Zum Beispiel Kinderaussetzen: Das kommt heute immer noch vor, aber illegal und in sehr schäbiger und unwürdiger Weise. Unsere Vorfahren erlaubten es, es galt aber nicht als gute Regel. Der Gedanke dahinter ist ein religiöser: Danach geht die Seele des Kindes in den Körper erst ein, wenn es den ersten Atemzug nimmt. Nicht schon bei der Zeugung, wie die katholische Kirche wähnt. Eine Abtreibung ist deswegen kein Mord und ein Neugeborenes auszusetzen auch nicht. Es darf aber noch keine irdische Nahrung genossen oder einen Namen bekommen haben. Denn es ist auch eine Frage der Autonomität: Die Seele, die sich in dem Körper des Neugeborenen inkarnieren will, diese Seele darf sich nicht gegen den Willen der Eltern aufzwingen, sie muß den Willen der Eltern berücksichtigen. Wenn die Eltern nun einmal eindeutig kein Kind mehr bekommen wollten, und dennoch eine Seele in den Körper des Neugeborenen eintritt, dann ignoriert sie in egoistischer Art den Willen der Eltern. Und das müssen sich die Eltern nicht gefallen lassen. Auch verkrüppelte Kinder setzte man aus, denn einen lebenslangen Pflegefall mußte keiner annehmen. Dahinter steckt der Glaube, daß der Tod nicht ein endgültiges Ende ist, und wenn es einer Seele bestimmt ist, in einem Kindeskörper zu inkarnieren, dann wird ihr auch so eine Möglichkeit verschafft werden. Der kranke Körper, der ausgesetzt wird, ist es dann zwar nicht, aber der Körper des nächsten Kindes oder ein Körper in einer anderen Sippe. Man nimmt der Seele also keine Möglichkeit des Lebens, sondern verweist sie auf einen anderen, besser geeigneten Körper. Das ist von diesem Standpunkt aus betrachtet sogar humaner, als das heutige System. Nur weil das heutige System materialistisch ist und an ein Weiterleben nach dem Tode nicht glaubt, deswegen klammern sie sich an jeden Funken Leben, den es unbedingt zu erhalten gilt. Wenn man zum Gebrauchtwagenhändler geht und ein Auto kaufen will, daß aber technische Schwierigkeiten hat und kaum fährt, dann steigt man aus und sucht ein anderes, besser funktionierendes Auto. Keiner verlangt, daß man das kaputte nimmt und sich damit herumquält. So ähnlich ist es mit den Körpern, die die Seelen zur Inkarnation nehmen wollen.
Natürlich halten wir uns an die Gesetze und setzen keine Kinder aus, das ist selbstverständlich. Aber wir wissen, daß wir es nach heidnischen Werten tun dürften, daß dies humaner ist, als das zwangsweise Lebenmüssen in einem kranken Körper. Deswegen würden wir uns für eine Änderung der Gesetze aussprechen, falls das auf der Tagesordnung stehen würde. Da die Mehrheit hierzulande aber christlich ist, gelten christliche Gesetze und eine Änderung in heidnische Richtung steht nicht auf der Tagesordnung. Auch das akzeptieren wir, denn wir als Minderheit wollen der christlichen Mehrheit keine Gesetze aufnötigen, die ihnen gegen die religiöse Überzeugung gehen. Deswegen aber unsere heidnischen Vorstellungen aufgeben und nicht einmal in den eigenen Reihen zu äußern, das wäre eine totale Selbstaufgabe unserer Werte zugunsten der christlichen.
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