Puh, viele Fragen.^^ Ich denke grundsätzlich hat der Bericht nicht ganz unrecht, auch wenn die Fragen nicht so leicht und pauschal zu beantworten sind. Zugegeben, die Begriffe sind etwas diffus und ungenau, aber ich denke das ist dem Umstand geschuldet, dass solche Berichte komplexe Sachverhalte für ein breites Publikum vereinfacht darzustellen versucht.
Ich sehe es aber wie Alpha, dass man durchaus in einem gewissen Rahmen sowohl von Modeerkrankungen als auch von "typisch westlichen Erkrankungen" sprechen kann. Dabei spielen jedoch meines Erachtens verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen hätten wir da den von Sunigol bereits angesprochenen Aspekt von Umweltgiften. Aus naheliegenden Gründen wird man vereinzelte im Zusammenhang mit Umweltgiften oder ähnlichem auftretenden Krankheiten vermehrt dort begegnen, wo die entsprechenden Belastungen vorliegen. Die Strahlenkrankheit ist z.B. eine Erkrankung, die wir nun bei Indios im Amazonasgebiet vermutlich eher selten antreffen werden. Hinzu kommt, dass bedingt durch die im Zuge der Industrialisierung zunehmende Schadstoffbelastung der Menschen in den Industrienationen es auch zu umweltbedingten Schäden an der Erbmasse kommen mag, die in anderen Lebensbereichen sehr viel seltener anzutreffen sind. Das wären also sozusagen „umweltspezifische“ Erkrankungen.
Ein anderer Aspekt sind kulturspezifische Probleme in Gesundheitsfragen und die auch gesundheitsspezifischen Herausforderungen der fortschreitenden technischen Entwicklung. Hier hat Alpha ja schon treffend auf die Überflussgesellschaft und das zunehmende Übergewicht mit all seinen Folgen als ein Problem benannt. Auch der Stress durch zunehmende Reiz – und Informationsüberflutung und eine ungesunde Balance zwischen Privatleben und Arbeit können ganz wesentliche Auswirkungen auf den Menschen haben – vor allem auf seine psychische Gesundheit. Sowohl unmittelbar als auch indirekt, wenn z.B. (mit Blick auf das unlängst diskutierte Thema) die Überforderung der Eltern zu unangemessener Gewalt gegenüber den Kindern mit für diese nachfolgendem Trauma führt. Diese Reizüberflutung und der daraus resultierende Stress werden wir in dieser Form in Stammeskulturen vermutlich eher weniger finden.
Damit eng verbunden ist die Frage nach dem jeweiligen Umgang mit Krankheit bzw. Gesundheit. Das können kleine Aspekte sein, wie die gemeinsamen Bewegungs- und Körperertüchtigungsprogramme in asiatischen Ländern, aber auch ganz wesentliche wie z.B. die Einordnung von Krankheiten in den Alltag. Z.B. hat mich eine Beobachtung der Ethnospsychologie im Zusammenhang mit psychischen Auffälligkeiten sehr fasziniert. Betrachtet man in manchen Kulturen die Wesensaspekte eines Schamanen, lässt sich meines Wissens nach eine erhebliche Ähnlichkeit zu den Definitionsmerkmalen der Schizophrenie erkennen. Anders gesagt würde ein Mensch, der in unserer Gesellschaft als schizophren und damit als krank angesehen wird, in einer anderen Kultur möglicherweise als von den Naturgeistern besonders umworben verstanden werden. Und wo ein schizophrener Mensch in unserer Gesellschaft oft Ausgrenzung erfährt, mag er andernorts vollwertig in die Gesellschaft integriert leben.
Ein anderes Beispiel für die Auswirkung unterschiedlicher Lebensumstände wäre das psychische Leiden infolge von Alterseinsamkeit, das in Stammeskulturen in dieser Form so nur selten zu beobachten sein wird, da hier das Zusammenleben auch mit den Ältesten ganz anders strukturiert ist.
In eine ganz andere Richtung geht die Frage nach dem Aspekt der Modeerkrankung. Auch wenn der Begriff etwas plakativ sein mag, wohnt ihm doch ein wahrer Kern inne. Oft ist zu beobachten, dass mit Erkenntnis neuer Zusammenhänge bzw. der „Entdeckung“ eines neuen Krankheitsbildes die entsprechenden Diagnosen sprunghaft ansteigen können. Kaum war z.B. die Rede von ADHS, "explodierten" meines Wissens nach förmlich die Zahl an diagnostizierten Fällen. Das liegt nicht nur allein an dem Umstand, dass diese Probleme vorher nicht greifbar waren, sondern eben auch, weil Eltern wie auch z.T. Ärzte dazu neigen entsprechende Symptome überdeutlich wahrzunehmen bzw. zu interpretieren. Gerade auch in der Psychotherapie und teils sogar noch drastischer in der Seelsorge können diese iatrogene, also vom Arzt bzw. Therapeuten bzw. Seelsorger suggerierten und damit verursachten Probleme eine große Rolle spielen. In den 80ern und 90ern gab es z.B. gerade in den Staaten aber auch hier dann z.T. eine Flut an Erlebnisberichten und offengelegten Erinnerungen im Zusammenhang mit satanisch-rituellem Missbrauch (schwarzen Messen uns so), die nach neuer Forschung in den meisten Fällen keine Substanz hatten und sehr oft vom Therapeuten bzw. Seelsorger ungewollt suggeriert waren.
Lange Rede kurzer Sinn – es gibt denke ich sicherlich Krankheiten, die gehäuft eher im westlich-industriellen Umfeld auftreten und insofern vielleicht eher typisch für die westliche Wohlstandsgesellschaft ist. Was natürlich nicht bedeutet, dass es diese Erkrankungen in anderen Kulturräumen überhaupt nicht gibt. Aber auch in Stammeskulturen sind bedingt durch die Lebensweise und/oder die umweltspezifichen Aspekte gesundheitliche Probleme zu finden, die im gegenzug dafür in unserer Gesellschaft kaum mehr wirklich vorkommen. Und es gibt sicherlich z.T. Diagnosen, die – mit zunehmender Popularität – auch häufiger diagnostiziert werden. Manchmal aufgrund der Erwartungshaltung des Arztes, noch öfter aber weil dem Patient bzw. seiner Umgebung das Krankheitsbild bekannt wird und der Betroffene in seiner Erwartungshaltung die spezifischen Symptome an sich entdeckt bzw. darauf angesprochen wird. (Stichwort „Pass bloß auf, dass du kein Burnout bekommst") Insofern kann es meiner Meinung nach auch hier eine gewisse „Mode“ geben – auch wenn der Begriff etwas unglücklich gewählt ist.
Ob unsere Gesellschaft nun krank macht oder nicht, dass kann man nun so und so sehen. Die rasch voranschreitende Entwicklung macht es sicherlich notwendig, dass wir uns an die neuen Gegebenheiten anpassen – z.B. an den zunehmenden Stress. Das gelingt nun nicht jedem gleich gut. Auf der anderen Seite leiden oft gerade jene Menschen sehr Stress, die sehr sensibel sind. Was in anderer Hinsicht eine ganz wesentliche Befähigung sein mag. Hier gilt es einen gesunden Weg zu finden – und das geht nun leider auch nicht über Nacht sondern folgt vielmehr dem Prinzip Try and Error.^^ Aber grundsätzlich gilt, dass in jedem leiden auch eine Chance steckt. Denn auch Krankheiten und Probleme prägen uns sowohl im Guten wie im Schlechten.
Soviel von mir.^^.....
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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