In den christlichen Evangelien ist von den Geheimnissen der Liebe in lebendigen Bildern die Rede, etwa dort, wo Christus der Ehebrecherin begegnet: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer brachten eines Tages eine Frau vor ihn und sagten zu ihm: Rabbi, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was meinst du dazu? Diese Männer müssen gedacht haben: Jetzt wird er sich nicht mehr herausreden können, denn wenn er sagt, wir sollen sie nicht steinigen, wendet er sich gegen das Gesetz Moses, und wenn er sagt, wir sollen sie steinigen, widerspricht er sich selbst und allem, was er bisher über Liebe und Vergebung gefaselt hat. Christus aber überrascht sie mit der Antwort: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster den Stein auf sie.
Als sie ihn das sagen hörten, heißt es im Evangelium weiter, gingen sie alle weg, einer nach dem andern, angefangen mit den Ältesten. Warum die Ältesten zuerst? Weil der Mensch umso mehr auf dem Kerbholz hat, je älter er ist! So blieb Christus am Ende allein mit der Frau und sagte zu ihr: Hat dich niemand verdammt? So verurteile ich dich auch nicht. Damit meint er: Es bringt nichts, die Menschen zu verdammen, was hilft, ist, dass man sie liebt und ihnen Mut macht, immer weiterzukommen. Christus will der Frau sagen: Du kannst aus all deinen Taten, vor allem aus deinen Fehlern, immer lernen. Mach nur weiter, lebe, bleibe nur niemals stehen in deiner Entwicklung! Meist wird diese Stelle in Übersetzungen mit: Geh hin u. sündige nicht mehr,,wiedergegeben. Ein solches geh hin ist wirklich nichts sagend. Das griechische poreuo bedeutet nicht nur ein physisches Gehen, es heißt im Allgemeinen: sich auf den Weg machen, vorwärts kommen, auch im Sinne von dazulernen u. sich innerlich weiterentwickeln.
Christus will der Frau sagen: Sie soll immer weiter streben, um den Sündenfall rückgängig zu machen. Er ist gekommen, um jedem Menschen zu helfen, das Unfreimachende des Instinktes Stück für Stück zu überwinden. Im täglichen Überwinden, nicht im schon Überwunden-Haben, erlebt der Mensch seine Freiheit und sein Glück. Dies ist nur meine persönliche Interpretation. Ich würde mich freuen wenn ihr eure Interpretationen dazugeben würdet. Mit herlichen Grüßen.