Hallo Thalestris,
eine interessante Frage, die der Erfahrung nach durchaus auch ein gewisses Konfliktpotential besitzt. Und es ist eine Frage, die sch kaum in nur ein paar Sätzen beantworten lässt.^^ Aber ein zwei Gedanken will auch ich hier zu deiner Frage beisteuern.
Vorweg hattest du gefragt,

Zitat von
thalestris
warum in den meisten Religionen alles was mit Sexualität zu tun hat (abgesehen von der Fortpflanzung) als Sünde gesehn wird. Als unrein, schlecht, falsch, schwach usw..
Bereits hier würde ich gerne widersprechen. Es ist tatsächlich so, dass in fast allen Religionen die Sexualität des Menschen eine besondere Aufmerksamkeit erfährt und mit einem Tabu belegt ist. Jedoch meint Tabu hier nicht zwangsläufig eine negative Konnotation im Sinne einer Sünde o.ä., sondern kann ebenso etwas „Reines“, etwas „Heiliges“ beschreiben. Es gibt sogar verschiedene Religionen, in denen Sexualität selbst Teil einer sakralen Handlung sein kann. Und ich würde eher denken, dass jene Glaubenswelten, in denen Sexualität etwas negatives ist, eher den kleineren Teil ausmachen.
Das nun die Sexualität eine so große Aufmerksamkeit erfährt, mag in der Bedeutung für den Menschen liegen. Den mit der Einsicht, dass natürlicherweise nur Sexualität Leben hervorbringt, wohnt dieser eine existentielle als auch schöpferische Kraft inne. In diversen Kulturen lassen sich daher auch Lebensweisen finden, in denen das Weibliche einen besonderen Stellenwert genießt und freizügige Darbietungen von Weiblichkeit nicht als negativ sondern durchweg positiv empfunden wird. Dennoch ist deine Bemerkung, dass die Lust auf Sexualität in der Natur des Menschen liegt eine zwar richte Beobachtung, daraus aber eine moralische Beurteilung im Sinne von „es ist richtig“ abzuleiten, macht einen Fehler, den man meist als naturalistischen Fehlschluß bezeichnet. Der Gedanke hierbei ist, dass nur weil etwas natürlich ist, es deshalb nicht automatisch auch richtig ist. Auch Aggression, Gewalt und Egoismus gehören zur Natur des Menschen dazu – dennoch würden wir kaum behaupten, dass daraus eine Rechtfertigung für ein solches Verhalten erfolgt. Und auch im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Frau kämen wir hier in Bedrängnis. Denn wir sehen auch in der Natur ein Verhalten, dass die Männchen ihre Weibchen von anderen, männlichen Nebenbuhlern fernhalten. Grund ist hierbei, dass bei der möglichen Nachkommenschaft die Frage der Mutterschaft aus naheliegenden Gründen unstrittig ist, die Vaterschaft hingegen nicht. Was spätestens in einer Lebenskultur, in der die eigene sowohl genetische als auch soziale Nachkommenschaft gesichert werden muss, fast zwangsläufig dazu führt, dass die Weibchen „kontrolliert“ werden. Und schon hätten wir eine Rechtfertigung der weiblichen Verhüllung aus der Natur. Du siehst also, das klappt nicht so recht.^^
Das wir nun in einer Kultur leben, die durch sexualfeindliche Denkweisen geprägt ist, das hat verschiedenste Gründe, deren Komplexität es verbietet, sie in einem kurzen Forenbeitrag angemessen zu erörtern. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass einen langen Zeitraum in der Geschichte Ehen nicht aus Liebe sondern meist aus wirtschaftlichen Erwägungen geschlossen wurde, gewisse aus unserem heutigen Denken sich ergebende Fragestellungen also so eigentlich gar keine Anwendung erfahren können. Aber wenn dich das Thema vertiefend interessiert, kann ich dir hier aber ein paar Bücher empfehlen, wenn du möchtest. Und schließlich gibt es auch nicht nur eine Form von Sexualität, sondern ganz verschiedene Ausprägungen. Sexualität kann Ausdruckmittel sein indem sie z.B. Liebe kommuniziert. Ebenso kann sie Lustbefriedigung sein, ohne ein tieferes Interesse am Gegenüber. Sie kann der eigenen Entspannung dienen, der Psychohygiene, dem religiösen Ritual (z.B. im Sinne eines Opfers oder "Gottesdienstes") oder aber sogar im schlimmsten Fall der Gewalt und Unterdrückung - z.B. in Form von Missbrauch oder aber auch gezielter Folter (ich denke bei letzterem z.B. an die Gewalt im Zuge der Hexenverfolgung). Kurz gesagt, die ursprüngliche Verknüpfung von Sexualität mit der Fortpflanzung ist schon lange nicht mehr der einzige Aspekt und spätestens seit Erfindung der Verhütungsmittel nicht einmal mehr der vordergründigste.
Wenn nun aber deine Frage lautet,

Zitat von
thalestris
Wieso muss ich als Mädchen mich schämen wenn ich im Hochsommer ein Kleid anhabe aber die Jungs brauchen sich keine Gedanken zu machen was sie anhaben? Wieso soll ich mich wie ne Sünderin fühlen wenn ich Sexualität beginne auszuleben aber die Männer sind keine Sünder wenn sie viele Frauen haben?
Dann wäre meine Antwort – musst du nicht, bzw. nur unter gewissen Umständen. Tatsächlich könnte man z.B. fragen, wie wir die Verknüpfung von Sexualität, Liebe und Partnerschaft bewerten wollen. Bestimme ich z.B. Intimität über Sexualität und betrachte Liebe als die Folge aus praktizierter Sexualität? Oder bestimme ich Intimität hingegen über Liebe und betrachte Sexualität als Folge oder körperliche Ausdrucksmittel praktizierter Liebe? Und man könnte durchaus berechtigt fragen, ob Sexualität und Liebe ausschließlich auf eine Person beschränkt sein muss. Aber das sind Fragen, die eine kritische Distanz zum Inhalt der Bibel einnehmen. Sofern du der Ansicht bist, dass die biblische Lehre entsprechendes Verhalten von und Menschen fordert, und wenn du weiter der Ansicht bist, dass die Gedanken der Schrift hier Ausdruck eines göttlichen Gebotes sind, dann wäre ein solches Verhalten die notwendige Konsequenz sofern du gottgefällig leben wolltest. Wenn du hingegen der Meinung bist, dass die Schrift für dich entweder keine Relevanz besitzt oder aber in ihren Inhalten die Glaubensvorstellungen und -erfahrungen früherer Generationen beschreibt, nicht aber zwingend Gottes Willen, dann sind wir - ungeachtet dessen wie und weshalb unsere Haltung zur Sexualität gewachsen ist – nicht gezwungen in dieser zu verharren. ^^
Liebe Grüße dir
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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