So, lieber Lior, da bin ich wieder und widme mich deinen weiteren Erklärungen.

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Lior
Das der Aspekt der sexuellen Ausschließlichkeit in diesem Modell so sehr im Vordergrund steht, folgt aus dem Umstand, dass es mittlerweile oftmals primär dieser Bereich ist, in dem sich die konsequente Umsetzung der offenen Beziehung von jener der „traditionellen“ unterscheidet. <em>(Zum Zeitpunkt der Definitionsbestimmung in den 60ern war das mit Blick auf das Rollenbild der Frau noch etwas anders)</em> Aber sofern eben das Konzept der offenen Beziehung als eine „zwangfreie“ Beziehung konsequent umgesetzt wird, muss das auch für den Bereich der sexuellen Selbstverwirklichung gelten. Was nicht bedeutet, dass man sexuell mehrgleisig fahren MUSS. Nur das man dem Partner die prinzipielle <font color="#008000">Freiheit </font>einräumt. Wo man dies nicht tut besteht zumindest hier ein Zwang – mit der möglichen Folge, dass der Partner seine Bedürfnisse und seine Individualität in diesem Punkt verleugnen muss. Und auf dieser Feststellung aufbauend kann man dann (wie ich finde zurecht) fragen, ob die Sexualnorm der traditionellen Beziehung, also diese <font color="#008000">Forderung </font>auf Exklusivität kritisch hinterfragt heute noch Bestand haben kann. Es scheint mir eine Forderung, die wir in keinem anderen Lebensbereich als selbstverständlich annehmen und so auch kaum akzeptieren würden. (Mir fällt zumindest keiner ad hoc ein)
Ich denke das ist zuvorderst eine Frage der Übereinkunft. Ich für meinen Teil weiß z.B., dass ich mich in einer Ehe nur sexuell exklusiv binden wollte und würde das auch von meinem Partner erbitten, da ich dies als einen für mich (und meiner Selbstbestimmtheit) persönlich notwendigen Teil der Übereinkunft erachten würde, die mir im Rahmen einer Ehe eben wichtig wäre.
Vorausgesetzt es beruht auf gegenseitige Übereinkunft, kann der Verzicht auf exklusiv sexuelle Verfügbarkeit in einer Partnerschaft aber meiner persönlichen Meinung nach durchaus in der Zeit des Lebens ihren Platz finden, in der man zunächst erst einmal feststellen und kennen lernen muss, was für sexuelle Bedürfnisse man hat und ob es Teil der sexuellen Selbstbestimmtheit sein muss, dass ich mich nicht exklusiv binden mag. Und solange man diesbezüglich "noch im Trüben fischt" (ich hab's zurzeit einfach mit "Fischmetaphern"...), würde ich persönlich jetzt nicht heiraten, weil man dann ja auch noch gar nicht überblicken kann, was einem sexuell wichtig ist und inwiefern man überhaupt dazu in der Lage ist, die Selbstbestimmtheit des Partners zu akzeptieren, wenn er sich sexuell nicht exklusiv binden mag.
Hat man dann aber für sich persönlich herausgefunden, dass man den Austausch von körperlichen Zärtlichkeiten und/oder auch sexuellem Kontakt, grundsätzlich nicht exklusiv auf nur einen Partner beschränken möchte und man kommt mit seinen Partnern zu der Übereinkunft, dass eine solche Beschränkung auch nicht notwendig sei, sehe ich persönlich jetzt keinen Grund, weshalb man dann auf eine Ehe verzichten sollte. Eine Forderung, sexuell exklusiv zur Verfügung zu stehen, halte ich deshalb normativ für genauso falsch, wie die Forderung, man müsse es in einer Beziehung begrüßen, wenn der Partner sexuell nicht exklusiv mit einem verkehren möchte, weil dies ansonsten eine unzumutbare Einschränkung seiner Selbstbestimmtheit darstellen würde.
"Partnerschaftliche Modelle" können meiner Erfahrung nach nämlich so vielfältig sein, wie die Menschen die diese gestalten und deshalb sollten die Erwartungen, die an eine Partnerschaft gestellt werden, auch möglichst von innen, also den Beziehungspartnern selbst, formuliert und mit Leben gefüllt und nicht von außen in die Beziehung hineingetragen werden. Man muss halt miteinander reden, sagen was man will und was man nicht will und dann (hoffentlich) zu einer Übereinkunft kommen!
