Und hier noch eine Geschichte zum Schmunzeln:

Das Weihnachtsevangelium des Markus.

Ralf Dillinger hatte beschlossen, seinem Sohn Markus die Geschichte von der Geburt des Christkinds im Stall von Bethlehem zu erzählen. Zwar erschien ihm Markus mit seinen vier Jahren noch ein bisschen jung, um das Heilsgeschehen zu begreifen. Aber da der Junge einen ungewöhnlich großen Gefallen an der Weihnachtskrippe gefunden hatte und Stunden davor zubringen konnte, wobei er hin und wieder eine der Figuren in die Hand nahm und eingehend betrachtete, meinte er, es sei vielleicht doch an der Zeit.

"Setz dich zu mir, Markus", sagte er, "ich will dir eine Geschichte erzählen. Keine aus dem Märchenbuch, sondern eine, die wahr ist. Hör gut zu: Es war zu der Zeit, als Kaiser Augustus..."
"Was ist ein Kaiser, Papi?" unterbrach ihn der Junge.
"Also, ein Kaiser, das ist ein Mann, der ganz viel zu sagen und zu bestimmen hat, über viele Leute, die man Untertanen nennt...."
"So wie der Herr Prattke?" fragte Markus.
Herr Prattke war der Chef von Herrn Dillinger, und Ralf erzählte manchmal von ihm, wie er dies und jenes anordnete, das ihm nicht recht passte.
"Na ja", sagte Ralf Dillinger lahm, "ein Kaiser ist schon viel mächtiger als der Herr Prattke."
"Und du, Papi, bist du ein Untertan?"
"So kann man das nicht sagen", wehrte der Vater ab und schüttelte sich beim Gedanken an diese Bezeichnung.

"Also, Kaiser Augustus wollte einmal wissen, wie viele Menschen in seinem Reich lebten, und beschloss, sie zu zählen. Jeder musste in den Ort gehen, wo er geboren worden war, und sich dort melden. Da ging auch ein Ehepaaar, die hießen Josef und Maria, in die Stadt Bethlehem, wo Josefs Eltern zu Hause gewesen waren."
"Maria heißt Frau Klemm, die Mutti manchmal ihre Kleider umändert."
Der Vater überhörte den Einwurf und wollte weitererzählen, aber Markus fragte plötzlich: "Wann war denn das, das mit dem Kaiser und dem Zählen?"
"Das ist sehr, sehr lange her."
"Noch bevor Mutti ins Krankenhaus musste?"
"Lange davor. Also weiter. Maria erwartete ein Kind, und der weite Weg nach Bethlehem fiel ihr sehr schwer."
"Konnten sie denn nicht mit dem Flugzeug fliegen oder mit der Eisenbahn fahren?"
"Flugzeug und Eisenbahn gab es damals nicht. - Als sie in Bethlehem angekommen waren, sie waren sehr, sehr müde, suchten sie einen Platz in der Herberge."
"Was ist eine Herberge?"
"So etwas wie ein Hotel", sagte Herr Dillinger und hatte das Gefühl, sich einer unmöglichen Aufgabe unterzogen zu haben. Aber nun hatte er einmal angefangen und musste das auch durchstehen.

"Schließlich durften sie in einem Stall übernachten."
"Was ist ein Stall?"
"So etwas wie eine Garage. Nur sind da keine Autos drin, sondern Tiere, Ochs und Esel."
"Einen Esel kenne ich vom Tischleindeckdich."

"In der Nacht wurde das Kind geboren. Es war ein sehr schönes und liebes Kind, das Christkind, das dir alle Weihnachten die schönen Sachen bringt. Es hatte alle Menschen lieb, dich, mich und auch die Leute in Afrika und Amerika. Eben alle."
"Auch die bösen?"
"Ja, auch die bösen. Die besonders, denn es wollte, dass sie wieder gut werden."
Uff, das wäre geschafft. Herr Dellinger hatte das Gefühl, einen riesigen Stapel Holz gesägt zu haben, und verzog sich ins Nebenzimmer, um ein bisschen auszuruhen.

Eine Stunde später öffnete er die Tür zum Kinderzimmer, in dem es ungewöhnlich still war. Da saß Markus, hatte seinen Teddy Brummi auf dem Schoß und sagte:
"Brummi, ich muss dir eine wahre Geschichte erzählen, hör gut zu. Bevor Mutti ins Krankenhaus musste, wollte ein Kollege von Herrn Prattke seine Untertanen zählen. Alle mussten dorthin gehen, wo ihr Vater zu Hause gewesen war. Sie gingen zu Fuß, weil kein Flugzeug flog und keine Eisenbahn fuhr, wahrscheinlich war Streik. Auch Josef und Maria, wahrscheinlich Frau Klemm, gingen nach Bettlerheim. Das war schlimm, denn Maria kriegte ein Baby. In Bettlerheim gab es in der 'Traube' und im 'Löwen' keinen Platz mehr. Da mussten sie in einer Garage übernachten, wo ein Ochs und ein Esel wohnten. In der Nacht wurde das Kind geboren. Es war das Christkind und es hatte alle Leute lieb, Papi und Mutti und auch den Herrn Hufnagel, der immer mit mir schimpft, wenn mein Ball in seinen Garten fällt, und der immer die Zweige von unserem Kirschbaum abschneidet, die zu ihm rüberhängen."

Vater Dillinger, der mit allerlei Skrupel und Bedenken zu kämpfen hatte, als er diese etwas seltsame Weihnachtsgeschichte hörte, wurde es auf einmal froh und leicht ums Herz. Zwar hatte Markus Orte, Zeiten und Namen durcheinandergebracht, aber das, worauf es ankam, die Botschaft, hatte er verstanden.

Aber wie stand es mit ihm, Ralf Dillinger? War es wirklich nötig, dass er und sein Nachbar wegen geringfügiger Lappalien in einer Dauerfehde miteinander lebten? Einer musste einmal den Anfang machen und Frieden schließen.

Ralf Dillinger packte ein wenig von den guten Weihnachtsplätzchen, die seine Frau gebacken hatte, in eine Tüte, band ein Schleifchen darum und holte eine Flasche Wein aus dem Keller.

"Komm mit, Markus", sagte er, "wir gehen zu Herrn Hufnagel und wünschen ihm frohe Festtage."
"Hat dir das das Christkind gesagt?" fragte Markus.
"Da hast du Recht", bekräftigte der Vater und läutete ein bisschen zaghaft an der Haustür des Nachbarn. Denn aller Anfang ist schwer.

von unbekannt