Lieber NetKrel.

Zitat von
net.krel
Wie verstehst Du diese Jeramia Stelle bzw. die ganzen beiden Kapitel 7 und 8.
Mal ganz offen gefragt.... ist das wirklich von Relevanz? Ich meine du hast ein Verständnis dieser Stellen, die einen für dich sehr fruchtbaren Glauben ermöglichen. Gewinnst du wirklich etwas positives aus der Darstellung meiner Gedanken zu dem Text, wenn er doch in eine völlig andere Richtung geht?
Nur um das vorweg zu nehmen... ich denke deine Auslegung ist nicht besser oder schlechter als die meine. Wenn sie dir zum Nutzen gereicht, um eine glückliche und erfüllte Gottesbeziehung zu leben, dann möchte ich an diesem Verständnis auch nicht rütteln. Aber wenn du mich natürlich direkt fragst, will ich dir auch die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich hoffe nur dir war klar, dass ich das kaum in einem Satz erläutern kann.^^

Zitat von
net.krel
Mich würde interessieren ob Du persönlich daran glaubst daß Tieropfer jemals Sünden hinwegnehmen konnten? Und ob das in Deinen Augen (frei rausgesprochen) jemals Gottes Anweisung gewesen sein könnte, daß wenn man Gott ein Tier opfert dies einen von seinen Sünden irgendwie jemals befreit hätte?
Ich nehme die Fragen mal vorweg, weil ihre Beantwortung auch den Rahmen skizziert, vor dem du meine Ausführungen zur Jeremia-Stelle lesen musst. Die Fragen würde ich mit einem klaren Nein beantworten. Zum einen glaube ich persönlich nicht an das Konzept der Sünde und der Notwendigkeit zur Sündenvergebung durch ein stellvertretendes Opfer, wie es von den meisten Christen gedacht wird. Zum anderen kann ich mir nicht vorstellen, dass Gott Gefallen an Tieropfern hätte, noch dass dies seine Anweisung gewesen sein könnte.
Dennoch folgt daraus für mich nicht zwingend deine Lesart der Jeremia-Stelle. Denn ich lese die Bibel nicht als Gottes Wort an uns, sondern als Zeugnis früherer Generationen und ihres Glaubens bzw. der in diesem Glauben gewonnenen Gotteserfahrung. Und dieses ist nun Summe sowohl aus ihrem Glauben und ihrer Erfahrung, aber auch aus ihrer Zeit und der entsprechenden kulturellen Prägung. Heute sind sicherlich die meisten in unserem Land sich einig, dass das Steinigen eine grausame Sache ist. Aber wir leben heute. Ganz offen gesagt bin ich nicht sicher, dass wir als Menschen dieser Zeit uns ebenso über die Steinigung einer Frau aufgeregt hätten. Sie war damals gängige Rechtspraxis. Und im wesentlichen sind es immer noch die Menschen, die sowohl Träger des Glaubens aber auch der Wertvorstellungen sind. Selbst heute noch finden sich mehr als genug Menschen, die z.B. Pädophile als „Kinderschänder“ am liebsten vor eine Wand stellen würden oder doch zumindest drakonische Strafen fordern und insgeheim mit einer gewissen Genugtuung bzw. einem gewissen „Geschieht-dir-recht“ auf den Umstand schauen, dass solche Täter selbst im Gefängnis teils zum Bodensatz gehören und entsprechend behandelt werden. Aber bereits heute gibt es andere Positionen, welche da den Standpunkt vertreten, dass auch diese Menschen sich ihre Neigung ebenso wenig aussuchen können wie z.B. Menschen mit heterosexueller oder homosexueller Neigung. Und das diese Menschen letztlich auch zum Teil durch die Gesellschaft zu Täter wurden, indem sie als Perverse in die Heimlichkeit gedrängt werden, in der sie irgendwann ihren Neigungen erliegen, anstatt ihnen die Möglichkeit zu geben als integriertes Mitglied in der Gesellschaft sich Hilfe suchen zu können, um sich ihrer Neigung zu entziehen.
Oder nehmen wir vielleicht ein weniger emotional aufgeladenes und strittiges Thema. Für die meisten ist es heute immer noch selbstverständlich, dass eine „richtige“ Partnerschaft (für sie selbst) nur exklusiv-monogam denkbar ist. Dennoch gibt es nicht wenige Ansätze in der Psychologie und Philosophie, die Zweifel an dem Sinn und an der Moralität dieses traditionell gewachsenen Beziehungsmodell haben. Für die Eifersucht kein Zeichen von Liebe sondern von Besitzdenken ist. Oder für die Beziehungen allgemein heute mehr mit Kontrolle als mit Loslassen zu tun haben.