Für die Selbstbestimmtheit ist man aber übrigens immer nur selbst verantwortlich, da kann man nicht den Partner für verantwortlich machen. Man muss also schon klar sagen was man will und was man nicht will und kann nicht erwarten, dass es mein Partner positiv auffasst, dass ich mit mehr als nur einem Partner verkehre, ohne das ich das zuvor besprochen habe. Und es ist meine Aufgabe das dann auch anzusprechen.

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Lior
Vermutlich liegt auch das darin begründet, dass wir mit unterschiedlichen Begriffsbestimmungen operieren.^^ Ich habe dabei ein von der Psychologie genauer von der Psychoanalyse beeinflusstes Verständnis, nach dem die romantische Liebe darauf abzielt den anderen ganz für sich einzunehmen, ja mit ihm zu verschmelzen. Die Suche nach dieser Verschmelzung, der Einheit und das Erleben der Unendlichkeit charakterisiert ja auch z.T. die Romantik als Kulturepoche. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig auch das Gefühl der Eifersucht, denn das Subjekt der eigenen Begierde, das Subjekt des eigenen „Verschmelzungswunsch“ will man nicht teilen. Hier spielt geschichtlich möglicherweise auch der Wunsch nach Kontrolle bzw. die Angst vor dem Kontrollverlust mit hinein, der im 19. Jhd. durch den Wandel der kulturellen Gegebenheiten und den in Folge der Aufklärung erschütterten Glauben durch Religion bzw. Magie das eigene Leben beeinflussen zu können zunehmend stärker wird. Kurz gesagt könnte man das Verständnis der romantischen Liebe auf den ich mich beziehe derart charakterisieren, dass ihr Bemühen die Schranken der Individualität zu durchbrechen versucht, ja versucht sie aufzulösen, den anderen ganz für sich einzunehmen. Einen Wunsch, den ich durchaus verstehen kann und von dem ich denke, dass man ihn in der Sexualität auch erfahren kann.
Also deine Erläuterungen zur romantischen Liebe kann ich soweit prima nachvollziehen, aber ich teile nicht die Auffassung, dass die romantische Liebe darauf abzielt, den anderen ganz für sich einzunehmen, weil sie mit ihm verschmelzen möchte, sondern entweder möchte sie den anderen ganz für sich einnehmen (dann gibt sie die Romantik preis) , oder sie möchte mit ihm verschmelzen (dann hält sie an der Romantik fest).
Denn es ist zwar zweifelsohne richtig, dass da, wo sich Menschen intensiv zueinander hingezogen fühlen, auch der Wunsch entstehen kann, man möge den Partner mit niemandem teilen müssen, ihn sozusagen ganz für sich alleine haben, um ihm dadurch so nahe zu kommen, dass, wie du es so schön nanntest, die Schranken der Individualität durchbrochen werden können. Aber diesem Wunsch liegt letztlich eine egoistische Sichtweise zu Grunde, in der man schlussendlich auch noch das postulierte Bedürfnis nach Verschmelzung, von der Nähe und dem Verhalten eines anderen Menschen abhängig macht.
Ich schreibe "postuliertes Bedürfnis nach Verschmelzung", weil in diesem Fall meiner Meinung nach eigentlich gar kein echtes Bedürfnis nach Verschmelzung besteht, sondern vielmehr soll das Icherleben auf das Intensivste gesteigert werden, was man durch Ausübung und dem Bestreben nach Vergrößerung der eigenen Macht, zu erreichen gedenkt.
Denn deshalb will man ja den Partner unter anderem auch ganz für sich alleine haben - man will Macht über die partnerschaftliche Situation und eventuell sogar direkt über den Partner gewinnen, weshalb ein "Verschmelzungswunsch" und die Sehnsucht, die Schranken der eigenen Individualität durchbrechen zu können, in diesem Fall schlussendlich ihren Ursprung im Egoismus des Menschen hat, was dem "Wesen der Verschmelzung" jedoch diametral entgengesetzt ist, da Verschmelzung nur dann möglich ist, wenn die eigene Ichgebundenheit überwunden, oder besser, durchbrochen werden kann, was mit keiner Form von Machtstreben in Einklang zu bringen ist und deshalb schlussendlich auch nie auf dem Wunsch basieren kann, den anderen ganz für sich einnehmen zu wollen.
