Schönen guten Morgen,
firefly schrieb: Jesus- Mittelpunkt in den christlichen Formen (so entstand auch kurzer Hand der Titel) hat als Mensch gelebt, gewirkt und etwas weitergegeben.
Wer also war er?
Was hat er gelehrt oder wie gelebt?
Zu dem Thema möchte ich auch gerne etwas beitragen, wenn ich darf.
Ich denke zunächst sollte man sich einmal bewusst machen, dass fast alles, was wir über den historischen Jesus wissen, ausschließlich nur von der Bibel erfahren. Es gibt zwar schon noch außerbiblische Schriften die über Jesus berichten (z.B. apokryphe Evangelien), aber das sind weniger historische Berichte, als vielmehr "Glaubensbekundungen". Die Schriftsituation hinsichtlich der Historie Jesu ist also ausgesprochen dünn und außerhalb der Bibel so gut wie gar nicht vorhanden.
Dann gibt es noch das Problem, dass man auch hinsichtlich der Bibel nie so ganz genau wissen kann, was denn nun tatsächlich historische Aussprüche und Handlungen Jesu waren und was nicht. Man behilft sich in der historisch kritischen Theologie hinsichtlich dieses Problems dadurch, dass alles, was man in der jüdischen, oder hellenistischen Tradition als bekannt und sozusagen als "Mainstream" voraussetzen kann, weiniger stark gewichtet wird, als dass, was dann noch exklusiv übrig bleibt. Und da bleibt jetzt nicht soooo viel übrig...Das wollte ich nur kurz erwähnt haben, damit man versteht, dass man über den historischen Jesus nicht wirklich viel mit Sicherheit wissen kann.
Sicher ist aber, dass der historische Jesus in den Traditionen des jüdischen Glaubens aufwuchs und daran wohl auch schon als Kind großes Interesse zeigte. Heutzutage feiern die jüdischen Kinder mit 12 (die Mädels), respektive mit 13 (die Jungs) Jahren die "Bar Mitzwa" und werden zuvor intensiv im Thoralesen unterrichtet. Das gab es zwar zu Jesu Zeiten so noch nicht, aber die Thora spielte ganz sicher eine große Rolle in seinem Leben und es ist deshalb sicher auch nicht so außergewöhnlich, dass er als zwolfjähriger im Tempel abhing (mein religiöses Interesse erwachte übrigens ungefähr zur selben Zeit - deshalb bin ich heute so komisch...).
Interessant ist vielleicht noch, dass Jesus Gott zu dieser Zeit bereits als seinen Vater bezeichnete. Das ist durchaus was Neues. Und ganz neu und wirklich exklusiv wird Jesu auftreten dann nach seiner Taufe und der daran anschließenden Verkündigung des "Reichs Gottes". Dass das "Reich Gottes" nahe herbeikommen ist, predigte so zuvor niemand. Noch Johannes der Täufer hatte ja von Buße und Schuld gepredigt, die durch die Taufe und Sündenbekenntnis wieder in Ordnung gebracht werden müsse und auch die Propheten zuvor, wollten eher warnend die Menschen darauf vorbereiten, dass irgendwann einmal Gott machtvoll in die Geschichte eingreifen würde, aber erst Jesus sagte: Jetzt ist es so! Das Reich Gottes liegt ausgebreitet vor uns!
Also irgendwas muss da passiert sein und so ganz genau weiß man nicht, was es denn war. Jesu Verhältnis zu Gott ist da schon außergewöhnlich und definiert sich zuvorderst nicht über Schuld und Strafe, über die Einhaltung von Ge- und Verboten, oder irgendwelche Regeln, die unbedingt eingehalten werden müssen. Die Schriftgelehrten, Pharisäer und Sadduzäer seiner Zeit waren da schon bisschen anders drauf. Deshalb denke ich, dass man Jesus durchaus als "unzeitgemäß" betrachten kann.
Apropos, es ist wirklich interessant, eine der schönsten und genauesten Beschreibungen dessen, was den historischen Jesus auch meiner persönlichen Meinung nach von seinen Zeitgenossen unterschied, findet sich im "Antichristen" von Friedrich Nietzsche und dort unter dem bedeutungsschwangeren Aphorismus, der die Ziffer des Todesjahres Jesu trägt: Aphorismus 33, den ich gerne zum Abschluss zitieren möchte, damit man einerseits mal gelesen hat, wie besonders dieser Jesus war und andererseits vielleicht versteht, dass auch der Atheist Nietzsche Jesus durchaus schätzte:
In der ganzen Psychologie des »Evangeliums« fehlt der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff Lohn. Die »Sünde«, jedwedes Distanz-Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist abgeschafft – eben das ist die »frohe Botschaft«. Die Seligkeit wird nicht verheißen, sie wird nicht an Bedingungen geknüpft: sie ist die einzige Realität – der Rest ist Zeichen, um von ihr zu reden...
Die Folge eines solchen Zustandes projiziert sich in eine neue Praktik, die eigentlich evangelische Praktik. Nicht ein »Glaube« unterscheidet den Christen: der Christ handelt, er unterscheidet sich durch ein andres Handeln. Daß er dem, der böse gegen ihn ist, weder durch Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Daß er keinen Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen, zwischen Juden und Nicht-Juden macht (»der Nächste« eigentlich der Glaubensgenosse, der Jude). Daß er sich gegen niemanden erzürnt, niemanden geringschätzt. Daß er sich bei Gerichtshöfen weder sehn läßt, noch in Anspruch nehmen läßt (»nicht schwören«). Daß er sich unter keinen Umständen, auch nicht im Falle bewiesener Untreue des Weibes, von seinem Weibe scheidet. – Alles im Grunde ein Satz, alles Folgen eines Instinkts. –
Das Leben des Erlösers war nichts andres als diese Praktik – sein Tod war auch nichts andres... Er hatte keine Formeln, keinen Ritus für den Verkehr mit Gott mehr nötig – nicht einmal das Gebet. Er hat mit der ganzen jüdischen Buß- und Versöhnungslehre abgerechnet; er weiß, wie es allein die Praktik des Lebens ist, mit der man sich »göttlich«, »selig«, »evangelisch«, jederzeit ein »Kind Gottes« fühlt. Nicht »Buße«, nicht »Gebet um Vergebung« sind Wege zu Gott: die evangelische Praktik allein führt zu Gott, sie eben ist »Gott«! – Was mit dem Evangelium abgetan war, das war das Judentum der Begriffe »Sünde«, »Vergebung der Sünde«, »Glaube«, »Erlösung durch den Glauben« – die ganze jüdische Kirchen-Lehre war in der »frohen Botschaft« verneint.
Der tiefe Instinkt dafür, wie man leben müsse, um sich »im Himmel« zu fühlen, um sich »ewig« zu fühlen, während man sich bei jedem andern Verhalten durchaus nicht »im Himmel« fühlt: dies allein ist die psychologische Realität der »Erlösung«. – Ein neuer Wandel, nicht ein neuer Glaube...
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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