Lieber Digido,
es ist ja nicht so, dass ich mich nicht gerne auch um mein Gegenüber bemühe, aber ich bin dabei auch auf das ehrliche Bemühen meines Gegenübers um Verständnis angewiesen. Wenn dieser einfach nicht einsehen oder zugeben will, das seine Meinung möglicherweise keine absolute Wahrheit ist, dann ist es mühselig. Ich sage das nur, weil ich bereits mehrfach den Versuch unternommen habe, deine Denkfehler aufzuzeigen, und offen gesagt langsam Zweifel daran habe, ob du überhaupt deine eigene Meinung zu hinterfragen bereit bist. Ich will es aber gerne noch einmal versuchen, in der Hoffnung, dass bisherige Misserfolge meiner unzureichenden Möglichkeit mich verständlich zu machen anzurechnen sind. Und ich entschuldige mich bei den anderen Schreibern für diese ausufernde Diskussion, die zwar mit Blick auf den fundamentalen Anspruch auf Richtigkeit und Notwendigkeit der Reformen am Rande mit dem Thema zu tun hat, aber vermutlich doch für die meisten eher von geringem Interesse ist.
Also vorab sei noch einmal deutlich gesagt, worum es nicht geht. Es geht nicht darum die Reinkarnation als falsch zu bezeichnen oder einen Glauben an Reinkarnation als unsinnig darzustellen. Das ist nicht meine Absicht. Worum es mir geht, ist deine im Gegenzug eben sehr pauschalisierende Behauptung und indirekte Beleidigung jener die deine Meinung nicht teilen, man könne nur aus Unwissenheit die Reinkarnation in frage stellen. Eine radikale Aussage, die neben deiner eigenen Meinung keinen Platz lässt für die Ansichten anderer. Und die darin und mit dem (ungerechtfertigten) Anspruch auf Wahrheit und Tatsachen letztlich ebenso fundamentalistisch und zum Teil fanatisch wirkt, wie manch andere Ansichten, gegenüber derer man aus gerade diesen Gründen eine Reform fordert.
Ich muss vorweg zugeben, dass es mir schwer fällt deinen Wissensstand richtig einzuschätzen. Auf der einen Seite weißt du dich durchaus eloquent auszudrücken, auf der anderen Seite jedoch triffst du Aussagen, die offen gesagt eher als Hinweis auf ein nur rudimentäres Verständnis (wissenschaftlicher) Argumentationsweisen verstanden werden könnten. So führst du reine Meinungsbekundungen (=“das ist halt so“) deinerseits als Argument an, die Sachverhalte angeblich widerlegen (vgl. dein Beitrag 422), oder führst Sunigol gegenüber erneut das Zitat von Stevenson als Argument ins Feld. Hinzu kommt, dass es für dich scheinbar nur schwer nachzuvollziehen ist, weshalb die Rede von wissenschaftlichen Tatsachen nun einmal Unsinn ist. Das werde ich an dieser Stelle aber nicht noch einmal ausführen – zum einen bin ich umfassend darauf eingegangen, zum andern denke ich es ist auch unerheblich. Nur ergänzend zu deiner Frage – nein, wenn ich von Wissenschaft spreche meine ich Wissenschaft, nicht die Naturwissenschaften. Die Regeln gelten nämlich für alle und meine Kritik hat nichts mit einem Materialismus zu tun. Ich bin mir also nicht sicher ob dir aber bewusst ist, dass Meinungen – egal ob nun die eigene oder die einer als Autorität ins Feld geführten Person – keinen argumentativen Wert haben. So oder so wage ich mich mal vorsichtig zu mutmaßen, dass mir die wissenschaftliche Arbeitsweise vielleicht etwas vertrauter ist als dir selbst, und ich würde mich bemühen ein paar der Fehler noch einmal in optisch vielleicht leichter nachzuvollziehender Form darzulegen.
Schauen wir uns dazu mal das Argument an, dass ich – basierend auf deinen bisherigen Ausführungen – wie folgt zusammenfassen würde.
1. Es gibt Menschen (vornehmlich Kinder), die scheinbar ein Wissen besitzen, dass sich
2. nicht anders erklären lässt als Erinnerungen einer bereits verstorbenen Person,
3. was letztlich einen Beweis für Reinkarnation darstellt, und
4. wunderbar in ein bestimmtes, von dir vertretenes religiöses Konzept passt.
