Hallo Thalestris,

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thalestris
Wie kommt das denn, dass das Christentum in seinen Lehren so negativ eingestellt ist? Wieso wird alles was natürlich ist so "verteufelt"? Wieso wird der Körper als sowas schlechtes angesehen. Bzw. die körperlichen Bedürfnisse der Menschen? Sexualität ist negativ, das Herz ist böse, der ganze Mensch ist schlecht und böse. Das empfinde ich als lebensfeindlich...iwie.
Ja, mit dieser Empfindung stehst du nicht allein. Wobei auch ich es schwierig finde hier von „dem“ Christentum zu sprechen, denn du siehst ja, dass es ganz unterschiedliche Ansichten dazu gibt. Aber grundlegend kann man denke ich das Christentum in seinen Wurzeln aber auch über seine Zeit hinweg von einer gewissen lust- und auch lebensfeindlichen Haltung nicht ganz freisprechen. Und es hat in der Vergangenheit auch zu teils absurd anmutenden Bemühungen geführt, so haben christliche Gemeinschaften wie auch die Kirche über die Jahrhunderte einen Kampf gegen so manches geführt, dass uns Menschen Freude bereitet. Denk nur an den Film „Der Name der Rose“ den du kürzlich gesehen hast… obschon der Roman selbst fiktiv ist, sind es doch sehr viele der Zitate nicht, und tatsächlich gab es sogar ernstzunehmende Bestrebungen das Lachen zu verbieten, weil es die Angst und damit den Kern wahrer GottesFURCHT mindere. Und selbst heute noch gibt es christliche Gemeinschaften, die sich selbst Schmerzen zufügen, weil dies der Buse und der Askese dienen soll. Sexualität ist da also nur ein Aspekt, wenn auch sicherlich einer der Bedeutsameren.
Die Frage wieso das im Christentum so ist, die ist natürlich wieder unterschiedlich zu beantworten. Der Gläubige würde vermutlich dazu festhalten, dass diese Gebote uns aus Liebe Gesetzt sind, d.h. also ein Befolgen der Gebote in unserem Interesse steht und uns zum Besten dient. Von außen betrachtet stellt sich die Sache natürlich geringfügig anders dar.^^ Allerdings sind die diskutierten Gründe für diese Lebensfeindlichkeit sehr komplex und liegen (Provisorium hat ja hier auch schon einen möglichen Aspekt benannt) in der Auseinandersetzung der frühen Christen mit ihrer Zeit und dem internen Ringen um die richtige Lehre begründet.

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thalestris
Was denkst du... wenn man z.B. eine offene Beziehung lebt und neben seinem festen Freund/Freundin ab und zu noch andere Liebschaften hat. Ist das in Gottes Augen eines der Dinge, die du ganz oben aufgezählt hast? Ist sowas für Gott auch schon Hurerei, Ehebruch, Unzucht und Unreinigkeit?
Die Frage lässt sich natürlich unterschiedlich beantworten. Sofern es die Bibel betrifft, hat Plueschmors bereits eine Stelle benannt, die sehr deutlich werden lässt, was die frühen Christen bzw. Apostel für eine Haltung zu diesem Thema hatten. Und da müsste man ganz klar sagen, Ja… nach deren Vorstellung und bei einer wörtlichen Lesart der Schrift wäre eine offene Beziehung Ehebruch, ein sexuelles Verhältnis ohne Ehe gehört zu jenem, dass die Bibel als Hurerei bezeichnet und entsprechend würdest du – sofern du diese praktizierst und dich davon nicht abwendest – als Sünder verstoßen werden.
Eine andere Frage ist nun die, ob diese Sichtweise auch für Gott gilt. Das hängt nun wie du an Adi siehst vom jeweiligen Glaubensverständnis ab.
Es ist natürlich eine grundlegende Funktion einer moralischen Lehre, unser Verhalten zu reglementieren und ggf. einzuschränken. Allein aus dem Umstand, dass etwas „natürlich“ ist, können wir keine moralischen Urteile ableiten, oder? Sind nicht z.B. auch Aggressionen natürlich und in einem gewissen Sinne und Maß auch nützlich? Dennoch stimmst du mir sicherlich zu, dass es nicht richtig sie ungezügelt auszuleben, nur weil sie natürlich ist. Einen Gedanken den du auch in der Bibel findest und der wie ich finde bei dem Philosophen Kant sehr nachdrücklich formuliert wird (vielleicht ist dir der oft als "Goldene Regel" missverstandene kategorische Imperativ ein Begriff?) ist der, dass die wahre Freiheit nicht darin liegt alles zu tun, wozu man Lust hat. Denn dann wäre man Sklave seiner Begierde und damit nicht wirklich frei, sondern der „Natur des Fleisches“ ausgeliefert. Insofern ist deine Wortwahl unglücklich, denn obschon du das vermutlich nicht gemeint hattest, beschreibt doch gerade der Ausdruck „austoben“ eben das, was wie ich finde zurecht kritisiert werden muss. „Toben“ ist ein Verb, das ein wildes, unkontrolliertes, hemmungsloses und rasendes Verhalten beschreibt. Ein Verhalten, dass wir – wie es die Verwendung des Wortes „tobsüchtig“ z.B. zeigt – als schädigend, ja krankhaft empfinden. (Süchtig kommt hier nicht von Sucht, sondern von Siechen, also krank sein. Ganz so wie z.B. auch bei Eifersucht) Wer sich also austobt, der tut dies ohne Hemmungen und ohne Einschränkung. Wahre Freiheit liegt aber - so der Gedanke - darin zu erkennen was aus vernünftigen (geistigen) Gründen das rechte Handeln ist, und diesem zu folgen und sich in der Auslebung seiner Lust einzuschränken und sich von dieser zu befreien. Ob dies allerdings in einem völligen Verzicht enden muss, dass lasse ich mal dahingestellt. Denn wie du sagst, sind uns unsere Bedürfnisse und Neigungen ja auch aus gutem Grund gegeben. Und so wichtig eine Reglementierung der Begierde auch sein mag, so fragwürdig und schädlich scheint es mir doch diese in der ein oder anderen Form zu verdrängen.