Bitte verstehe mich nicht falsch. Es ist nicht meine Absicht die verschiedenen Positionen zu bewerten. Ich gehe nur so ausführlich darauf ein, weil mir eines deiner Argumente zu sein scheint, dass wir (bzw. du) es uns heute nicht mehr vorstellen können, dass so etwas je im Sinne Gottes gewesen sein kann. Also sind entsprechende Botschaften gefälscht und die Jeremia-Stelle entsprechend als Hinweis darauf zu lesen. Mir geht es nun darum aufzeigen, dass es verschiedene Perspektiven geben kann. Und wir alle wissen nicht, wie spätere Generationen über uns urteilen. Vielleicht gibt es in 500 Jahren einen NetKrel 2.0 der sich mit einem Kasper 2.0 darüber austauscht, wie rückständig die Menschen von heute in ihren moralischen Vorstellungen waren, und wie sie nur so naiv sein konnten zu glauben, dies sei auch noch Gottes Wille gewesen. Wir gewinnen schließlich nicht nur als Individuen über die Jahre unseres Lebens immer tiefere Einsichten in das Wesen Gottes, sondern auch als Gesellschaft.
Was mich nun endlich zu meiner Lesart der bringt. (Ich beziehe mich soweit nicht anders erwähnt auf die von dir verwendete Elbfelder) Zwar kann ich z.T. auch nur wiederholen, was andere User schon geschrieben haben, aber man sehe es mir nach, wenn ich nicht an jeder Stelle siehe Ed o.ä. schreibe. Also wunder dich nicht, wenn manches schon gesagt wurde. Aber du wirst vermutlich die Schrift sehr viel besser kennen als ich, die Diskussion schon häufiger geführt und damit vieles davon sowieso schon gehört haben.
Du schreibst:
„Rein vom Wortlaut (und das meinte ich mit "Bibeltreu" an dieser Stelle) ist das aber nicht die Aussage. Sondern sie ist, eben so wie es dort steht. Gott hat "den Vätern" damals zur Zeit der Ägyptischen Befreiung nichts gesagt von Brand- und Schlachtopfern.“
Bereits hier gehst du einen Schritt in deiner Interpretation, den ich so nicht mitgehen kann. Tatsächlich steht es so im Original ja nicht wirklich da, oder?^^ Ich meine bereits das ist eine Übersetzung in relativ modernes Deutsch – aus einem hebräischen Text, der in einer völlig anderen Zeit geschrieben wurde. Anzunehmen dass auf dem Weg der Übersetzung und der Angleichung an den modernen Sprachgebrauch nicht bereits Informationen verloren gehen, würde doch bereits eine sehr spezielle Lesart voraussetzen, oder? Ich stelle mir gerade auch vor, was wohl ein Amerikaner ohne Geschichtswissen an Bedeutung vermuten würde, wenn ich ins Englische übersetzt davon spreche, „das ich meine Frau auch nicht auf die lange Bank schieben will“. Vielleicht dass meine Frau ziemlich groß ist und wir uns kein Bett leisten können.^^
Worauf ich hinaus will, ist dass für mich hier nicht Gott durch die Zeit hinweg zu uns spricht, oder gar eine esoterische Vermittlung durch den Heiligen Geist geschieht. Ich lese ihn als historisches Zeugnis den ich in den Kontext der gesamten Schrift einzubetten versuche – und zwar auch mit Blick auf den Kontext der Entstehungsgeschichte und den angedachten Adressaten. Viele Stellen in der Schrift sprechen Dinge an, die seinerzeit jedem Juden geläufig waren, und keiner weiteren Erläuterung bedurften, heute aber oft ohne Hintergrundwissen unverständlich bleiben. Wieder andere verwenden Begrifflichkeiten, die selbst bei wortgetreuer üÜbersetzung heute ganz anders verstanden werden. Um es nur mal anzureißen.... Überlege dir einmal wie wir heute das Konzept Souverän und Untertan verstehen, und wie es zur Zeit des AT verstanden wurde. Wir denken heute zumeist an eine absolutistische Macht im Sinne von Louis XIV., wohingegen das Augenmerk früher Kulturen vielleicht auf der Wahrung der kosmischen Ordnung und des Gleichgewichtes lag. Wenn ich allein an den Schöpfungsauftrag "macht euch die Welt untertan" denke, dann liegen da zum Teil schon Welten zwischen den möglichen „wortgetreuen“ Interpretationen.
Wie also passt die Stelle in Jeremia zum Rest? Im 7. Kapitel geht es doch um die Verfehlungen des Götzendienst. Das Volk Gottes huldigte anderen Göttern, morden, stiehlt und treibt Hurerei, um dann einmal die Woche seine Opfer darzubringen – und weiterzumachen. Kurz gesagt also ist es scheinheilig und verlässt sich auf formale Handlungen, um "gerecht" zu werden. Hier haben wir eigentlich schon eine Form des Ablasshandels.^^
Wenn ich nun von der Gabe der 10 Gebote lese, dann wird dort von Gott gesagt, er habe befohlen „Einen Altar von Erde sollst du mir machen und darauf opfern deine Brandopfer und deine Friedensopfer, dein Kleinvieh und deine Rinder; an jedem Orte, wo ich meines Namens werde gedenken lassen, werde ich zu dir kommen und dich segnen.“(2. Moses 20) Wenn wir also "wortwörtlich" lesen wollen, dann stimmt es also tatsächlich, wenn Jeremia sagt, betreffs der Brandopfer habe Gott nichts (weiter) befohlen. Was er nicht sagt ist, dass Gott keine Brandopfer befohlen hat. Das wäre wie wenn die Tochter mit der Anweisung aus der Schule kommt, ein Heft und verschiedenfarbige Stifte von dieser und jener Beschaffenheit zu kaufen, und die Tochter auf die Frage der Mutter nach der Farbe des Heftes die Auskunft gibt, zum Heft (Betreff des Heftes) habe der Lehrer nichts gesagt.