Wenn also in der romantischen Liebe letztlich der Verschmelzungswunsch die antreibende Motivation darstellen sollte, dann muss man von seinem Geliebten oder von seiner Geliebten lassen und ihn/sie uneingeschränkt und selbstbestimmt das tun lassen, was auch immer er/sie tun möchte. Ist die antreibende Kraft jedoch der Wunsch, den/die Geliebte/n möglichst ganz allein für sich zu haben und sie/ihn auf diese Weise so fest wie nur irgend möglich an sich zu binden, würde ich persönlich sagen wollen, dass man die Romantik der Liebe zugunsten eines Machtstrebens aufgibt. Denn der romantischen Liebe ist das Geben das Nehmen und sie gibt ohne Unterlass und deshalb gibt sie den geliebten Partner / die geliebte Partnerin auch immer frei und versucht nicht ihn/sie an sich zu binden.

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Lior
Im Alltag aber muss ich mir der Individualität meines Partners bewusst bleiben und diese akzeptieren. Ihm Raum geben. Ansonsten kommt hier nicht nur der Gedanke des Besitz am anderen zum Vorschein, sondern es wird zudem eine Abhängigkeit geschaffen, indem sie nämlich in ihrer Vergötterung ein Idealbild des Partners entwirft, das diesen dazu nötigt sich der Vorstellung entsprechend zu formen. Ich denke das kennt auch fast jeder aus der Praxis, dass man unweigerlich in Situationen gerät, in denen man lieber den Erwartungen seines Partners zu entsprechen versucht, anstatt offen zuzugeben, dass man anders empfindet. Und wir alle haben vermutlich schon die Erfahrung machen müssen, dass wir von einem Menschen enttäuscht waren. Aber hier finde ich den Begriff „Enttäuschung“ ganz interessant. Denn er verweist auf den Umstand, dass eine Vorstellung „ent-täuscht“ wird, also eine Täuschung aufgehoben wird. Wo aber liegt der Kern dieser Täuschung? Immer beim anderen, der mich aktiv getäuscht (sprich angelogen) hat. Oder aber vielleicht doch ab und an in meiner Erwartung, die ich mit meinem Idealbild des anderen an den Menschen herantrage, der er aber gar nicht in Wirklichkeit entspricht?
Dem kann ich eigentlich uneingeschränkt zustimmen, sowas gibt es es! Reichlich unromantisch ist das...:-)

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Lior
Ich gebe aber zu, dass ich hier mit einem sehr abstrakten Verständnis operiere – und ich manchmal offen gesagt nicht weiß mich verständlich auszudrücken.^^ Man könnte es aber vielleicht auch zur Ehrenrettung der romantischen Liebe als infantile Liebe bezeichnen, denn es erinnert an das Denken eines Kindes, welches die Eltern ganz für sich beansprucht und glaubt durch die Geburt eines Geschwisterchens würde ihm etwas von der elterlichen Liebe entzogen werden. Könntest du dich mit diesem Ausdruck eher anfreunden?
Nö, infantile Liebe ist für mich was anderes, als romantische Liebe. Die romantische Liebe ist für mich persönlich das Idealbild der Liebe, da lass ich nix drauf kommen. Sie beruht nur zu selten auf echte Gegenseitigkeit und deshalb kommen dann so schlimme Kontrollmechanismen hinein, die dann aber auch sofort und im Moment ihrer Ausübung, die romantische Liebe preisgeben und dann meinetwegen zur infantilen Liebe wird.
Weißt du, die romantische Liebe hat ihr Ideal gar nicht in einem bestimmten Partner, sie projiziert in den Partner keinerlei Erwartungen hinein, sondern sie ist ja gerade deshalb romantisch, weil sie sich völlig aussetzt und hingibt, auch auf die Gefahr hin, dass sie verletzt oder sogar zerstört wird. Sie ist deshalb reine Hingabe und ihr ist, wie gesagt, das Geben das Nehmen.
