Hallo Digido,
Ich danke dir für deine Mühen, die du dir mit einer so ausführlichen Antwort gemacht hast. An einigen Punkten möchte ich meine Bemerkung aber noch einmal ergänzen, denn deine Üerblegungen scheinen mir da zum Teil etwas fehlerhaft.

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Digido

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Lior
Was ich meine sind Aussagen bzw. Überlegungen zu metaphysischen Begebenheiten. Eben weil sie sich der Überprüfbarkeit entziehen.
Ich denke hier unterliegst Du den Konditionierungen durch das naturwissenschaftliche Denken, das besagt, nur das könne als bewiesen und damit sicher gelten, was experimentel überprüfbar ist.
Es ist nicht nur das Kriterium der Reproduktion, welches für die Überprüfbarkeit von Bedeutung ist – übrigens muss ein Sachverhalt auch nicht zwingend durch ein Experiment überprüft werden – sondern auch die Möglichkeit der Falsifizierbarkeit. Eine Annahme die ich nicht widerlegen kann, hat nur bedingten Wert. Und das ist bei metaphysische Annahmen der Fall, diese lassen sich zwar prinzipiell ebenfalls z.T. durch Logikfehler hinterfragen, aber durch die Möglichkeit ergänzender Annahmen kaum widerlegen. Zur Verdeutlichung lade ich dich ein argumentativ zu widerlegen, dass z.B. Kopfschmerzen durch geflügelte aber unsichtbare und zum Teil feinstoffliche Miniaturelefanten verursacht werden, deren für uns nicht hörbares Tröten Resonanzfelder in unseren Köpfen zum Schwingen bringen und damit die Kopfschmerzen verursachen. So albern das auch klingen mag, das wird dir kaum gelingen. Und wird dies nun zur Realität, wenn Hunderte übereinstimmend diese Vorstellung teilen?

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Digido
Alles verlangt seine eigene Methode der Verifizierung. Was an der Materie gültig ist, muss und kann nicht auch am Lebendigen gültig sein. Denn im Lebendigen lassen sich in der Regel nicht immer wieder die gleichen Ausgangsbedingungen herstellen, wie eben an der unbelebten Materie.
Die identischen Ausgangsbedingungen wirst du nie erneut herstellen können, das trifft aber auch auf die Naturwissenschaft zu. Dennoch würde ich dir auch hier widersprechen, denn es geht um vergleichbare Ausgangsbedingungen. Und das geht auch mit Lebewesen, die psychologische Forschung lebt von dieser Möglichkeit und produziert auch reproduzierbare Ergebnisse. Natürlich kannst du andere Massstäbe fordern, aber ich sehe nicht, wie mit dem von dir skizzierten Vorgehen sinnvoll Forschung betrieben werden kann, die zu mehr als Glaubensaussagen führen. Was aber natürlich grundsätzlich in Ordnung ist.

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Digido
Aber dort, wo sie annähernd hergestellt werden, etwa bei Nahtoderlebnissen, hat man eben gemeinmenschliche Merkmale gefunden: [...]
Ich denke auf solche Übereinstimmungen zu achten, [...]ist ein guter Weg, um auch auf metaphysischem Gebiet zu wirklichen Gewissheiten zu kommen
Nun, dabei unterschlägst du aber, dass diese Gemeinsamkeiten nicht homogen sind, sondern es im Gegenteil sehr unterschiedliche Berichte über Nahtoderlebnisse gibt. Es ist also eben nicht immer der helle Tunnel etc. Desweiteren machst auch du hier den Fehler, nicht zwischen Wahrnehmung und Deutung zu unterscheiden. Eine Übereinstimmung muss nicht zwingend bedeuten, dass eine metaphysische Wirklichkeit faktisch existiert. Ein wenig komplizierter ist es doch.^^ Auch hierzu ein Beispiel. Es gibt in der psychologischen Forschung den sogenannten „Waffeneffekt“. Dabei konnte vereinfacht dargestellt nachgewiesen werden, dass Menschen in Anwesenheit einer Waffe (die im Raum liegt) aggressiver auf Erregung bzw. Frustration reagieren, als wenn z.B. nur ein Handschuh daliegt. Aus dieser Übereinstimmung im Verhalten nun zu schlussfolgern, dass die Waffe eine magische Ausstrahlung hat wäre möglich, jedoch nicht zwingend. Es lässt sich auch ganz profan aus der Prägung der Versuchspersonen und ihrem Vorwissen nicht nur erklären, sondern theoretisch auch überprüfen, indem man dieses Experiment nämlich mit Menschen durchführt, die die entsprechende Waffe nicht als Waffe erkennen und die - wie man erwarten würde - und die in ihrem Gefühlserleben dann unbeeinflusst bleiben müssten. Es bestünde also auch die Möglichkeit, dass die Ähnlichkeit ASW im Vorwissen bzw. im kulturellen Hintergrundwissen der Personen liegt (was auch Unterschiede der NTE im Kulutvergleich erklären würde) und/oder in biologischen Mechanismen – im Zusammenhang mit letzterem ist es z.B. auch interessant, dass man NTE und ASW mittlerweile durch gezielte neurophysiologische Anregungen auch künstlich erzeugen konnte.
Auch hier möchte ich betonen, dass dies kein Beweis ist, der gegen metaphysische Annahmen spricht. Aber diese sind eben nicht die einzige Erklärung.

