf (siehe oben).
    Als Gegensatz dazu ist auch interessant, wie sich das Frühchristentum außerhalb der paulineschen Lehre entwickelte. Auch hier gibt es kaum noch Schriftzeugnisse, die Gründe dafür habe ich oben schon angeführt, wobei auch der Islam hier eine tragende Rolle spielte. Allerdings finden wir bei den Kirchenvätern davon Zeugnisse wieder und diese werden durch immer zahlreicher werdende archäologische Befunde teilweise erhärtet. Schaut man nach Persien, so zeigte sich ein ganz anderes Frühchristentum, das bereits kurz hinter Damaskus seinen Wirkungsgrad hatte. Deutlich wird das an den sog. Elkesai, welche später von der Kirche, wie alle judenchristlichen Gruppen als Ketzer verfolgt wurden. Sie beriefen sich ebenso auf die Apostel und ihre Lehren und hier direkt auf Jerusalem, also die Urgemeinde. Sie praktizierten die Beschneidung ebenso, wie Bußtaufe, rituelle Waschungen, Gebete in Richtung Jerusalem, etc, etc. Paulus war ihnen gänzlich unbekannt und sie erschienen eher jüdisch. (Epiph. Haer. 19, 3, 5) An diesem Beispiel, es gibt noch etliche mehr, zeigt sich, dass es ganz unterschiedliche Lehransichten gab und diese überhaupt nicht mit den Lehren des Paulus vereinbar waren.
    Man könnte jetzt noch auf den Jakobusbrief eingehen, der wie 1. Clemensbrief (ca. 70 - 90 n.Chr.) bereits richtig ausführt, eine Relativierung der Pauluslehren darstellt. Man könnte noch auf 2. Petrusbrief (ca. 120 n.Chr.) eingehen, der in Kapitel 3 / 15 ebenso auf Schwierigkeiten mit dem Verständnis zur Paulusbriefliteratur eingeht. (Hatte Paulus deshalb Briefe geschrieben, damit man sie nicht richtig versteht? Auch das fragte man sich schon sehr früh!)
    Man könnte noch erwähnen, warum Paulus zum Schirmherrn der gnostischen Literatur des Frühchristentums wurde und diese besonders fest an Paulus hielten, ja eigentlich ganz wesentlich sein Brieferbe bewahrten! Man könnte anführen, warum der Judenhasser und Bischof Marcion (um 144) 10 (teilweise heute unbekannte) Paulusschriften und teile aus Lukas für einzig wahr und glaubwürdig erklärte (Er war der erste, der christliche Schriften zu einem Kanon verband).
    Man könnte seitenlang ausführen warum Paulus für die Kirche plötzlich so bedeutend wurde, denn dazu gab es ganz triftige Gründe.

    Du siehst Mirjamis, die Thematik ist unglaublich tiefgehend und schon nur an den wenigen Beispielen zeigt sich, das dass N.T. nur einen kleinen Teil und Hinweis auf historische Verhältnisse werfen kann und will. Wenn man allerdings etwas genauer hinschaut, kann man sehr wohl so manches erkennen. Die spätere kirchliche - redaktionelle Bearbeitung der Urgemeinde und des Frühchristentums hat genug Spuren hinterlassen, welche aufzeigt, dass es nie eine Idealgesellschaft war, sondern schon sehr früh durch verschiedenste Persönlichkeiten und hier war Paulus nur einer von Vielen – das wird auch immer wieder außer Acht gelassen - war.
    Das Paulus am Ende fast allein dastand, fast alle seine Weggefährten verlor, seine Gemeinden ihm den Rücken kehrten, ist ein historisch belegbarer Fakt, den das N.T. sogar selbst bestätigt. Allerdings werden die Hintergründe nur versteckt angeführt und nur durch Quellenstudium in ihrer ganzen Tragweite sichtbar und offenbar. Einmal hinter die Kulissen zu schauen lohnt sich wirklich, sollte aber grundsätzlich nicht das persönliche Verhältnis zu Gott beeinträchtigen, es sei denn man frönt einem Buchstabenglauben.