Romantische Liebe ist Liebe, um des liebens Willen, sie ist ohne Warum und ohne Wozu, reiner Selbstzweck und gerade deshalb ist sie romantisch. Der Begriff "Romantik" kommt ja von "Roman" und alles wovon sie zu erzählen weiß, womit sie die Bücher füllt, ist die Liebe, die zu geben ihre größte Lust ist, ihr eigentliches, innerstes Wesen - die Hingabe, die nichts zurückhält, nichts erwartet und nichts für sich will.

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Lior
Mit deiner Assoziation zum Aquarium hast du meinen Morgen mit einem Schmunzeln bereichert.^^ Ja, manchmal gehen wir dem Umstand auf den Leim, dass Begriffe im Alltag ganz anders Verwendung finden. Und um deine Frage zu beantworten… es hängt davon ab, was du unter „Ablaichen“ verstehst.^^ Sofern es nur um den Samenerguss geht und du damit den sexuellen Akt als solchen meint, dann Ja. In diesem Sinne muss ich nicht zwangsläufig (ah… da haben wir das Wörtchen Zwang^^) in der Ehe ablaichen. Wenn es aber um die Befruchtung geht, also darum Kinder zu bekommen, dann beschränke ich das ausschließlich auf meine Ehe. Denn diese bietet eine familiäre Struktur und den elterlichen Bezug für die Kinder, deren Interessen und Bedürfnisse in diesem sicheren Rahmen befriedigt und deren Entwicklung optimal gefördert wird.
Ja, das habe ich verstanden und insofern meine ich mit "Ablaichen" tatsächlich nur den Moment höchster sexueller Erregung mit all den körperlichen Prozessen, die dann so ablaufen...;-)

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Lior
Nein, deine Frage finde ich nun nicht zu intim, allein ich wüsste nicht wie ich diese emotionale Intimität beschreiben sollte. Das emotionale Erleben ist ja nicht intersubjektiv vermittel- sondern nur erfahrbar. Ebenso könnte ich versuchen das von mir empfundene Gefühl der Angst oder der Liebe zu umschreiben, es bleiben aber letztlich klägliche Bilder.
Deiner Feststellung zur Intimität und der Möglichkeit sie zu erfahren stimme ich voll und ganz zu. Auch ich kenne solche Momente bzw. Ausdrucksmöglichkeiten. Sexualität ist diesbezüglich in meinen Augen ein hinreichendes, aber nicht notwendiges Mittel zum Zweck. Und zudem zumindest für mich eben nicht Zweck an sich. (→ Lust)
Und hier würde ich ansetzen. In einer zwischenmenschlichen Beziehung habe ich ja auch nicht erst vermittels der Sexualität dann Intimität, sondern ich habe aufgrund einer bereits bestehenden Intimität den Wunsch diese auch körperlich zum Ausdruck zu bringen und sie im gemeinsamen Erleben der Sexualität zu vertiefen. Ich denke auch das kennt jeder von sich selbst. Zumindest gehe ich davon aus, dass Sexualität für die meisten mehr ist als der „augustinisch-mechanische“ Vollzug zur Fortpflanzung ohne jede Gefühlsregung.^^ Im Gegenteil denke ich die meisten würden auf diese Intimität mit dem eigenen Partner nicht verzichten wollen. Wenn aber der Wunsch nach Sexualität eine Folge der bestehenden Intimität zwischen zwei Menschen ist, warum muss diese dann (zwanghaft) auf nur einen Menschen beschränkt bleiben? Und was wären die Motive dies von meinem Partner zu fordern?
Also für mich persönlich bleibt der sexuelle Akt schon allein deshalb auf einen Partner beschränkt, weil bei mir in einer Partnerschaft so viele Hormone, oder was es auch immer sein mag, ausgestoßen werden, dass ich für andere potentielle Sexualpartner "keine Augen" mehr habe - sie interessieren mich diesbezüglich einfach nicht die Bohne.
Wenn das bei meiner Partnerin nun anders wäre und sie sich sexuellen Kontakt zu mehr Menschen, als nur mir wünschen würde, dann soll sie gerne zu den Menschen ihrer Begierde gehen, aber ich stände dann sexuell eben nicht mehr zur Verfügung, wenn ich auch als Freund weiterhin noch da sein wollte/würde.
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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