1. Luther ist kein Aufklärer. Er ist ein religiöser Fundamentalist.
Ende des 15. Jahrhunderts führen die Wiederentdeckung der Antike, das Studium des Aristoteles und die Verweltlichung der Kirchenhierarchie dazu, dass sich in der europäischen Elite ein toleranter Skeptizismus breitmacht, am besten verkörpert in den Humanisten um Erasmus von Rotterdam. Dieser Bewegung gegenüber vertritt Luther eine buchgläubige Intoleranz: "Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig!" Die Vernunft bezeichnet Luther als "des Teufels Hure". Die Astronomie des Kopernikus lehnt er ab, weil sie der Bibel widerspricht: "Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!" Wo Schrift und Verstand einander widersprechen, ist Luther immer für die Schrift und "will doch meinen Verstand gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi". Luther verhilft dem Fundamentalismus zum Sieg über den aufklärerischen Humanismus.
2. Im 16. Jahrhundert gibt es eine breite Bewegung für eine Reform der Kirche.
Luther jedoch will keine Reformen, sondern eine "Reformation": eine Neu-Formierung der Kirche gemäß seiner Lehre. Der Papst ist für ihn der "Antichrist" im Dienst des Teufels: "Wenn wir Diebe mit dem Galgen, Räuber mit dem Schwert und Häretiker mit dem Feuer bestrafen, warum werfen wir uns nicht umso stärker mit allen unseren Waffen auf diese Herren der Sündhaftigkeit, diese Kardinäle, diese Päpste und diesen Sumpf römischer Sodomie, die unablässig die Kirche Gottes befleckt, und waschen unsere Hände in ihrem Blut, um uns ... zu befreien"? Das ist wörtlich gemeint.
3. Luther hat die Frohe Botschaft in ihr Gegenteil verkehrt.
Der befreiende Kern der christlichen Botschaft lautet: Jesus ist für die Sünden der Menschen gestorben. Die Rechnung mit Gott ist beglichen. Diese Botschaft hat Luther bei Augustinus und Paulus wiederentdeckt. Doch würde diese Botschaft, konsequent zu Ende gedacht, auch die Entlassung der Menschen in die völlige Freiheit bedeuten. Kirche, Liturgie, Sakramente, ja der Glaube selbst wären überflüssig. Befreiung aber will Luther so wenig wie sein Lehrer Augustinus, der große Pessimist der Antike. Luther will ja die totale Unterwerfung des Menschen, das Leben als Buße. Wie Luther schreibt: "Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener (Gott) sei gütig, der so wenige selig macht..."
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