Hallo Sarandanon,

ein interessantes Thema, danke dafür. In die Runde gesprochen muss auch ich gestehen, dass ich die Kirchenkritik der letzten Tage hier eher kritisch sehe. Nicht etwa, weil ich leugnen würde, dass sehr viel Unrecht im Namen der Kirche geschehen ist. Und ganz sicher gab es auch viele, die ihre Stellung und ihre Macht zum eigenen Nutzen missbrauchten. Dennoch erscheint mir die oftmals vorgebrachte Rede von „der Kirche“, die durch Angst und Terror ihre Herrschaft festigte und sich opportunistisch bereicherte in mehrfacher und sehr vereinfacht dargestellten Hinsicht problematisch.
1. Zum einen finde ich es unzulässig von „der Kirche“ zu sprechen. Schon immer bestand diese aus Menschen, die manche mehr manche weniger darum bemüht waren ein Leben zur Ehre Gottes zu leben. Diesen in der Summe ein ehrliches Bemühen abzusprechen erscheint mir ungerecht.
2. scheint für viele aus dem Umstand, dass die Führungsspitze Nutznießer ihres Amtes waren zugleich zu folgen, dass diese immer opportunistisch und im Wissen um ihren Betrug ein Lügenkonstrukt schufen. Ist es aber nicht denkbar, dass diese ebenso ehrlich vom Inahlt ihrer Lehre, von ihrer Aufgabe und der Gottgefälligkeit ihrer Privilegien überzeugt waren, wie jene, die durch Anerkennung ihrer Herrschaft scheinbar die Betrogenen waren? Ich schreibe bewusst scheinbar, da diese im Gegenzug ja ebenfalls Sicherheiten erhielten, die ihnen wichtig gewesen sein dürften – z.B. den Erhalt der natürlichen und kosmologischen Ordnung.
3. Auch der Vorwurf, die Kirche habe mit Angst und Drohungen ihren Kurs gehalten, mag in der Sache zwar zutreffen, scheint mir aber in der Kritik zu weit zu gehen. Auch in unserem Rechtsstaat drohen Strafen für den Gesetzesbruch, die Abschreckungswirkung von Strafen ist also auch in unserer Welt gegeben. Natürlich sind die Strafen heute zumindest in Europa nicht mehr so drakonisch, dies steht aber wieder auf einem anderen Blatt und ist ebenfalls eine Frage der Entwicklung des Rechtswesen.
Ist es 4. zudem nicht auch plausibel, dass in einer Glaubenswelt, in der die Abkehr vom wahren Glauben zugleich den Verlust des ewigen Lebens bedeutet haben mag (ob zurecht oder nicht sei dahingestellt), man im Zweifel aus gutem Glauben und wohlgemeinter Absicht heraus gegenüber dem ungebildeten Volk Furcht als ebenso berechtigtes „Erziehungsmittel“ angesehen hat, wie es heute noch bei Kindern teils der Fall ist? Ich meine in dieser Zeit hatten sicherlich die wenigsten Muse für Diskussionen wie wir sie hier führen. Und selbst heute noch gibt es ähnlich gelagerte Fälle, wie z.B. die Beratung durch einen Arzt (in diesem Sinne ein medizinischer Experte wie der Priester als religiöser Experte), der eine bestimmte Behandlung empfiehl (zu einer bestimmte Handlungs- bzw- Lebensweise anhält), ohne die der Betroffene schlimme Folgen bis hin zum Tod riskiert. (hier nicht den ewigen aber den physischen) Und wäre es so abwegig in einer solchen Welt Ketzer und Häretiker primär als eine Gefahr für die Allgemeinheit zu sehen, wie es heute manche in Fundamentalisten sehen (die - um den Vergleich mit dem Arzt abzurunden - ebenfalls z.T. dazu aufrufen die Warnungen der medizinischen Experten zu ignorieren, weil diese z.B. als Unwissend dargestellt werden)
5. Und abschließend bin ich etwas skeptisch, wenn es um den Vorwurf der „False-Predigerschaft“ geht. Denn ich finde es wird hier zu wenig zwischen bewussten Täuschungen und Irrtümern differenziert. Gerade die Inquisition und die Hexenverfolgung, welche als Vorwurf gegen die Kirche vorgebracht wurde, sind ein schönes Beispiel, wie auch heute noch allerlei falsche bzw. ungenaue Informationen „gepredigt“ werden, um die Kirche zu diskreditieren. Da ist die Rede von teils Millionen Opfern, von willkürlicher Verfolgung und Ermordung, von einem Klima der Angst und des Schreckens etc. - und doch ist das wenigste davon wirklich haltbar. Das im Gegenteil auch hier z.B. die Hexe innerhalb der Gesellschaft ihrer Zeit mehr mit dem Terroristen der Moderne verglichen werden kann, ist eine Interpretation, die den meisten Kirchenkritikern nur selten in den Sinn kommt.

Zusammengefasst denke ich, dass eine Kritik am bestehenden System der Kirchen notwendig und zudem berechtigt ist. Aber sie muss sachlich bleiben und darf nicht in eine überkompensatorische Verurteilung münden.
Meine bescheidene Meinung...
Viele Grüße
Lior