Diesen Bericht habe ich auch in Teilen in meinen Blog gepostet. Und ich dachte, vieleicht interessiert er euch auch. Mit diesem Bericht begonnen habe ich im August 2008, daher der Bezug zur Mondfinsternis.

Vor wenigen Minuten war eine Mondfinsternis. Um sie zu beobachten bin ich über den Feldweg bis an den Waldesrand gefahren, dort hat man freie Sicht.

Das kleine, stockfinstere Wäldchen hat Erinnerungen in mir geweckt. Erinnerungen an eine Episode aus meiner Kindheit.

Ich war, wie so oft, im Wald gewesen. Es war Frühsommer. Ich war traurig und wollte nicht nach Hause. Es gab viel Streit, Schläge, Mißmut und es war einmal wieder ein Kind geboren worden. So hatte keiner Aufmerksamkeit für mich und meine Sorgen.

Ich tagträumte und lief, und lief. Ich war schon oft tief in den Wald gegangen, aber diesmal war ich nicht aufmerksam. Irgendwann mußte ich feststellen, daß ich mitten im Wald stand und nicht wußte, wo ich bin. Ich hatte keinen Orientierungspunkt.

Es war wirklich, wow, scheiße. Ich setzte mich erstmal auf den Boden. So richtig war ich mir der Situation nicht bewußt, ich dachte, du findest schonwieder raus.

Ich suchte mir wie üblich einen Baum zum klettern und döste dort oben eine Weile. Als es Abend wurde, beschloß ich, den Heimweg anzutreten, denn ich war so langsam auch ziemlich hungrig.

Ja, nur... welche Richtung? Aus welcher Richtung war ich gekommen? Wo war ich abgebogen?

Ich entschied mich für irgendeine Richtung, die mir sinnvoll erschien und lief los. Ich lief und lief. Aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, anstatt nach Hause immer tiefer in den Wald hineinzulaufen. Ich weiß nicht, wie lange nicht letztendlich lief, aber es wurde immer dunkler und so langsam machte sich Panik in mir breit.

War ich auf dem richtigen Weg? Die Umgebung kam mir schrecklich unbekannt vor und je düsterer es wurde, desto schlechter konnte ich etwas erkennen.

Und dieser Hunger... inzwischen hatte ich angefangen zu weinen.

Ich fürchtete mich auch vor den wilden Tieren. Es gab ja Bären bei uns in Sibirien, und Wildschweine, Hirsche, Wölfe! Und damals, ich gebe es zu, mit etwa 10 Jahren, so kindisch wie es war, fürchtete ich mich auch vor Hexen die im Wald leben...

Als es schließlich stockdunkel war, und kein Zuhause in sicht, übermannte mich auch langsam die Müdigkeit. Ich fror und meine "Baumdecke" (ein verfilztes Stück Stoff daß ich in meiner alten Tasche herumschleppte und mir immer auf den Ast legte auf dem ich saß war nicht besonders groß. Aber da es sinnlos war, in der Nacht zu versuchen, den Nachhauseweg zu finden, kletterte ich auf einen Baum, ich weiß leider die Baumart nicht mehr und legte mir notdürftig die Baumdecke um die Schultern.

Ich dachte eigentlich, in dieser Nacht würde ich bestimmt sterben. Besonders, wenn ich einschlafe. Ein Bär würde kommen und mich fressen, Bären konnten ganz gut klettern, oder ein Wolf. Ich hatte Angst davor, einzuschlafen und versuchte, mich wachzuhalten.

Ich habe es sicher keine halbe Stunde geschafft...

Ich war tatsächlich eingeschlafen.

So richtig geschlafen hatte ich natürlich nicht, ich war eher eingenickt, wieder kurz aufgewacht, eingenickt.

Manchmal blieb ich etwas länger wach, wenn mir die Angst vor irgendeinem knackenden Geräuscht oder einem Tier, das sich gottseidank maximal als Fuchs herausstellte, das Adrenalin durch die Blutbahn trieb. Wenn das Herz bis zur Kehle hinaufpocht, kann man schlecht schlafen, aber irgendwann holte mich die Erschöpfung immer wieder ein.

Irgendwann kamen die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen hervor und ich wurde munterer. Weniger von der Sonne als vielmehr von dem unerträglichen Hunger.