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Digido
Ich denke nicht, dass ich allwissend sein muss, um zuverlässiges Wissen haben zu können.
Ich kann mir, um noch einmal ein bereits erwähntes Beispiel aufzugreifen, vollkommen sicher sein, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das ist unter den gegenwärtigen Bedingungen unbedingt der Fall. Analog gilt das auch für alle metaphysischen Fragen. […] Ich stehe dafür, dass dieses erst einmal vorhandene Unvermögen überwunden werden kann und muss.
Spaßeshalber würde mich interessieren, wie du dir des Umstandes so sicher sein kannst, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Hast du es überprüft? Und wenn ja wie?^^
Aber hier hast du mich scheinbar missverstanden. Ich behaupte nicht, dass man nicht relativ zuverlässiges Wissen haben kann. Relativ sage ich deshalb, weil es streng genommen auch hier nicht zu 100% sicher ist. Es geht mir um das formallogische Problem der Absolutheit im Wissen. Ohne dir zu nahe zu treten, deine Aussage dass dieses Unvermögen überwunden werden kann und muss, liest sich zwar sehr schön, ist aber erst einmal nur eine Behauptung. Ich formuliere mein Argument gerne um und lade dich ein den Fehler meiner Argumentation aufzuzeigen. Welcher der folgenden Teilsätze ist falsch?
1. Als Mensch bin ich nicht allwissend.
2. Wenn ich nicht allwissend bin, dann existiert etwas, dass ich nicht weiß.
3. Wenn ich zu einem bestimmten Sachverhalt nicht alles weiß, könnte ich durch eine Fehleinschätzung in meinen Schlussfolgerungen einem Irrtum erliegen.
4. Ich kann nicht wissen, was ich nicht weiß, denn sonst wüsste ich es ja.
5. Wenn ich zudem nicht weiß in welchem Bezug ich dieses Wissen nicht habe, kann ich mir in keinem Sachverhalt wirklich absolut sicher sein.
Kommt erschwerend hinzu, dass ich keine Möglichkeit habe meine Annahmen zu überprüfen (was die Möglichkeit einer Widerlegung mit einschließt), dann sehe ich keine Möglichkeit im Zusammenhang von spirituellen Überzeugungen von einer absoluten Wahrheiten zu sprechen - es sei denn eben als Glaubensdogma. Es sei denn, du greifst Aussage 1 an und bejahst die Möglichkeit, dass ich als Mensch allwissend werden kann. Was aber nichts daran ändert, dass du dir nicht sicher sein kannst, solange du eben noch nicht allwissend bist.^^
Ich halte es daher mehr mit Lessing der da schrieb: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir "Wähle! " - ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: "Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für Dich allein!"
Als Mensch sehe ich mich eben im Unvermögen die reine und absolute Wahrheit zu erfassen - ich frage mich aber, was denn so schlimm daran ist sich damit zu begnügen, dass gewisse Überzeugungen letztlich ein Akt des Glaubens bleiben werden. Und gerade auch mit Blick auf dein Zitat von Meister Eckhart würde ich sagen, Freiheit besteht hier auch in dem frei werden von überhöhten Ansprüche, Wünschen und dem Versuch das Unfassbare zu fassen. Provisorium hat diesbezüglich einige sehr lesenswerte Ausführungen zur negativen Theologie bei Eckhardt geschrieben.

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Digido
Dieser Sicht auf Steiner kann ich überhaupt nicht zustimmen. Das erklärt auch nicht seine Wirkung und den praktischen Erfolg seiner Lehre auf den verschiedensten Gebieten. Er hat stets frei und immer wieder mit neuen Details über die verschiedensten Gebiete des Lebens gesprochen ohne sich in Ungereimtheiten zu verheddern, wie es notwendig sein müsste, wenn man einfach fabuliert. Aber es ist verständlich, dass Du als Agnostiker es so sehen musst.
Dies auf meinen Agnostizismus zurückzuführen scheint mir ein wenig zu leichtfertig. Ich kenne auch Atheisten und Christen sowie andere Gläubige, die zu einem ähnlichen Urteil gelangen. Und aus dem Erfolg einer Idee Rückschlüsse auf ihre Wahrhaftigkeit zu schließen erscheint mir ebenfalls problematisch. Ganz davon abgesehen, dass es eine Vielzahl von Beispielen gibt, bei denen falsche Informationen einen hochgradigen Einfluss hatten und bis heute haben, war zwar die Bedeutung Steiners und sein Einfluss seinerzeit sicherlich gegeben, erscheint mir aber auch nicht so viel bedeutsamer als der anderer.
Aber aus Respekt vor deinem Glauben möchte ich an dieser Stelle das ganze einfach mal so stehen lassen. Zum einen weiß ich nicht wie umfassend dein Vorwissen in Bezug auf die Geistesgeschichte und die Wissenschaftsgeschichte ist, hätte also gar keinen Anhaltspunkt um eine Diskussion überhaupt sinnvoll ansetzen zu können. Zum anderen habe ich den scheinbaren Stellenwert Steiners für deine religiöse Überzeugung unterschätzt. Wenn du also in Steiners Lehren keine Fehler oder Ungereimtheiten erkennen kannst, dann akzeptiere ich das. Es würde mich aber – sofern die Frage gestattet ist – interessieren, wie du Steiners frühere Jahre verortest, in denen seine Ansichten ja ganz und gar nicht christlich waren sondern mehr in Nähe zu Ansichten des modernen Satanismus standen. War das Teil seines spirituellen Prozesses? Oder eine Episode vor seinem spirituellen Erwachen? Oder etwas ganz anderes?
Lieben Gruß
Lior
Geändert von Lior (09.06.2016 um 02:08 Uhr)
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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