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thalestris
Ich verstehe diese Logik einfach nicht.... will Gott seine geliebten Kinder glücklich sehn oder nicht? Ist es ihm wichtiger das man glücklich ist oder ist ihm das einhalten von Geboten wichtiger?
Und im weiteren

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thalestris
Ist es nicht quatsch an Dingen festzuhalten die vor tausenden(!) Jahren mal beschlossen wurden?! Wenn es heute noch so zugehn würde wie damals, dann müsste ja jede Frau als Heimchen am Herd enden das ohne die Erlaubnis ihres Mannes nicht mal atmen dürfte.
Also grundsätzlich gibt es durchaus Ansichten, die sich vor tausenden Jahren so ergeben haben, die ich auch heute noch ganz nützlich finde. Z.B. die grundsätzliche Ächtung einen Menschen zu ermorden.^^ Insofern ist es doch gar nicht wesentlich, wann etwas einmal beschlossen wurde. Nur ob es heute noch Sinn macht. Betrachtet man die Gebote der Bibel, dann mag man das natürlich ambivalent beurteilen. Sicherlich gibt es viele Gebote, die uns auch heute noch recht und gut dünken. Andere Gebote hingegen lassen den Menschen heute erst einmal ungläubig staunen. Als Beispiel wäre hier die Verhaltensnormen bei der Vergewaltigung einer (Jung)frau zu nennen. Ist diese bereits versprochen bzw. verheiratet, und hat sie damit einen Mann, der sie versorgt, dann wird sie freigesprochen und nur das Leben des Vergewaltigers gefordert. Ist sie aber unverheiratet wurde gefordert, dass der Vergewaltiger sein Opfer ehelicht. Eine Vorstellung, die heute nur als grotesk zu bezeichnen wäre.
Es stellt sich also die Frage, wie die Gebote der Bibel einzuordnen sind. Sind sie ewig gültige Gebote eines Gottes? Oder sind sie Weisungen eines von Gott geleiteten, vernünftigen Geistes, die in ihrem jeweiligen Rahmen durchaus Sinn machten. Im Falle der vergewaltigten Jungfrau ist der zugrundeliegende Gedanke nämlich möglicherweise der, dass sie als geschändete Frau auch keinen Mann mehr finden wird, und dann ohne wirtschaftliche Absicherung zurückbleibt. Die geforderte Ehe also diente damals sozusagen dem wirtschaftlichen Schutz des Opfers, wohingegen die Gefühle der Frau in der damaligen Zeit von wohl eher geringem Belang war.
Nicht anders verhält es sich mit Ansichten im NT. Vieles davon mag zu seiner Zeit sinnvoll und dem Menschen dienlich gewesen sein. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die ersten Christen und die Apostel noch damit rechneten, dass das jüngste Gericht bereits noch zu ihren Lebzeiten kommen wird. Es stellt sich also die Frage, ob die Aussagen des NT als wörtliche Weisung für alle Zeiten Bestand haben sollte, oder ob sie wie im Beispiel der Jungfrau als Hinweis auf die grundlegende Ansichten Gottes und seine Haltung zu dem Menschen verstanden wird. Jene Christen, die sich für letztere Lesart entscheiden und in der Schrift keinen wörtlichen Kanon sondern die Bemühungen eines Gottes sehen, der sich in seinem Wesen erkennbar zu machen versucht, stellen zumeist die in den Geboten zu findende Nützlichkeit und die Vernünftigkeit der jeweiligen Gebote und damit die Liebe als wesentlichen Bestimmungsgrund Gottes in das Zentrum. Was heute dann dazu führt, dass auch im Zusammenhang mit neuen Lebensformen bzw. neuen Lebensumständen (wie z.B. unverheirateten Paaren, Scheidung oder Homosexuellen) neue Normen gefordert werden müssen, die dem Kern der Selbstoffenbarung Gottes als einem Gott der Liebe eher entsprechen, als die Beschränkung auf die "in Stein gemeiselten" Worte der Schrift.
Die Frage muss also an dich zurück gehen und könnte meiner Ansicht nach in einer extremen Verkürzung also wie folgt zusammengefasst werden:
Was ist Gott für dich? Ein gerechter Monarch, der ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Zeit und der Menschen die Einhaltung seiner Ordnung fordert? Oder ist er ein liebender und um eine Beziehung bemühter Gott, der dem Menschen von jeher Regelungen an die Hand gab, die zu ihrer Zeit vernünftig und dem Menschen zu Nutzen waren? Kurz… ist Gott wesentlicher Wesenszug die des Richters und Despoten? Oder die der Liebe und der Vernunft?

