Hallo lieber Bruder net.krel,
mit etwas zeitlicher Verzögerung möchte ich dir nun noch gerne auf deinen Post antworten.
Damit das aber kein "Endlosroman" wird, möchte ich das gerne bisschen freier tun und nicht unbedingt explizit auf jedes einzelne Zitate eingehen. Ich hoffe das ist ok?
Bitte korrigiere mich, wenn ich das falsch sehen sollte, aber es ging doch im Kern um die Frage, weshalb ich persönlich bzgl. der Religion Christentum und auch hinsichtlich des "Christ-Seins" keine großartigen Differenzierungen vornehme, sondern stattdessen der Meinung bin, dass z.B. auch die von dir so benannten "schwarzen Priester der rrk" mit ihrem "False-Kult" Christen sind; dass also letztlich für mich jeder Christ ist, der persönlich in diesem Selbstverständnis lebt, ganz egal, wie er das nun konkret tun mag und welchen Glaubensinhalten er persönlich folgt.
Und das liegt nun unter anderem eben einfach daran, dass es im Christentum nicht die eine Glaubenslehre gibt und auch nie gab. Die rkK trat und tritt ja durchaus auch noch heute mit dem Anspruch auf, diese eine, wahrhaftige Glaubenslehre zu verkündigen und in ihrer Geschichte waren haufenweise Theologen damit beschäftigt, diese eine Lehre aus der großen Zahl der kursierenden Lehren und Verständnisse gleichsam zu extrahieren. Aber genau dieses Vorgehen hat massenweise Leid verursacht, Andersdenkende auf den Scheiterhaufen gebracht und schlussendlich ganz eindeutig nicht dazu geführt, die Einheit der Kirche und die Einheit des Glaubens herzustellen und zu gewährleisten.
Anders gesagt: Unter Christen gab es schon immer Unstimmigkeiten und Diskussionen. Wir lesen davon ja auch schon reichlich im NT. Christen diskutieren ganz offensichtlich gerne! Und dabei geht es dann häufig um solche Fragen wie "was darf ein Christ und was darf er nicht", "was ist heilsnotwendig und was nicht", "wie lebt ein Christ christlich seinen Alltag" usw. All diese Fragen sind meines Wissens nie abschließend, und also sozusagen für jeden Christen verbindlich, beantwortet worden. Stattdessen forscht folgerichtig jeder Christ nach eigenen Antworten und dabei legt dann der eine die Bibel so aus, der andere legt sie jedoch anders aus und wieder ein ganz anderer will erst einmal eine Grundsatzdiskussion darüber führen, ob die Bibel überhaupt maßgeblich ist. Du kennst das ja. :-) Und diese Überlegungen einmal zu Grunde legend, kann ich persönlich unmöglich irgendeinen Gläubigen ausschließen und ihm sein "Christ-Sein" absprechen, wenn er sich selbst als Christ betrachten sollte.
Die von dir nicht sehr geschätzte Inquisition der rkK hatte damals ja unter anderem die Aufgabe, die "Rechtgläubigkeit" zu überprüfen, wenn da ein einzelner Gläubiger, oder eine Gruppe von Gläubigen etwas lehrte, was eventuell den "Glaubenswahrheiten der rkK" zuwiderlaufen sollte. Da wurde dann natürlich auch viel denunziert, wenn z.B. ein Christ in Vorstellungen lebte, die dem "rkK-Mainstream" widersprachen. Schlussendlich hat das aber alles nichts gebracht und andere Vorstellungen von dem, was ein Christ ist und was nicht, setzten sich mit der Zeit trotzdem durch (siehe z.B. Luther, bis hin zur Teilung der Kirche). Was für Früchte bringen also solche "Ausdifferenzierungen" und "Festlegungen"? Ich finde keine guten!