5. Und um es mit einem Argument von NetKrel zu ergänzen, hat es außerdem vielen Menschen bereits geholfen bestehende Probleme zu lösen, was ebenfalls ein Beweis ist nach dem Grundsatz, „wer heilt hat recht“.
Ich gehe nun gerne nochmal auf alle Punkte und die ihnen innewohnenden Fehler ein.
Prämisse 1. wollen wir in diesem Zusammenhang einfach mal akzeptieren, dass es tatsächlich solche Menschen gibt. Sich darüber zu streiten wäre mühselig und es ist auch nicht notwendig, da sie für die Fehler in der Argumentation unerheblich sind.
Aber bereits in Prämisse 2 haben wir den von mir bereits angesprochenen Fehler eines logischen Fehlschlusses. Die Behauptung, dass etwas nicht anders erklärt werden kann, als eben durch die Annahme einer metaphysischen Wirklichkeit, ist unzulässig, weil man nicht ausschließen kann, dass es nicht noch andere, zum jetzigen Zeitpunkt unbekannte Erklärungen und Zusammenhänge gibt. Das ist – um ein anderes Beispiel heranzuziehen – wie mit Spontanheilungen in der Medizin. Wir wissen, dass es dieses Phänomen gibt. Und es gibt in vielen Fällen keine wirklich adäquate Erklärung, wie diese zustande kommt. Daraus folgt aber nicht, dass es dann nicht anders zu erklären sei als z.B. durch göttliche Heilung, außerirdische Intervention oder magische Kräfte. Gerade die Medizin ist ein schönes Beispiel dafür, dass immer wieder neue Zusammenhänge entdeckt und verstanden werden. Jener Arzt, der entdeckte, dass das Waschen der Hände vielen seiner Patientinnen das Leben rettete, hätte zwar annehmen können, dass es keine andere Erklärung gibt, als dass Händewaschen eine magische Handlung sei – aber er war klug genug zu wissen, dass aus dem vorläufigen Fehlen einer Erklärung nicht auf die Wirklichkeit von Zaubermächten als einzige Erklärung geschlossen werden darf. Oder ganz einfach gesagt – nur weil ich (bzw. jemand) keine Erklärung für ein bestimmtes Phänomen hat, heißt es nicht, dass es nicht doch eine geben mag. Eine metaphysische Erklärung als einzig mögliche Lösung darzustellen ist damit nicht zulässig. Was nicht heißt, dass sie nicht doch auch wahr sein könnte – aber eine Klärung dieser Frage entzieht sich zur Zeit dem wissenschaftlichen Horizont.
Darüber hinaus – und damit sind wir bei dem Fehler der Konklusion 3 – wäre es falsch zu behaupten, dass daraus der Beweis der Reinkarnation folgt. Wie Sunigol schon angesprochen hat – selbst wenn wir Prämisse 2 als zutreffend und als Beweis akzeptieren würden, wäre damit dennoch erst einmal nur bewiesen, dass diese Kinder das Wissen einer früheren Person haben. Dieses Wissen wäre aber auch anders zu erklären, als eben durch Reinkarnation – zum Beispiel durch die von mir erwähnte Einflüsterung von Dämonen.
Das nun wie in Punkt 4angesprochen die Reinkarnation in ein bestimmtes religiöses Konzept passt ist hingegen eine zirkuläre Argumentation, denn hier wird bewiesen, was im religiösen Konzept bereits vorausgesetzt wird.