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thalestris
Wie ist das denn bei dir Lior..? Wie gehst du mit solchen Themen wie hier im Thread um?
Wie ich mit diesen Themen umgehe? Meistens schweige ich dazu in christlichen Foren. ;-D Nein, im ernst…. Ich weiß, dass du erst gezögert hast mich direkt zu fragen, weil du dir nicht sicher warst, ob ich diese Information von mir im Forum sehen möchte. Für deine Rücksicht danke ich dir, aber du darfst ganz offen fragen. Müsste ich mich in diesen Dingen schämen oder mich verleugnen, dann wäre das finde ich mehr als bezeichnend.^^
Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich genau verstehe, was du meinst. Ich weiß natürlich, dass die meisten und gerade auch Christen hier eine ganz andere Ansicht haben als ich. Das respektiere ich. Und ich denke, dass da jeder für sich entscheiden muss, mit welcher Lebensform er am ehesten Gott die Ehre geben und tugendhaft leben kann. Aber ich gehöre auch zu den Menschen, die Gott im Wesentlichen als die Vervollkommnung der Liebe, der Wahrheit und der Vernunft sehen. Also frage ich mich fortwährend, was uns unsere Freiheit und unsere Vernunft (die uns beide von den Tieren abhebt und somit für mich zu den wesentlichen Aspekten des göttlichen Funkens in uns gehört) und die Einsicht in die Liebe Gottes lehrt. Und mein bisheriges Stückwerk an Erkenntnis hat mich an den Punkt geführt, dass ich gute Gründe habe das traditionelle Beziehungsmodell als unmoralisch abzulehnen und ein offenes Beziehungskonzept zu befürworten. Wobei die Befürwortung sich für mich auf eben vernünftige Gründe stützt, nicht auf das Begehren. Tatsächlich beschreibt „offen“ in diesem Kontext auch erst einmal eine Freiheit, die ich zwar habe und viel wichtiger, die ich auch gebe, die ich aber nicht nutzen muss.
Daraus resultiert natürlich, dass ich auch viele Aspekte der Sexualität (dich ich im weiten Sinne als alle Körperlichkeit zwischen zwei Menschen verstehe) ganz anders sehe als wieder andere. Z.B. lehne ich Selbstbefriedigung nicht ab und es kommt – das gebe ich offen zu – auch bei mir zu Momenten, in denen ich einer gewissen Notwendigkeit folgend mich ihrer bediene, aber diese sind sehr selten, weil mir das kommunikative Gegenüber fehlt und sie mir daher nicht wirklich viel gibt. Und ich kann z.B. nur sehr kopflastig nachvollziehen, dass mancher sich von den Reizen eines weiblichen Körpers angezogen oder belästigt fühlt. Da aus meiner Überzeugung Sexualität körperliche Ausdrucksform einer emotionalen (geistigen) Zuneigung ist, nehme ich Frauen tatsächlich erst dann bewusst als sexuelle Wesen wahr, wenn sich bereits eine intime Freundschaft anbahnt. Da aber meine Lust nichts ist, dass ich meinem Partner zuliebe oder aufgrund von moralischem Druck Verdrängen oder Verleugnen muss, sondern die ich offen annehmen darf, muss ich auch nicht den ganzen Tag darüber nachsinnen und Verdrängungsarbeit leisten, sondern kann mich vielmehr auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentrieren.^^ Es ist wie mit Nacktheit… vor alem jene die sie in welcher Form auch immer als „unsittlich“ empfinden, werden von ihr erregt. An einem FKK-Strand aber ist es nichts besonderes und du wirst nur seltenst einen Mann sehen, der im körperlich sichtbaren Zustand der Erregung umher spaziert.
Die Lust an der Sexualität ist wie Provisorium schon gesagt hat nicht das wichtigste auf der Welt. Viel wichtiger ist mir die Begegnung und die Gemeinschaft mit dem Menschen, die auch durch sie möglich wird und die eben jenen Funken der Liebe in sich trägt, der das Wesen Gottes für mich ausmacht.
Konnte ich mit meinen Gedanken ein wenig auf deine Fragen eingehen?
Herzliche Grüße
Lior
Geändert von Lior (08.02.2016 um 13:55 Uhr)
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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