Du kannst jetzt ja natürlich mit einigem Recht darauf hinweisen, dass das, was in der Geschichte des Christentums da so teilweise abging, nicht der Lehre Jesu entsprach, so wie sie uns durch die Evangelien übermittelt wurde, aber ist es deshalb dann auch zwangsläufig nötig, irgendwelchen fehlgeleiteten Christen ihr Christ-Sein abzusprechen, bzw. zu sagen, dass das, was die da treiben, kein Christentum ist? Wird man dann nicht selbst ein ganz klein bisschen zur Inquisition, wenn man so etwas fordern würde? Und auch Jesus selbst hat meines Wissens nach die Schriftgelehrten und Pharisäer zwar ganz gerne mal als Heuchler, Blinde und Narren bezeichnet und sich auch sehr über sie geärgert und aufgeregt (siehe z.B. Matthäus 23,13-36), aber er hat doch nirgends gesagt, dass das nun keine Juden mehr seien und ihre Lehre nix taugt. Er hat vielmehr ihr Verhalten im Kontext zu ihrem Glauben (nach dem Motto "Wasser predigen und Wein saufen", z.B.) kritisiert, weshalb es z.B. in Matthäus 23, 1-3 heißt: Dann redete Jesus zu den Volksmengen und zu seinen Jüngern und sprach: Auf Moses Lehrstuhl haben sich die Schriftgelehrten und die Pharisäer gesetzt. Alles nun, was sie euch sagen, tut und haltet; aber handelt nicht nach ihren Werken! Denn sie sagen es und tun es nicht.
In diesem Zusammenhang würde ich dir aber auch sofort komplett recht geben, wenn du nun einwerfen würdest, dass das, was z.B. die rkK sagt, was man tun soll, durchaus mit guten Gründen abzulehnen ist (z.B. Thema Verhütung), es sich also ein bisschen anders verhält, als bei der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Schriftgelehrten. Trotzdem bleibt es meiner persönlichen Meinung nach unnötig, die rkK deshalb als unchristlich zu bezeichnen, womit ich bei meinem letzten Punkt angekommen bin und in gebotener Kürze die Frage beantworten möchte, was meiner Meinung nach christlich ist und was nicht.
Eigentlich gibt es diesbezüglich zwei Definitionsmöglichkeiten, wenn ich das richtig sehe. Entweder ist es christlich was ein Mensch tut, oder nicht tut, bzw. tun soll, oder nicht tun soll, da wird dann zuvorderst das ethisch/moralische Verhalten in den Mittelpunkt gestellt und als christlich, oder eben unchristlich bezeichnet, oder man fasst unter dem Begriff "christlich" all das zusammen, was sich im Laufe der Geschichte als dem christlichen Glauben zugehörig erwiesen hat. Da würden dann zum Beispiel auch die christlichen Feste drunter fallen, die ja größtenteils eigentlich heidnischen Urprungs waren und auch die Marienverehrung wäre ganz eindeutig christlich, was allerdings sehr viele evangelische/protestantische Christen verneinen würden, weil ihnen die Marienverehrung wie ein Götzendienst vorkommt. Und schlussendlich müsste man vielleicht sogar überlegen, ob nicht Mord und Totschlag ganz eindeutig christlich sind, da beides wie selbstverständlich zum Christentum gehört und viele Christen Mörder waren.
(Mhhm, in diesem Zusammenhang überlege ich gerade, wie das denn im Judentum ist. Im AT gibt es ja sehr viele Beispiele für nicht vorbildliche, sich schlecht und sündig verhaltene Juden. Wurde denen irgendwo ihr Jude-Sein abgesprochen, oder wurden sie als unjüdisch bezeichnet - weiß das vielleicht jemand? Oder ist das vielleicht so eine typisch "christliche Diskussion"?)
Als ich ein Teenie war, hatte ich eine recht eindeutige Vorstellung davon, was christlich ist und was nicht. Es waren zuvorderst Verhaltensweisen und -regeln. "Ein Christ lügt nicht, er stiehlt nicht, er hat keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr, er legt nur ganz gelegentlich Hand an sich selbst und hat danach unbedingt ein bisschen ein schlechtes Gewissen, er liest viel Bibel, hört möglichst ausschließlich christliche Musik, er betet viel, besucht regelmäßig den Gottesdienst" usw.
