Hallo Elisa,
ich komme leider erst jetzt dazu, aber trotzdem möchte ich deine Eingangsfrage auch nochmal aufgreifen. Ich glaube es geht in der Frage nach den Kirchenaustritten weder um die Frage nach Kirchensteuer, noch in erster Linie um Gott. Ich z.B. für meinen Teil habe – als ich in jüngeren Jahren mit der Kirche abgeschlossen hatte – für mich auch ganz klar festgestellt, dass ich sofort aus der Kirche austreten würde, wenn für mich daraus Nachteile entstehen. Die Kirchensteuer wäre ein solcher Fall gewesen, aber die musste ich damals nicht bezahlen.
Um aber überhaupt an den Punkt zu kommen, ist ja bereits im Vorfeld ein Prozess entstanden, der letztlich meine Verbindung zur Kirche soweit geschwächt hat, dass ich diesen Gedanken haben konnte. Und ich denke, in den meisten Fällen, in denen die Kirchensteuer als „Grund“ angeführt wird, ist es ähnlich. Die Kirchensteuer mag für viele der Anlass sein, aber ich glaube kaum, dass hierin der entscheidende Grund zu finden ist. Es gibt viele begleitende Umstände, unter denen vermutlich der Vertrauensverlust mit einer der wesentlichsten Gründe ist.
Insofern denke ich auch, dass die Frage „Warum gibt es so viele Kirchenaustritte“ so letztlich unvollständig ist. Die Frage müsste vielmehr oder ergänzend lauten: Warum sollen wir in der Kirche verbleiben? Was gibt sie uns? Etwa Gott? Aber KindGottes hat ja schon ausgesprochen, was viele Menschen denken. „Gott finde ich auch außerhalb der Kirche“. Also was ist es dann? Und ich denke hier liegt das eigentliche Problem der Kirchen, denn sie schwanken zwischen liberaler Beliebigkeit, in der gelebtes Christentum teils nur noch im Aufsingen von Liedern oder mit christlicher Symbolik gewürzten Kinderspielen und fast schon automatisierten Ritualen besteht, und zwischen einem althergebrachten Dogma und Werten, an denen sie sich wider jede moderne Entwicklung und geänderter Lebenswelt und wider jeden Fortschritts und neuer Erkenntnis teilweise fast schon festkrallen. Und meinem Eindruck nach werden dann oft von christlicher/kirchlicher Seite angebliche Fronten aufgezogen, mit denen die Menschen „draußen“ so nichts anfangen oder über die sie vielmehr mit einem Gefühl zwischen Belustigung und Verärgerung den Kopf schütteln.
Sehr deutlich wird dies vor allem in kritischen Fragen, in denen die Zweifel und die Skepsis eines Einzelnen auf die Fraktion der „Überfrommen“ trifft. Denn (und da sind wir wieder beim Vertrauensverlust) wie soll man Vertrauen in eine Organisation haben, wenn diese nach außen jede Glaubwürdigkeit verliert, weil sie mit einem absolutistischen Anspruch auf die Wahrheit wahrgenommen wird? Was gerade mit der Einsicht in die Fehler und Irrtümer kirchlicher/christlicher Lehre zunimmt. Man kennt ähnliches ja auch aus christlich-religiösen Foren.
Ich jedenfalls finde es geradezu ernüchternd bis unverständlich, wie viele in der Verurteilung ungläubigen Handelns für sich ein Verhalten und eine Lebenswirklichkeit in Anspruch nehmen, die im eigentlich ganz offensichtlichen und oftmals krassen Widerspruch zur tatsächlich gelebten Praxis steht. Denn nicht jeder, der Lehren der Kirche oder der Bibel ablehnt, lehnt Gott ab. Das gilt nur in einem dogmatischen oder biblizistischen Verständnis. Und nicht jeder, der christliche Werte z.T. als überholt oder der modernen Lebenswelt und der kulturellen Entwicklung zumindest nicht mehr als ganz angemessen empfindet, ist deswegen ein Mensch der in Unmoral und Lieblosigkeit lebt. Solche Behauptungen werden von der Realität jeden Tag aufs neue widerlegt und verschleiern die eigentlichen Probleme, an denen auch die Kirche mit etwas verändern könnte.
Aber selbst da, wo die Kirche durchaus noch aktuelle Werte und Ansichten vertritt – ich frage mich da oft, wie werden diese vermittelt? Denn gerade auch hier, denke ich jedenfalls, liegt mit einer der Gründe für den Vertrauensverlust. Wenn ich zuletzt in der Kirche war, stand zumeist ein Priester auf der Kanzel und hat im wahrsten Sinne des Wortes „von oben herab“ die Gemeinde mit einer Predigt über – ganz allgemein formuliert – das richtige Verhalten in bestimmten Situationen belehrt.
Aber hier wird meines Erachtens verkannt, dass die Menschen einer Gemeinde heute eben keine Schafe ihres kirchlichen Hirten mehr sind. Es sind keine einfältigen Kinder, die von ihrem geistlichen Vater belehrt werden müssen. Was mir hier oftmals fehlt, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe. Eine Kommunikation, die zwar den Priester oder Pfarrer als gewissermaßen „religiösen Experten“ für die christliche Lehre akzeptiert, das Gegenüber in der Gemeinde aber auch als aufgeklärtes Individuum annimmt und weniger predigt als vielmehr in einen fruchtbaren Austausch tritt.
Die Kirche mag im Vergleich zu früheren Zeiten ihre einstmals bedeutsame Rolle in der Weltgeschichte mehr und mehr einschränken müssen. Aber sie ist nicht unbedeutend geworden und ich denke, sie können auch heute noch vieles vorweisen, in denen man Gutes erkennen kann und für das man ggf. auch bereit ist zu zahlen. (Ich selbst bin von meinem Entschluss des Kirchenaustritts ebenfalls wieder zurückgetreten, was in meinem Fall vielleicht noch etwas seltsamer wirken mag) Es gibt viele Projekte und Bemühungen, die auch kirchenfernen und sogar glaubensfernen Menschen Achtung abringt. Und auch als kritische Stimme ist sie meines Erachtens sicherlich nicht unwesentlich, wenn auch eine Kritik, die auf Autoritätsglauben und nicht auf einem Austausch von Argumenten beruht, heute eben nur noch ein müdes Lächeln gewinnen wird. Ich denke aber, die Kirchen müssten sich wieder mehr auf ihren eigentlichen Kern fokussieren – und der liegt meiner Meinung nach nicht darin in irgendeiner Weise Politik zu betreiben, sondern sich um den einzelnen Menschen zu kümmern. Und ihn in seinem Leben zu begleiten, ohne ihn zu bevormunden......
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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