Auch Punkt 5 ist – und da muss ich NetKrel zum Teil widersprechen – kein Beleg für die Richtigkeit der metaphysischen Annahme. Es ist ja mittlerweile in der ebenfalls gut dokumentierten Forschung die Bedeutung des Placeboeffektes bekannt; sowohl in der Heilung aber auch im Zusammenhang psychosomatischer Beschwerden (hier als Nocebo-Effekt), die bis zu den aber-witzigsten Phänomenen wie z.B. einer Schwangerschaft ohne echtes Kind führen können. Sieht sich also z.B. ein Asiat als Opfer von Hexerei und schwarzer Magie, dann kann ein entsprechendes Ritual seines Schamanen den bösen Geist bannen und mögliche psychosomatische Beschwerden heilen, allein das ist aber kein Beleg für die Existenz dieses Geistes. Ich hatte vor einiger Zeit eine Diskussion mit einer jungen Frau, die überzeugt davon war, dass ein Glücksbringer ihr fortwährend Glück bringen würde. Z.B. erwähnte sie den Umstand, dass sie nur lange genug den Glücksbringer in der Hand halten und sich beim Einkaufen auf einen Parkplatz konzentrieren müsste – und schon würde tatsächlich ein Parkplatz auch frei werden. Manchmal dauert es kürzer, manchmal länger bis das Universum reagiere, aber so gut wie nie länger als 10 Minuten. Ich denke die wenigsten von uns würden hier ihre Auffassung teilen, dass der Erfolg hier ein Beweis für die Existenz übernatürlicher Kräfte ihres Glücksbringers ist. Gerade im Zusammenhang mit Glücksbringern kann beispielsweise und soweit ich weiß sehr einfach belegt werden, dass eben keine physische Wirkung gegeben ist, sondern sich die Wirkung des Glücksbringers auf die Erwartungshaltung und damit auf eine verzerrte Wahrnehmung zurückzuführen ist. Damit will ich aber nicht sagen, dass metaphysische Erklärungen nicht auch zutreffend sein könnten. Und sie mögen Element philosophischer oder theologischer Betrachtung sein, aber sie entziehen sich eben der wissenschaftlichen Beurteilung.
Zusammengefasst gibt es also (gerade) auch für den Informierten durchaus Gründe, die Reinkarnation in frage zu stellen. Was nicht gleichbedeutend mit einer Ablehnung sein muss. Um jede Infragestellung als unzulässig zu bezeichnen müsste man 1. belegen, dass es keine andere Erklärungsmöglichkeit für das Wissen der Kinder gibt, und 2. dass Reinkarnation die einzige Erklärung ist, wie dieses Wissen in die Kinder kommt.
Das 1. ist aus formallogischen Gründen nicht möglich, d.h. diese Gründe sind nicht etwa materieller Natur, sondern basieren auf fundamentalen Gesetzen der Logik. Und das 2. ist ebenfalls nicht möglich, weil sich metaphysische Zusammenhänge der Beobachtung entziehen und damit jede metaphysische Erklärung den gleichen Geltungsgrad für sich in Anspruch nehmen kann. Auch das ist kein Einwand, der auf keinem Materialismus beruht, sondern auf formalistischen Gründen.
Noch einmal, damit ist nicht gesagt, dass der Glaube an die Reinkarnation in meinen Augen falsch wäre. Und vielleicht mag es sogar gute Gründe geben, daran zu glauben. Ebenso stimme ich NetKrel zu, dass es auch unerheblich ist, ob die Reinkarnation nun den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit haben kann oder nicht. Ich brauche für meine metaphysischen Überzeugungen auch keine Beweise. Aber allen die aus den oben genannten Gründen zu dem Schluss kommen, dass sie Veranlassung haben die Reinkarnation infrage zu stellen (was ebenfalls keiner Ablehnung sondern im eigentlichen nur eine kritische Betrachtung ist) einfach pauschal Unwissenheit zu unterstellen.... das wäre eben arrogant im Sinne seiner Wortdefinition. Denn damit sprichst du jedem Andersdenkenden die Berechtigung ab, dir auf Augenhöhe zu begegnen ....
Wie dem auch sei... ich denke ich habe mich nun ausreichend um eine Verständigung bemüht. Ich kann mir jedoch nicht immer die Zeit nehmen so umfassend auf deine Aussagen einzugehen. Ich würde mir wünschen, dass wir zu einem freundlichen Miteinander auf Augenhöhe kommen können. Und dass du eben doch die Selbstreflektiertheit besitzt eine andere Meinung neben der deinen gleichberechtigt zuzulassen. Sollte dies nicht möglich sein, würde ich dich zumindest bitten, von deinen Pauschalisierungen Abstand zu nehmen.
In der Hoffnung auf Annäherung meine besten Wünsche
Lior
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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