Mit diesen, doch recht simplen Regeln, bin ich einige Jahre lang gut als Christ gefahren, fühlte mich also auch ganz eindeutig christlich und mein Verhalten war es meiner Überzeugung nach größtenteils auch und wenn einmal dann doch nicht, dann gab es ja jederzeit die Möglichkeit um Vergebung zu bitten, was ja auch ganz eindeutig christlich ist (also Reue zeigen und Schuld eingestehen).
Dann wurde es komplizierter, weil ich auf einer christlichen Jugendfreizeit einen jungen Mann kennen lernte, der homosexuell war und dem man gesagt hatte, dass das unchristlich ist und eine Sünde und er seine Homosexualität nicht ausleben soll/darf. Der arme Kerl war deshalb völlig verzweifelt und fragte mich, was ich dazu meinte. Und weil ich einerseits nichts Falsches sagen wollte, andererseits aber schon damals der recht festen Überzeugung war, dass Homosexualität keine Sünde ist, sagte ich ihm, dass er sich diesbezüglich besser nicht an mich, sondern an Gott wenden soll, was für meinen Gesprächspartner wahrscheinlich nicht allzu hilfreich gewesen sein dürfte, mich aber zu der Einsicht brachte, dass es vielleicht gar nicht so sehr einzelne Verhaltensweisen sind, die uns christlich machen, oder zum Christen machen, sondern es vielmehr unsere Beziehung zu Gott ist.
Und damit komme ich zu meiner persönlichen Definition hinsichtlich dessen, was ich als christlich bezeichnen möchte und was nicht. Für mich sind es, wie eben gesagt, weniger die Verhaltensweisen, die man so an den Tag legt und die man aufgrund irgendwelcher biblischen Imperative als christlich betrachtet. Denn da könnte man auch wieder ruckzuck in "Endlosdiskussionen" darüber geraten, ob das auch jeweils immer so stimmt, oder nicht. Das Befolgen der sogenannten "christlichen Werte" kann es deshalb für mich genauso wenig sein, wie der regelmäßige Kirchgang und das Feiern der christlichen Feste, denn das sind mir persönlich zu "oberflächliche Allgemeinplätze". Für mich persönlich ist deshalb vielmehr das christlich, was man als Christ aus der Beziehung zu Gott heraus lebt, tut, lässt, denkt, träumt, erleidet, fühlt, gibt, nimmt, falsch macht, oder auch richtig macht, vieles andere noch mehr und ja, auch sündigt!
"Christ-Sein" heißt für mich nämlich "in Christus sein", heißt Teil des lebendigen Gottes sein (nach Kolosser 1,15), heißt "ein Wort im Wort sein" (nach Johannes 1,1), heißt, nicht soviel darüber nachdenken zu müssen was man tun soll, sondern vielmehr darüber nachdenken zu sollen, wer man ist (nach Eckhart ;-)).
Ein Christ ist für mich persönlich deshalb eher sowas wie ein "metaphysischer Zustand", als dass es sowas wie ein Religionsangehöriger wäre. Aber selbstverständlich spreche ich dem Religionsangehörigen des Christentums deshalb nicht sein Christ-Sein ab. Jeder wird da seine ganz eigenen Vorstellungen haben, was für ihn konkret das Christ-Sein ausmacht und was nicht. Das Christentum ist reich genug, um all diesen Vorstellungen ihren Platz zu lassen. Und so ist es für mich völlig ok, wenn ein Gläubiger sein Christ-sein dadurch leben will, dass er lediglich der Bergpredigt, den Gleichnissen Jesu und den Zehn Geboten folgt und z.B. Paulus eher außen vor lässt. Andersrum sind mir die "Hardcore-Paulianer", bei denen der Jude Jeschuah kaum mehr eine Rolle spielt, ebenso als Brüder und Schwestern willkommen, wie die "schwarzen Priester" der rkK. Für mich vereinigt sich das alles lediglich nur an dem Punkt, an dem noch kein Gedanke, kein Bewusstsein, keine Vorstellung den Einen, den heiligen Gott traf und wo wir eben alle Wort in Wort sind, teil des lebendigen Gottes und nicht soviel darüber nachdenken müssen, was wir tun sollen, sondern vielmehr darüber nachdenken dürfen, wer wir sind...
LG
Provisorium
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist. (Meister Eckhart)
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