    Du schreibst auch von Schriftgut, das dem Paulus "irrtümlich" zugeschrieben wurde. Sind das Briefe aus dem Neuen Testament? Und welche?
    Richtig. Hierzu folgende Auflistung:

    Die sieben echten Paulusbriefe

    Der erste Thessalonicherbrief
    Der erste Korintherbrief
    Der zweite Korintherbrief
    Der Galaterbrief
    Der Philipperbrief
    Der Philemonbrief
    Der Römerbrief

    Ich verweise diesbezüglich auf eingehende Fachliteratur.

    Ich hoffe ich konnte etwas Licht in die Fragen bringen!

    Absalom

  8. #28

    Standard

    Danke, lieber Absalom,
    ich hab alles aufmerksam gelesen. Mir raucht der Kopf. Aber interessant wie immer.
    Das wirft ein ganz neues Licht auf Paulus.
    Muss ich nun alles erst verarbeiten.

    Du schreibst: "Man könnte seitenlang ausführen, warum Paulus für die Kirche plötzlich so bedeutend wurde, denn dazu gab es ganz triftige Gründe."
    Na, diese Gründe würden mich auch interessieren.

  9. #29

    Standard

    Liebe Mirjamis, du kannst mich aber auch in Anspruch nehmen - lach -.

    Ich will mich versuchen kurz zufassen, bei diesem Punkt. Es wird sicher wieder länger…

    Paradoxer Weise ist es vor allem Randgruppen, wie Marcioniten, Gnostikern (vornehmlich Alexandria), philosophisch ausgerichtete Hellenistenchristen und anderen Strömungen zu verdanken, dass die Diskussion um Paulus lebendig blieb. Gerade diese Gruppen beanspruchten die Lehren des Paulus für sich und bildeten einen massiven Gegenpol zu der werdenden „judenchristlichen“ Gemeinschaft. Diese formierte sich nach 70 neu (Zerstörung des Tempels, Ende der Urgemeinde, Tod aller Apostel und Augenzeugen Jesu, etc), orientierte sich aber noch immer wesentlich an Jakobus und Petrus und den Vorgaben der Jerusalemer Gruppen, löste sich jedoch zunehmend aus den Synagogen und bildete eigene Gemeinschaften – oft Mischgemeinschaften von Heidenchristen und Judenchristen. Und noch ein zweiter Fakt spielt hier eine Rolle, der noch überhaupt keine Erwähnung fand, die Gruppen, die sich um die sog. alexandriensche Schule („Johanneskirche“) scharte (sog. Philochristen), die einen ebenso starken Gegenpol zu den Jerusalemer Gruppen- und besonders zu Antiochia entwickelten (ab ca. 100 - 120). Diese drei Gruppen konkurrierten zunehmend gegeneinander und schufen innerhalb des sich ausbildenden Christentums tief greifende Zerwürfnisse. Nur durch den äußeren Druck der Illegalität (Nichtanerkennung des christlichen Glaubens als eigenständige Religion im Imperium) blieb dieser Konflikt weitestgehend auf Verbalkämpfe (Mission, Gegenmission, Heilsabsprechungen, Ketzerbeschimpfungen, Häresievorwürfe, etc) beschränkt. Gewinner waren letztendlich die, welche sich zunehmend mit dem Imperium arrangierten und einen Gewissen Grad an geduldeter Legalität (ab 160 – 180) für sich vom Imperium erkämpften und erkauften. Und genau hier beginnt zunehmend der Einfluss der römischen Kirche, die im Herzen der Imperialen Macht - Rom, den größten Rückhalt vom Imperium hatte. Von hier aus begann zugleich die Sammlung der Christen und die Formierung der Kirche, welche sich nun katholisch also Allumfassend verstand. Rom wurde zunehmend zum Endscheidungsfaktor für die Ausrichtung des Christentums zu einer eigenständigen und selbstständigen Religion. Dazu war es notwendig Einheit und Verbindlichkeit herzustellen und zugleich die vielen konkurrierenden Machtmonopole auszuschalten. Rom beanspruchte für sich den „Stuhl Petri“ und erfand dazu die Sonderrolle des Papsttums und Oberhirten. Zugleich begann in diesem Zeitraum der intensive innerchristliche Streit um ein eigenes verbindliches Schriftgut, welches als Gegenpol zu den bis dato allein als verbindlich anerkannten alten Schriften (Tanach und Septuaginta), die jedoch für Heidenchristen kaum Stellenwert besaßen, gebildet werden mussten. Und noch ein Punkt spielt eine große Rolle, nach dem Ende der Urgemeinde und den Verfolgungen der Juden durch Rom, die ebenso die Judenchristen traf, weitestgehend aber Heidenchristen verschonte, verschob sich das Gewicht an Mitgliedern zugunsten der Heiden, also Nichtjuden in den Gemeinschaften deutlich und ziemlich abrupt. Es entstand so zusagen ein judenchristliches Vakuum, welches nicht mehr gefüllt - und somit von der Interessenslage überflüssig wurde. Faktisch, es gab einen Überlieferungsverlust urgemeindlicher Lehren durch Juden und zugleich eine andere Bedarfsorientierung, die auf jüdische Belange, welche für Heiden nicht galten (Apostelkonzil) keine Rücksicht mehr nehmen musste.
    Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die judenchristliche Akzeptanz innerhalb der Synagogen schon vor 70 deutlich abnahm.
    Also auch hier ein ganz vielschichtiger Prozess, der in seiner Gesamtheit einzeln beleuchtet werden muß, um entsprechende Entwicklungen klar herauszustellen.

