Hebräische Bibel
Die beherrschende Produktionsweise der Antike war die Sklavenhaltergesellschaft, die meist religiös begründet wurde. Ausnahme war im Vorderen Orient nur der Stämmebund der Zwölf Stämme Israels. Schon die ältesten Gesetzestexte der Bibel enthalten die Forderung, das Land regelmäßig so umzuverteilen, dass jeder Bauer sein Auskommen findet (Lev 25 EU). Die Begründung lautet (V. 23):
„Darum sollt ihr das Land nicht verkaufen für immer. Denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Gäste bei mir.“
Die Israeliten sahen das „gelobte Land“ also als Geschenk JHWHs, der sich Israel als Befreier aus der Sklaverei bekannt gemacht hatte (Ex 3,7 EU). Daher könne man es eigentlich nicht besitzen und verkaufen. Weil alle Erbgüter bloß von Gott „gepachtet“ seien, seien menschliche Besitz- und Herrschaftsprivilegien nicht ewig, sondern veränderbar. Die vermeintlichen Herren seien selber nur „Gäste“ und „Fremde“ wie die, die aktuell besitzlos und von ihnen abhängig waren. Daraus leitet die Tora die regelmäßige gerechte Umverteilung des Bodenbesitzes ab. Die geforderte Gleichstellung der Landbewohner sollte den verarmten, in Schuldenabhängigkeit geratenen Landlosen eine Zukunftsperspektive eröffnen und die Enteignung der Sklavenbesitzer anbahnen.
Nachdem Israel und Juda um 1000 v. Chr. Monarchien geworden waren, geriet dieses Recht in Vergessenheit. Der Königshof eignete sich frei gewordenes Erbland an oder erzwang dessen Verkauf durch hohe Abgaben. Dagegen traten seit etwa 900 v. Chr. Propheten auf, die die Herrscher an das Gottesrecht der Besitzlosen erinnerten (1_Kön 21 EU; Am 2 EU). Dieses setzte sich jedoch historisch in Israel nicht als Gesetz durch. In der exilischen Heilsprophetie nach 722 v. Chr. wird die gerechte Umverteilung und Überwindung der sozialen Gegensätze daraufhin fester Bestandteil der endzeitlichen Zukunftshoffnung (Jes 65,21f EU):
„Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse.“
Diese Utopie einer gerechten Sozialordnung ohne Ausbeutung, in der alle gemeinsam leben und arbeiten und sich die Früchte ihrer Arbeit aneignen, ging einher mit einer scharfen Sozialkritik an der Gegenwart (Am 5,11f EU):
„Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Quadersteinen gebaut habt. Denn ich kenne eure Freveltaten, die so viel sind, und eure Sünden, die so groß sind, weil ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor [, wo Recht gesprochen wurde,] unterdrückt.“
Die Verheißung einer gerechten Zukunft für die aktuell Unterdrückten und Bedrängten wird hier zur scharfen Anklage gegen die Unterdrücker; außenpolitische Niederlagen werden als zwangsläufige Folge innenpolitischer Korruption des Rechts durch die Besitzenden gedeutet. Die erhoffte Zukunft bildete also einen kritischen Kontrast zur Realitätserfahrung und gegen ungerechte Politik gerichteten Maßstab, der sich in der jüdischen Religionsgeschichte immer wieder Geltung verschaffte.
Neues Testament
Jesus von Nazaret bezog sich in seinem ersten Auftritt nach dem Lukasevangelium genau auf das alte Gottesrecht des regelmäßigen Jubeljahres (Lk 4,18ff EU). Um zu seinen Nachfolgern zu gehören, war für Arme der Verzicht auf materielle Absicherungen (Mt 10,9ff EU), für Reiche das Aufgeben allen Besitzes zugunsten der Armen Vorbedingung (Mk 10,21 EU).
Die Apostelgeschichte stellt die Urchristliche Gütergemeinschaft der Jerusalemer Urgemeinde als beispielhaftes Abbild des kommenden, alle Besitzverhältnisse umwälzenden Reiches Gottes dar (Apg 2,44 EU):
„Alle, die gläubig geworden waren, waren beieinander und besaßen alle Dinge gemeinsam.“
Mittelalterliche Armuts- und Ketzerbewegungen
Damit die Kirche zur alleinherrschenden Staatsreligion des Römischen Reiches aufsteigen konnte (380), mussten die radikalen Forderungen der Bergpredigt Jesu und der biblischen Propheten verdrängt oder umgedeutet werden. Während die kirchlichen Amtsträger durch Adelsprivilegien eng mit politischen Herrschaftssystemen verbunden waren, knüpften verschiedene Minderheiten im Lauf der Christentumsgeschichte Europas an das Ideal der Urgemeinde an.
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