
Zitat von
thalestris
Anders rum frage ich mich (da komme ich jetzt wegen Lior drauf) was Personen tun würden, die sagen: Nur Menschen die Organe spenden würden dürfen auch eine Spende bekommen wenn z.B. das hier passiert: (vll willst du mir das beantworten Lior?)[...]
Und wenn Liors Kind Organspende für sich ablehnt (als Erwachsener) und dann schlimm krank werden würde, würde Lior ganz bestimmt nicht zu seinem eigenen Kind sagen: Pech, bist kein Organspender, darfst nicht von dem System profitieren. Nein, er hätte Angst um sein Kind und wäre sicher froh wenn er schnell ein Spenderorgan bekäme und wieder gesund wird.
Hallo Thalestris,
ja, da hast du einige sehr gute Gedanken mit ins Spiel gebracht. Vorweg in aller Kürze bzw. so „im Nebensatz“… ich gebe dir recht, Organspende ist wenn keine Christenpflicht sondern eine moralische Pflicht. Oder eben nicht. Im Gegenzug denken ja so manche Christen, dass Organspende sich aus religiösen Gründen verbietet. Letztlich hast du aber recht, das muss jeder selbst mit seinem Gewissen vor sich und vor Gott verantworten. Und gestatte mir – ebenfalls vorweg – noch einen kleinen Hinweis in eigener Sache. Ich habe bedingt durch Provisoriums Einwand meine Formulierung schon dahingehend abändern „müssen“ (weil er völlig recht hat), dass es unfair wäre einen Nicht-Spender als potentiellen Empfänger kategorisch auszuschließen. Und es geht mir weniger darum Nicht-Spender zu benachteiligen (auch wenn das zugegeben die Folge ist), sondern die Spendenbereite für ihre Bereitschaft zu belohnen. Eben nach dem Grundsatz, dass Menschen, die etwas in ein System hineinbringen anders und ja… bevorzugter behandelt werden müssen, als Menschen, die von dem System ohne eigenen Beitrag profitieren. Alles andere wäre den „Zuzahlern“ gegenüber unfair und würde deren Beitragsbereitschaft auch senken. (Kennst du solche Sätze wie „Warum soll ich arbeiten, wenn ich vom Staat fast genau soviel ohne Arbeit bekomme“?) Das aber nur zur Klarstellung.
Was nun deine andere Frage betrifft, natürlich werde ich sie dir gerne beantworten, auch wenn es natürlich eine schwierige Frage ist – was wie du dir schon denken kannst bedeutet, dass es etwas mehr Text ist. Bei mir ja (leider) keine Seltenheit.^^ Du hast recht, eine Sache hat selten nur eine Seite, aus der man sie betrachten kann. Und es ist immer ein Unterschied ob man eine Sache aus der Entfernung oder als Betroffener beurteilen mag. Und es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit sich wirklich in die Situation eines Betroffenen hineinzuversetzen. Daher kann ich dir nicht unter Garantie sagen, wie ich in der von dir geschilderten Situation reagieren würde. Bestenfalls kann ich eine Mutmaßung anstellen. Dennoch sage ich dir ganz offen, dass ich zu meiner Ansicht stehe, und ich versuche dir gerne meine Gedanken dazu zu erläutern.
Grundsätzlich ist es doch so, dass moralische Regelungen aus einer nüchternen Distanz entworfen werden. Und moralische Regelungen dienen dazu ein System des gerechten und im Idealfall harmonischen Zusammenleben zu ermöglichen. Zugleich aber drückt eine moralische Regel ein „Sollens“-Prinzip aus. „Du sollst nicht stehlen“. Oder „du sollst nicht morden“. Diese imperative Formulierung, also diese „Du sollst nicht“-Struktur weist aber bereits auf einen wesentlichen Umstand hin – moralische Regeln und Gesetze sind nicht immer bequem und entsprechen nicht immer dem, was wr auch wollen. Anders gesagt, wenn wir immer das richtige wollen würden, bräuchten wir keine Regeln die uns sagen was wir tun sollen (um das richtige zu tun). Dann wäre das Sollen und das Wollen identisch.
