Guten Tag Id_ky,
Jesus war Schüler Hillels, nicht sein geistiger Sklave.
Und genau für diese Behauptung hätte ich gerne Belege und Quellen. Du sprichst doch von Fakten. Dann lass doch mal sehen!
Die Matthäusstelle, die Du anführst, übernimmt Jesus da wirklich die strenge Toraauslegung von Schammai? Oder entwickelt er Hillels Ansatz weiter? Wieso meinst Du, Jesus stünde hier Schammai nahe?
Weil meine Quelle das so belegt (Vorwort Babylonischer Talmud Dr. J. H. Hertz). Ich darf zitieren:
Der Babylonische Talmud überliefert im Traktat "Gittin" – übersetzt "Scheidebriefe" – Diskussionen über mögliche Gründe, eine Frau zu entlassen auf Grunde von 5. Mose 24,1: "Wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt." Dieser Vers steht in einem ganz bestimmten Zusammenhang: ein geschiedener Mann darf seine erste Frau nicht wieder heiraten, wenn sie dazwischen verheiratet und wieder geschieden oder verwitwet war. In der Bibel selbst geht es dabei eher um die Beschreibung einer Tatsache als um die Bestimmung möglicher Gründe.
Sehr liberal äußerte sich in dieser Diskussion Rabbi Akiva. Er betonte die Aussage, dass "sie nicht Gnade findet vor seinen Augen" und übersetzte das Verbindungswort nicht mit "und", sondern mit "oder": "oder er etwas Schändliches an ihr gefunden hat." Daraus folgerte er, dass schon das Erscheinen einer schöneren Frau ein Scheidungsgrund sei. Der Ausdruck "etwas Schändliches", hebräisch "Erwat Dawar", kommt auch in 5. Mose 23,15 vor: "Denn der Herr, dein Gott, zieht mit dir inmitten deines Lagers, um dich zu erretten und deine Feinde vor dir dahinzugeben. Darum soll dein Lager heilig sein, dass nichts Schändliches unter dir gesehen werde und er sich von dir wende." Aus diesem Zusammenhang schließt das "Beit Hillel, die Schule des Rabbi Hillel, dass es sich nicht unbedingt um ein sexuelles Vergehen handeln muss, sondern um eine Abneigung, die sich entwickelt hat. So kann dann selbst eine verdorbene Mahlzeit zum Scheidungsgrund werden. Das "Beit Schammai", die Schule des Rabbi Schammai, sah in dem Ausdruck "etwas Schändliches" dagegen nur Ehebruch und verstand dieses Vergehen als einzig gültigen Scheidungsgrund.
Ganz offensichtlich schaltete sich Jesus in diese Diskussion seiner Zeitgenossen ein und stellte sich auf die Seite des radikalen Schammai: "Es ist auch gesagt: Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, der macht, dass sie die Ehe bricht und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe" (Matthäus 5,31-32). Jesus äußerte sich auch zu der Einstellung, dass man seine Frau entlassen könne, weil sie das Essen verbrannt hat oder aufgrund des Vergehens "nicht mehr die schönste aller Frauen zu sein": "Ist’s auch recht, dass sich ein Mann scheide von seiner Frau um irgendeiner Ursache willen? Er antwortete aber und sprach: ‚Habt ihr nicht gelesen, dass der am Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Weib? ... Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden… Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, um eures Herzens Härtigkeit willen; von Anfang aber ist’s nicht so gewesen. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn um der Hurerei willen, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe" (Matthäus 19,3-9).
Die Bibel ist ein wertvolles, aber nun einmal kein Sachbuch. Wir müssen den sozio-kulturellen Zusammenhang der bilischen Szenen und Gespräche genauso berücksichtigen wie die Religions- und Textgeschichte. Jesus war Jude und sprach in einer jüdischen Welt zu Juden. Deshalb ist es m.E. kritisch die Bibel aus christlicher Sicht zu deuten. Der User Absalom hat seinerzeit einiges darüber im Forum geschrieben.
Ja, Absalom hat da wirklich sehr Wertvolles für das Forum geleistet! Lese ich heute noch gerne.
Im Übrigen rennst du bei mir mit deiner Aussage, dass die sozio-kulturellen Zusammenhänge der biblischen Szenen und Gespräche genauso berücksichtigt werden müssen, wie die Religions- und Textgeschichte, offene Türen ein. Genau darum bemühe ich mich ja und sagte bereits, dass die Rezeption des christlichen Glaubens quasi sowas wie eine Aufgipflung von jüdischem Geist und Sprache auf der einen Seite und hellenistischen Geist und Einfluss auf der anderen Seite darstellt.
Und genau deshalb fordere ich hin und wieder auch gerne mal Quellen und Belege, wenn da so das ein oder andere als Fakt bezeichnet wird. Hinsichtlich des Einflusses des hellenistischen Geistes hatte z.B. auch Absalom nicht zu übersehende Einseitigkeiten und zeichnet deshalb diesbezüglich ein wenig ausdifferenziertes Bild (z.B. seine Aussagen über Platon), was dann schlussendlich dem christlichen Verständnis der Schrift auch nicht wirklich gerecht wird. Denn die haben da eben auch immer schon gerne mal hellenistisch drauf geguckt.
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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