
Zitat von
Plueschmors
Wie geht Ihr mit diesen Menschen um, wie mit dem Phänomen Fundamentalismus an sich?
Liebe Grüße, Plueschmors.
Liebes Plueschmors
Eine interessante Frage. Ich für meinen Teil könnte das gar nicht so pauschal beantworten, denn auch hier gibt es ja nicht DEN typischen christlichen Fundamentalisten. Und die Mehrheit der mir bekannten Fundamentalisten sind meist so ganz anders als jenes Bild, dass durch die vordergründige Präsenz in vielen christlichen Internetforen vermittelt wird. Es sind zumeist warmherzige Menschen, um Ehrlichkeit und Tugendhaftigkeit bemüht, die bei aller Konsequenz in ihrem Glauben sich dennoch nicht über andere erheben, sondern ganz im Gegenteil auch in der Lage sind zuzugeben, dass sie weder Beweise noch Sicherheiten haben als allein die Gewissheit aus ihrem Glauben, eben deshalb aber anderen eine andere Meinung auch nicht absprechen.
Natürlich gibt es da auch die anderen. Die radikal anmutenden, militant Fundamentalisten. Mit ihnen ist eine Diskussion tatsächlich kaum möglich. Sehr schnell hagelt es abwertende Pauschalisierungen, Unterstellungen, falsche Anschuldigungen und lieblose Werturteile, immer gepaart mit einer konsequenten Verweigerung die Darstellung und Korrektur anderer anzunehmen. Trotzdem finde ich kann es auch hier sehr interessant sein, sich mit ihnen zu unterhalten. Denn aus diesen Gesprächen kann man wie ich finde sehr viel lernen, nicht nur über Art und Inhalt ihres Glaubens, sondern auch über den Grund ihrer Radikalität. Denn eines ist meiner Meinung nach allen Fundamentalisten gemein – sie haben Gründe für ihren Glauben. Sicherlich sehen die Gründe sehr unterschiedlich aus. Sehr oft ist meines Wissens nach z.B. zu beobachten, dass der Annahme eines fundamentalistischen Bekenntnis oftmals eine Lebenskrise (z.B. der Tod eines geliebten Menschen, eine schwere Krankheit, ein psychisches Leiden, zunehmende Isolation, ein erlebtes Trauma...) vorausgeht, in deren Zusammenhang die Bekehrung dem Betroffenen eine Hilfe zur Bewältigung der Krise sein kann. In ihrem Glauben finden diese Menschen Kraft und Zuversicht und vermögen das Erlebte sogar positiv umzudeuten.
Aber auch radikale Fundamentalisten machen hier keine Ausnahme. Das gerade bei letzteren eine zunehmende Exklusivität und entsprechend auch eine zunehmende Ausgrenzung zur Regel wird, folgt wie ich denke ebenso sehr einfachen, das eigene Selbstbild stärkenden Mechanismen: Je mehr ich z.B. die Unterschiede zur „Outgroup“ unterstreiche, desto mehr verblassen die Unterschiede innerhalb der „Ingroup“ und desto stärker ist die innere Kohärenz und damit meine soziale Identität in der Gemeinschaft, während meine individuellen Merkmale abgeschwächt werden. Das ist würde ich vermuten vor allem dann wichtig, wenn das entscheidende Motiv die eigene Unsicherheit, ein Selbsthass oder eine tief empfundene Kränkung ist. Diese radikalen Vertreter gehen meiner Erfahrung nach nicht selten ganz in der sinnstiftenden Gemeinschaft auf, egal ob es nun eine religiöse Gruppe ist oder z.B. auch ein Fußballverein. Der Umstand, dass hier allem Eindruck nach oftmals eher sozial schwache und bildungsbenachteiligte Personen angesprochen werden, fördert die radikalen Positionen zusätzlich und lässt Gespräche gerade über missverstandene Umstände bzw. falsche Pauschalisierungen schnell eskalieren, da jede Kritik schnell als persönliche Ablehnung empfunden wird.
Für mich persönlich sind diese Gespräche daher sehr wichtig, denn sie geben Aufschluss über die Hintergründe dieser Entscheidungen. Dies führt für mich zu einem besseren Verständnis für ihre Position, und gibt damit die Möglichkeit an die Hand, Ursachen solcher Radikalisierung anzugehen und gefährdeten Personen beizeiten zu helfen. Denn so sehr sie sich in ihrem Verhalten möglicherweise zu „Tätern“ unangemessener Verhaltensweisen werden, sind sie doch zugleich auch Opfer und – wie neurologische Studien mittlerweile nahelegen – oft unfähig sich aus diesem Denken und Empfinden aus eigener Kraft zu lösen.
Das nun in Internetforen gerade jene radikalen Ansichten sehr viel deutlicher zutage treten, liegt wie ich glaube an der Natur von solchen Foren ganz allgemein. Hier treffen sich sehr oft Menschen, die in ihrem direkten Umfeld in den Dingen für die sie sich interessieren eher isoliert sind, bzw. denen Möglichkeit oder Antrieb fehlt in Kontakt mit Gleichgesinnten zu treten. Dazu gehören natürlich auch gerade die sehr radikalisierten Christen, die anderweitig in entsprechenden Ortsgemeinden Ablehnung erfahren. Und wie in jeder Gruppe werden die Ruhigen und Besonnenen oft weniger wahrgenommen als die Lautstark Schreienden. Außerdem wissen wir alle, dass wir uns lieber über Differenzen „streiten“ als eine gemeinsame Ansicht weiter zu verfolgen – in letzterer ist man sich ja einig.^^
Deshalb – um meine Ausschweifenden Gedanken zu erklären – finde ich es aber um so wichtiger darauf hinzuweisen, dass diese radikalen Positionen meiner Erfahrung nach nicht die Mehrheit stellen, und jene sehr liebenswerte und gutherzige Menschen, die in ihrem fundamentalistischen Glauben einfach den für sie richtigen und passenden Weg zu einer persönlichen Gottesbeziehung gefunden haben, oft vergessen lassen. Menschen, die auch Andersdenkenden mit Respekt, Anerkennung und dem ehrlichen Herzenswunsch nach gemeinsamer Einsicht begegnen. Die unabhängig von den unterschiedlichen Ansichten zur Wahrheit darum wissen, dass wir alle fortwährend lernen und aneinander wachsen müssen. Die darauf vertrauen, dass alle nach der Wahrheit Strebende die Wahrheit auch erkennen werden, und unabhängig von ihren aktuellen Ansichten in ferne Zukunft eines gemeinsamen Sinnes sind. Und die schließlich aus diesem Vertrauen auch im Andersdenkenden jenes sehen und ihm mit Freundlichkeit begegnen, was er in Zukunft sein mag – ein potentieller Freund und Bruder. Und ich bin froh und dankbar, dass ich einige dieser Menschen zum näheren Kreis meiner Bekannten rechnen darf. Denn auch sie stellen eine Bereicherung für mein Leben dar....
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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