    Marcion stellte mit seinem ersten heidenchristlichen Kanon genau diese Situation dar. Alle jüdischen Elemente verschwinden aus dem Gesichtskreis und Marcion schreckt als erster auch nicht davor zurück, vorhandenes Überlieferungsgut der neuen historischen Situation anzupassen. Dabei beruft er sich auf seinen Vorreiter Paulus und nennt ihn als Garanten für die „neue Kirche“, welch unabhängig jeglicher urgemeinschaftlichen Überlieferung ihren Weg gehen muß. Marcion war der erste, der erkannte und öffentlich aussprach was viele dachten, das mit einem Judenmessias, der zugleich auch noch als Rebell gegen Rom und den Kaiser (Tacitus Annales) hingerichtet wurde, kein „Staat“ zu machen, war, sprich die legatio – öffentliche staatliche Anerkennung - verweigert blieb. Zugleich forderte er öffentlich und längst nicht alleine, dass sich das Heidenchristentum vom Judentum lossagt, welches durch seinen Ungehorsam gegen Rom zunehmend in Ungnade fiel und faktisch für Vogelfrei erklärt wurde, was auch Heidenchristen zunehmend – da sie mit dem Judentum in Verbindung gebracht wurden – erleiden mussten. Zudem erwies sich das Judentum denkbar ungeeignet als Integrationsbecken für verschiedene Völker. Der Selbstanspruch des Judentums, Glaube, Volk und Land, sind denkbar schlechte Missionsgrundlagen. Universalismus wäre hier das treffende Schlagwort, für Missionsgrundlage, nämlich sich auf die Bedürfnisse der jeweiligen Umgebung einzustellen. Das konnte das Judentum noch nie leisten und die Ursprungslehre Jesu sah das auch nicht vor (geht nicht in die Städte der Heiden, etc).

    Wir sehen hier den ersten offensichtlichen Theopolitisch durchdachten Ansatz für eine Trennung von Judenchristen und Heiden, der später auf die Überlieferungskultur einen vehementen Einfluss nehmen sollte (Nicht Römer sind Feinde Jesu, sondern Juden werden es).

  10. #30

    Standard

    Marcion war seiner Zeit allerdings 100 Jahre voraus und noch war der Einfluss der Judenchristen stark genug um Marcion die Stirn zu bieten, Rom zum Handeln zu bewegen und sie hatten zudem einen Verbündeten, die Alexandriner Kirche – die mächtigste Kirche damals, welche die Macht und den Einfluss der römischen Kirche brechen wollte. Marcion wurde zum Ketzer erklärt, doch sein Kanon wurde die erste Grundlage für eine Entstehung eines christlichen (N.T) Kanons, dessen Bildung und letztendliche Endredaktion erst im 4. Jahrhundert abgeschlossen war. Wir reden also hier über eine Zeitspanne von über 300 Jahren!

