Hallo Netkrel
Danke für deine ausführliche Stellungnahme zu meinen einzelnen Fragen.


Wenn ich dich richtig verstehe, geht es dir quasi um eine innere Erneuerung, dass der Glaube jedes Einzelnen weniger institutionalisiert ist, sondern als ganz persönliches Einlassen auf Gott gelebt wird. Direkt und unmittelbar an der Quelle und nicht anhand von Erfahrungen, die als Informationen aus zweiter Hand konsumiert werden ohne persönliche Eigenbeiteiligung, halt geglaubt wie das, was man in den Nachrichten hört.


Eigentlich verstehe ich die christliche Verkündigung genau so. Dass es genau um diesen persönlichen Weg mit Gott geht.


Und die Gründe, warum viele in einer oberflächlichen Konsumentenhaltung stecken bleiben, sehe ich eher dadurch bedingt, dass diese Haltung eben ein Kennzeichen unserer übersättigten Wohlstandsgesellschaft ist.
In Gegenden, in denen es dem Einzelnen noch etwas abverlangt, zu seinem Glauben zu stehen, zT sogar sein Leben dafüf aufs Spiel setzen muss, dort wird Glaube ganz anders gelebt. Dort ist die Herausforderung so gross, dass nur ein totales Einlassen auf Gott ein Durchhalten unter diesen Umständen überhaupt ermöglicht.


Dein Beispiel mit dem Radfahren finde ich gut.
Ja, jeder muss selbst fahren, um zu lernen, wie das geht. Erfahrungen anderer können hilfreiche Tipps liefern, aber mehr nicht.


Aber noch in einer anderen Hinsicht finde ich das Beispiel gut:
Nicht jeder, der Radfahren lernen will, muss erst mal das Rad neu erfinden.
Er übernimmt das, was im Laufe einer langen Menschheitsgeschichte an Erkenntnis und technischem Sachverstand entwickelt wurde und vertaut darauf, dass das so entstandene Produkt optimal dem neusten Stand der Technik entspricht.
Und wenn er dann selbst gut Radfahren kann und sich in die Materie der Radtechnik ein bisschen eingearbeitet hat, dann wird er vielleicht einige Optimierungen vornehmen können, die für seine persönlichen Bedürfnisse passen, vielleicht die Schaltung so modifizieren, dass er in der Ebene schneller beschleunigen kann oder andere Bremsen anbauen oder, oder ....


Aber um erst mal Radfahren zu lernen, macht er nicht Tabula Rasa und erfindet sich ein Fahrrad; er nimmt auch nicht das Gekaufte auseinander und schaut, welche Einzelteile er gebrauchen kann und welche er weglässt, ersetzt oder verbessert....


So sehe ich das auch mit dem christlichen Glauben.
Ich nehme mir auch die Bibel ais Grundlage - insofern bin ich auch ein Bibelfundamentalist - und lebe meinen Glauben nicht als enzyklopädisches Buchwissen, sondern im persönlichen Einlassen auf Gott. Ohne dabei das Rad neu zu erfinden.
Gerade das Neue Testament fordert doch zu diesem ganz persönlich gelebten Glauben auf, wendet sich gegen totes Buchstabenwissen und unreflektierte Regelbefolgung, um religiöse Verdienste zu erwerben.


Daher finde ich es eigentlich ganz besonders wichtig, darin zu lesen und sich das zu Herzen zu nehmen, selbst auszuprobieren, was die Menschen damals an gewaltigen Glaubenserfahrungen machen konnten, die sich total auf die Botschaft eingelassen haben;
Denn auch sie haben nicht einfach alles Bisherige über Bord geworfen und das Rad neu erfunden. In Jesus findet die Schrift ihre Erfüllung, nicht ihre Abschaffung - so jedenfalls haben es die Schreiber des NT bezeugt und erlebt.
(Übrigens war das ja genau das Ziel der ersten Reformation: die Bibel für alle zur Grundlage zu machen, so dass jeder selbst nachlesen und prüfen kann)


Und ja, ich denke auch, dass wir weg kommen müssen von dieser oberflächlichen Konsumentenhaltung, wenn wir wirklich einen lebendigen Glauben haben wollen. Und nicht ein schönes Hobby oder eine spezielle Marotte, mit der wir uns von anderen Menschen mit anderen Hobbies oder Marotten unterscheiden.
Ich sehe aber nicht, wie das durch eine Kirchenstrukturreform oder eine Relativierung der Bibel erreichbar wäre.
Da ist jeder Einzelne ganz persönlich gefragt.
Dass er selbst ausprobiert und umsetzt in seinem Leben, sich immer mehr auf Gott einlässt. Weg von der Halbherzigkeit und Lauheit; ganze Sache mit Gott macht. Dann bewirkt Gott auch etwas in diesem Leben; verändert, gestaltet um und an dieser Quelle - direkt und unmittelbar - findet der Suchende die Erfüllung, die er mit seiner Suche anstrebt.