Meine Glieder waren steifgefroren, mir wurde erst viel, viel später klar, daß ich hätte erfrieren können.

Um etwas gegen die Kälte zu tun und gegen meine Situation im allgemeinen, kletterte ich vom Baum und setzte meinen Weg durch den Wald fort. Immer leise und vorsichtig, ich hatte Angst vor Bären.

Aber nicht vor Beeren! Beeren suchte ich, Moosbeeren, und fand sie auch. Meinen Hunger stillten sie nicht, aber es war besser als nichts. Ich fror immernoch entsetzlich. Ich beschloß, ein kleines Feuerchen zu machen.

Als Kind der Natur weiß ich bis heute, wie man Feuer macht ohne Streichhölzer oder Feuerzeuge. Trockene Äste, ein Stein, etwas trockenes Moos, reiben, pusten. Es dauert, aber es funktioniert. Ich schaffte es auch diesmal, ein kleines Feuerchen zu entzünden. In das Feuerchen hielt ich die drei kleinen Pilzchen, die ich gefunden hatte. Leider hatten sich die anderen vor mir versteckt.

Als ich etwas angewärmt war, beschloß ich, meinen Weg fortzusetzen. Es wurde langsam auch wärmer.

Ob sich meine Eltern wohl Sorgen machten? Ob es ihnen egal war, daß ich weg war?

Ich lief wieder für eine lange Zeit, doch noch immer kam ich an keinen Punkt, der mir irgendwie bekannt vorkam.

Würde ich jemals wieder aus diesem Wald herausfinden? Ich war hier in der Taiga, wenn man einmal tief genug drin ist, hat man verloren.

In meiner kindlichen Naivität war mir das nicht zu 100% klar, ich hatte zwar Angst, aber dennoch malte ich mir in mancher Minute in kindlicher Phantasterei aus, wie ich von nun an im Wald leben würde, und fand das sogar gut. Kein Streit mehr, keine Schläge mehr...

Und wieder lief ich Stunden um Stunden, ohne jegliche Orientierung.

Wobei, manche Stellen kamen mir irgendwie bekannt vor. Aber ich war mir nicht sicher, ob das hieß, daß ich auf dem richtigen Weg war, oder daß ich vieleicht nur im Kreis laufe?

Auch der Hunger machte sich wieder bemerkbar. Irgendwann konzentrierte sich alles auf den knurrenden Magen und ich lief nur noch mechanisch. Hunger, Hunger, Hunger... aber was essen? Die paar Beeren und Pilze machten nicht lange satt.

Da das Licht der Sonne schon wieder weicher und goldener wurde, schien offenbar der Nachmittag vorbeizugehen. Dennoch hatte ich irgendwie jegliches Zeitgefühl verloren. Irrte ich wirklich schon einen Tag hier herum? Konnte das wirklich sein?

Ich war von Hunger, wie von Sinnen, da entdeckte ich ein fettes kleines Tier und beschloss zu handeln... die Details erspare ich euch an dieser Stelle - was für ein Tier ich gegessen habe und wie ich es erlegt hatte, nur so viel: Es konnte fliegen, jedenfalls ein bißchen, aber mein Hungerproblem war zumindest vorübergehend einigermaßen gelöst.

Ich war gottlob noch keinem gefährlichen Tier begegnet, aer langsam begann ich mich zu fürchten und auch meine kindlichen Träume von einem Leben im Wald wichen der Realität. Wo hätte ich denn wohnen sollen, was essen.

Ich wollte nur noch nach Hause aber so langsam gab ich die Hoffnung auf, jemals wieder dort hin zu finden.

Ich fragte mich, ob wohl schon jemand nach mir suchte, oder ob es ihnen egal war, ob sie im Gegenteil vieleicht nicht sogar froh waren, ein hungriges Maul weniger stopfen zu müssen.

Ich war erschöpft, ich konnte nicht mehr weiterlaufen. Ich erklomm wie immer einen Baum und nickte innerhalb von wenigen Momenten ein. Vorher hatte ich noch beschlossen, daß ich mir nach dem Nickerchen einen Plan machen würde, da das sinnlose Herumirren zu nichts führte. Nur wie ich diesen Plan gestalten sollte, davon hatte ich noch keine Ahnung.

Als ich aufwachte, ging die Sonne schonwieder unter.