    Marcion erreichte jedoch eins, Paulus wurde nun endgültig wieder salonfähig ja mehr noch, für Heidenchristen z.B. die Alexandriner (welche sich schon vorher von jüdischen Überlieferungseinflüssen abwandten – Jahonnesgut), Gnostiker, Hellenisten, etc fanden in Paulus ihren theologischen Vertreter und nicht in judenchristlichen Ansichten. Der Siegeszug des paulinischen und johannischen Schriftgutes begann nun endgültig und wurde zur vorherrschenden Theologie.

    Bei all dem Gesagten muß man immer die Komplexität vor Augen haben, welche historische und politische Aspekte in sich einschließt. Durch das verschwinden des Judenchristentums ergab sich für die Heidenkirche eine gänzlich neue Situation und Zielsetzung. Zugleich rückte eine Naherwartung der Wiederkunft Jesu völlig in den Hintergrund, was zur Folge hatte, dass man sich strukturiert organisieren und mit den gegebenen Verhältnissen arrangieren musste, um nicht das gleiche Schicksal wie die der Judenchristen zu erleben. Und genau das erforderte auch einen völlig neuen theologischen Ansatz, der Nicht mehr auf „Messianismus“ ausgerichtet war, sondern auf eine Kultgemeinschaft und hier bediente man sich äußerst freizügig in der Welt, in der die „Heidenkirche“ entstand und bestand, im Hellenismus. Nicht das Judentum war Zielobjekt, sondern die Welt und aus aller Welt strömten Menschen und deren Einflüsse hinzu. Und genau hier setzte Paulus bereits an, ein Evangelium, in dem sich alle Widerfinden können, ein Evangelium, das keine Grenzen oder Einschränkungen mehr kennt und formbar und dynamisch bleibt.

    Die Kirche hatte in seiner weiteren Geschichte ihre eigenen Kämpfe auszutragen, gegen Gnostiker, die Alexandrienische Kirche und konkurrierende Kulte und sie schaffte es tatsächlich – teils Friedlich – teils mit Gewalt alle - in ihrem Einflussbereich - unter einen Hut zu bekommen. Dieser Prozess begann bereits bei Paulus und sollte noch fast 500 Jahre dauern.

    So, ich kann eigentlich nicht mehr an „Allgemeingut“ beisteuern, denn diese Thematik ist so komplex und bedarf wirklich einer genauen historischen Darstellung, um wirklich die vielen Fassetten dieser Entwicklungen – bis hin zur Kanonsbildung und dessen Redaktionseinflüssen auf das inhaltliche Schriftgut des N.T. zu beleuchten.

    Die Tragweiter von 500 Jahren Entwicklungsgeschichte, von der Urgemeinde zur Frühkirche und der ersten unfassenden kath. Kirche ist nur schwerlich in 500 Seiten zusammen zu fassen. Gleiches gilt für die Kanonsbildung und die Entwicklung des Schriftgutes des N.T.. Auch hier muß man sagen, 400 Jahre kann man kaum auf ein Forum projizieren.

    Eigentlich, so meinte ich einstmals, müsste ein gewisses Grundwissen über diese so wichtige Entwicklungsgeschichte – als Basiswissen den Anhängern und Gläubigen dieser Religion in unserer heutigen Zeit vermittelt werden, schon im Eigeninteresse der Religion, was sicher auch auf Grund historischer Entgleisungen und Fehlentwicklungen „Selbstüberwindung“ kosten würde, doch es bleibt leider auf Fachbereiche beschränkt. Somit bleibt eigentlich nur für Interessierte der Weg übrig sich selbst ein Bild davon zu machen, was ein gewisses „Eigenstudium“ historischer Quellen voraussetzt, die jedoch sehr gut zugänglich sind. Allerdings ist oft in dessen Folge die entschiedene Abwendung von dieser Religion und gewissen Glaubensinhalten zu beobachten und das nicht nur bei Laien, sondern gerade bei entsprechen Wissenschaftlern. Im gleichen Atemzug ist allerdings auch zu beobachten, wie immer deutlicher Kirchen Geschichtsverdrängung betreiben und im Gegenzug eine Biblisierung betrieben wird. So als wenn diese Entwicklungsgeschichte keinen Einfluss auf genau diese Bibel hätte. Ja in bestimmten christlichen Kreisen geht man mittlerweile sogar soweit, diese christliche Frühgeschichte als nichtchristlich zu bezeichnen. Welch eine Paradoxie.

    So nun gut aber damit.

    Absalom


 

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