Wir alle sind aber eben „nur“ Menschen. Und wir alle waren vermutlich schon einmal in einer Situation, in der wir uns auf eine Art und Weise verhalten haben, die wir nachträglich bedauern oder für die wir uns Vorhaltungen machen. Das liegt in unserer Natur begründet, denn wir kommen als Betroffene immer wieder in Situationen, in denen wir aus den unterschiedlichsten Gründen dazu verleitet sind uns entgegen unseren moralischen Überzeugungen zu verhalten. Das mag der morgendliche Wunsch sein lieber im Bett liegen zu bleiben und sich krank zu melden, die Verlockung durch eine Lüge einen Konflikt zu vermeiden oder der Wunsch auf das Eigentum eines anderen.
Neben diesen Situationen gibt es aber auch noch andere, die von so existentieller Natur sind, dass sie sich unserer Kontrolle meist entziehen – oder aber ein durch die Lebensjahre und die Überzeugung extrem gefestigten Charakter brauchen, um darauf Einfluss zu nehmen. Das sind dann Ereignisse, die wir bereuen oder für die wir uns in extremen Fällen sogar innerlich selbst immer wieder und wieder zu bestrafen suchen oder uns zumindest für unwert halten. Beispiele hierfür wäre eine Massenpanik wie damals auf der Love-Parade in Duisburg, in der Menschen in purer Verzweiflung um ihr Leben kämpfen dabei auch buchstäblich über Leichen gehen und andere Menschen zu Tode trampeln. Oder Menschen, die einer extremen Angst und einem extremen Terror ausgesetzt sind und dadurch möglicherweise selbst zum Täter werden. Ein gutes Beispiel wäre in meinen Augen Kindersoldaten, die – noch dazu unfähig alles wirklich zu verstehen – teilweise sogar dazu gezwungen werden ihre eigene Familie abzuschlachten. Oder Kinder die von ihren Eltern mit Drohungen und psychischem Druck dazu aufgestachelt werden, der Ehre willen ihre eigene Schwester zu töten. Niemand kann ohne je in einer solchen Situation gewesen zu sein von sich behaupten, dass er in diesen Momenten nicht alles tun würde, um zu überleben. Und eben weil uns das bewusst sein sollte, steht es uns nicht zu andere für das zu verurteilen, was sie in solchen extremen Situationen machen mussten.
So… worauf will ich nun damit hinaus? Deine Frage betrifft gewissermaßen ebenfalls eine solch existentielle Situation. In dieser Situation wäre ich in erster Linie betroffener Familienvater. Und es ist gut möglich, dass ich dann anders darüber denken würde. Aber gerade in diesen Momenten bedürfen wir der moralischen Führung um so mehr. Stelle dir mal einen Schritt weitergehend vor, dass im Nebenzimmer ein passender Spender liegt, der aber noch am Leben ist. Was sollte mich davon abhalten ins Nebenzimmer zu gehen und ihn um seiner Organe willen zu töten?
Meine moralische Überzeugung ergibt sich aus eben jenem, dass mir mein Verstand und mein Gewissen als das Richtige offenbart. Als Moralist muss ich daher sagen, dass in dieser Situation es richtig und notwendig wäre, dass auch mein dann erwachsener Sohn das Recht auf seine eigene Entscheidung hat, und er die Konsequenzen seiner Handlungen tragen muss. Gerade weil ich ihn liebe, müsste ich das sagen. Als Vater aber würde ich innerlich vermutlich leiden und natürlich darauf hoffen, dass er ein Spenderorgan bekommt. Und sofern die Möglichkeit bestünde, würde ich ihm eines meiner Organe geben – und wenn es ginge mich nötigenfalls für ihn opfern. Aber ich habe die Hoffnung, dass ich ansonsten die Kraft hätte meinen Überzeugungen entsprechend zu handeln UND in Liebe zu meinem Sohn zu stehen und seine Überzeugungen zu respektieren. So schwer es mir auch fiele…..
Ich hoffe die Antwort ist nicht zu schockierend. Und natürlich darfst du zu allem deine Fragen stellen...^^
Lieben Gruß
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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