Zitat Zitat von net.krel Beitrag anzeigen
Naemlich: Paulus war einfach auch Kind seiner Zeit wie man so schoen sagt.. und zu dieser Zeit war die Diskriminierung der Frau gang und gaebe. Und es gibt auch noch andere Stellen die das zeigen... nicht nur das mit der spirituellen Frauendiskriminierung...
Diesen Punkt mag ich ganz kurz nochmal aufgreifen, weil er hinsichtlich des Threadthemas ganz interessant ist, finde ich.

Ob nämlich die christliche Religion lebensbejahend, oder vielleicht doch eher lebensfeindlich ist, bzw. als solche wahrgenommen wird, hängt immer sehr stark von der Perspektive ab, aus der heraus wir das beurteilen möchten und welche Schwerpunkte wir in diesem Zusammenhang in den Mittelpunkt des Interesses rücken wollen. Wir haben jetzt ja schon sehr oft festgestellt, dass das Christentum sich nicht ganz so einfach definieren lässt, weil zwischen den einzelnen Glaubensrichtungen/Konfessionen innerhalb des Christentums große Unterschiede bestehen können. Und diese Unterschiede sind ja auch gar nicht so schrecklich ungewöhnlich, da das Christentum ja schließlich auch schon einige tausend Jahre "auf dem Buckel hat" und sich innerhalb dieses Zeitverlaufs auch notwendigerweise Perspektiven, (Glaubens)Vorstellungen und grundlegende Ausrichtungen ändern mussten, wollte man in der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Zeitgeist bestehen.

Der Christ des Jahres 0 war mit einem anderen Weltbild und entsprechend auch mit anderen Problemen und Herausforderungen konfrontiert, als der Christ im Jahre 500, 1000, oder eben heute 2016. Aber jeder von ihnen musste Antworten auf die Fragen finden, die zu seiner Zeit gestellt wurden und manchmal musste deshalb auch anders gedacht und sich ausgerichtet werden, musste man als Christ also zu bestimmten Themen anders Stellung beziehen, als die Glaubensschwester, oder der Glaubensbruder Jahre, oder gar Jahrhunderte zuvor. Es ist doch eher unwahrscheinlich, dass sich heute ein Christ in Deutschland um die Frage besorgt, ob er das Fleisch von heidnischen Opfertieren essen darf, aber laut NT war das eine ganz brennende Frage, die in den Gemeinden heiß diskutiert wurde. Wir haben heute andere Fragen und versuchen die richtigen Antworten zu finden.

Der Glaube, bzw. die Religion ist also letztlich etwas Dynamisches und Veränderliches, selbst wenn innerhalb des Glaubenssystems Dogmen festgelegt wurden, die in der Geschichte des Christentums sowieso immer einem Wandel unterworfen waren. Und diese Dynamik begegnet uns bereits in der Bibel! Denn während Jesus sich nach allem was wir darüber wissen, sehr gerne und ganz offen mit Frauen umgeben hat, es also wohl tatsächlich zumindest annähernd Gleichberechtigung innerhalb der "Jüngerschaft" gab, etablierte sich im Laufe der Zeit zunehmend ein Patriarchat, was wohl nicht zuletzt an den Aussagen von Paulus gelegen haben mag, die ja in diesem Thread bereits kritisch erörtert wurden.

Ich finde es schade, dass wir nicht erfahren werden, ob sich der christliche Glaube in seinem damaligen Umfeld hätte etablieren können, wäre dogmatisch z.B. die Stellung der Frau tatsächlich im Sinne Jesu festgelegt worden - ich fürchte aber nicht. Und genau das ist der Punkt, denke ich. Will eine religiöse/spirituelle Bewegung erfolgreich sein, sich also etablieren, muss sie wohl oder übel zumindest grundsätzlich mit dem Zeitgeist vereinbar sein, sonst wird sie höchstwahrscheinlich keine Anhänger oder Nachfolger finden und zunehmend bedeutungslos werden.

Das Christentum betreffend empfanden es die sogenannten Heiden in weiten Teilen ohnehin schon als Zumutung, dass man ihn verkündete, dass Gott Mensch geworden sei, am Kreuz starb und drei Tage danach wieder auferstand, um dann anschließend in den Himmel aufzusteigen, wo er nun einige Zeit verweilen wird, bis er schlussendlich dann doch wieder zurück kommt, um abschließend über die Menschen Gericht zu halten. Die Heiden werden diese Botschaft sicher häufig völlig verrückt gefunden haben und in Apostelgeschichte 17 heißt es z.B., dass die Leute darüber spotteten. Es ist also gar nicht so einfach, mit einer religiösen/spirituellen Botschaft erfolgreich zu sein, die Menschen zu erreichen und sogar zur Weltreligion zu werden. Und deshalb wundert es mich persönlich jetzt auch gar nicht, dass der christliche Glaube, die christliche Religion im Laufe ihres Bestehens zahllose Anpassungen und Veränderungen erfahren hat. Und diese betreffen dann auch das Selbstverständnis und die Stellung der Frau, bzw. das Selbstverständnis und die Stellung des Mannes.

Tatsächlich sehe ich persönlich in der Anpassungsfähigkeit des Christentums eines seiner wichtigsten "Erfolgsgaranten". "Jüdischer Geist" traf auf "griechischen Geist" und heraus kam eine Religion und Weltanschauung, dessen Theologie und Glaubenslehre den Menschen bis zum heutigen Tag wertvolle Gedanken mit auf den Weg geben kann, Trost zu spenden vermag, Mut schenkt und z.B. auch moralisch ausrichtet. Das ist über Jahrtausende wohl nur dann erfolgreich und einflussreich möglich, wenn die Theologie und Glaubenslehre, die jeweiligen Impulse des Zeitgeistes positiv aufnehmen und in ihr Glaubenssystem übertragen kann (oder wenn sie selbst, notfalls mit Gewalt, den Zeigeist bestimmt, was im Christentum ja leider auch der Fall war). Dazu bedarf es eines offenen, dem Zeitgeist zugewandten Selbstverständnisses, das ich im Christentum auf jeden Fall gegeben sehe und weshalb ich ganz grundsätzlich den christlichen Glauben als durchaus lebensbejahend empfinde, wenn er es auch nicht zu allen Zeiten war und es bis heute auch nicht in all seinen Ausprägungen ist.

LG
Provisorium