Hinzu kommt, dass es meines Wissens nach ein im zeitgeschichtlichen Sprachraum häufiger anzutreffendes rhetorisches Stilmittel war, durch die Verneinung des einen die Bedeutung des anderen herauszustellen, ohne aber das erste deshalb völlig abzulehnen. Vergleiche es einmal mit der Stelle im 1. Johannesbrief 3,18. Dort steht geschrieben „Kinder, laßt uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit.“ Sollte der Autor nun so zu verstehen sein, dass man nicht in Worten und mit der Zunge lieben dürfe? Ich denke wohl eher nicht. Durch diese Formulierung wird (so meine Meinung) nur die bedeutsamere Tat herausgehoben. Ebenso meint Jeremia meiner Ansicht nach nicht etwa, dass die Brandopfer völlig abzulehnen seien. Dies war zeitgeschichtlich nun einfach „Brauch“. Sondern eben dass Gott bei der Niederlegung des Gesetztes etwas wesentlicheres geboten habe – nämlich Gehorsam und das Ende des Götzendienst. Und das sie vor diesem Hintergrund das Brandopfer selber "fressen" können, denn es sind eben nicht die routiniert aber ohne echte Anteilnahme ablaufende Opfer, die Gott sich wünscht. Diesen Gedanken findest du auch in Samuel wieder, in dem es darum geht, ob Gott Brandopfer ebenso mag wie Gehorsam. „Und Samuel sprach zu Saul: Hat Jehova Lust an Brandopfern und Schlachtopfern, wie daran, dass man der Stimme Jehovas gehorcht? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder.“1. Samuel 15,22 Es geht hier also um die Gerechtigkeit durch Gehorsam und nicht (allein) durch die Opfer.
Für mich passt es so sehr viel stimmiger, als jetzt mit einem Filzstift nach eigenem Gutdünken Teile der Schrift zu streichen oder umzuschreiben.^^
Was nun den Vers im 8. Kapitel betrifft, nachdem die "Gesetze Gottes" von den Schriftgelehrten mit ihren Lügengriffeln zur Lüge gemacht wurden, da sehe ich keine zwingende Notwendigkeit dies auf die Bücher Moses zu beziehen. Auch Jesus verstehe ich nicht so, dass die Gesetze Moses gefälscht wurde. Wenn er wie die Schrift bezeugt gesagt hat, dass er gekommen sei um das Gesetz zu erfüllen und nicht es zu zerstören, nutzt er hier wieder eine im Hebräischen scheinbar ganz alltägliche Formulierung seiner Zeit, nach der „Erfüllen“ und „Zerstören“ nichts anderes heißt, als das Gesetz richtig auszulegen oder falsch. Es geht aber nicht darum ihm zu widersprechen!!! Jesus selbst hat ja nebenbei auch davon gesprochen, dass man opfern soll wie es Moses gesagt wurde – im Matthäus Kapitel 8 war es, wenn ich mich nicht irre. Du müsstest hier also fortlaufend weitere Fälschungen annehmen. Was aber unterm Strich auch bedeuten würde, dass du letztlich alles wegstreichst, was du nicht in deinem Sinne interpretieren könntest.
Was wie ich denke besser passt, ist der Umstand (korrigiere mich, wenn ich mich irre), dass es im jüdischen Denken mit der schriftlichen Offenbarung des Gesetzes seinerzeit neben der Schrift auch eine mündliche Auslegung gab, welche in der Mishna bzw. dem Talmud niedergelegt wurde. Und mit welcher eben die Schriftgelehrten für sich in Anspruch nahmen, die Auslegung von Gottes Wort zu lehren. Das passt dann auch zu dem von Fr. Shane erwähnten Aspekt, dass Jesus einmal davon spricht was die Jünger gehört haben („mündliche“ Auslegung) und was geschrieben steht (schriftliche in der Tora selbst). Und die „mündliche“ Auslegung (niedergeschrieben in der Mishna bzw. dem Talmud) ist es – so verstehe ich Jeremia – was die Schriftgelehrten zur Lüge gemacht haben. Aber nichts anderes – nämlich die „wahre Botschaft zu verdrehen – werfen doch die Fundamentalisten unter den Christen auch heute den Landeskirchen vor – und letztlich ja auch du, wenn auch aus einer anderen Perspektive.
Abschließend ein Wort zur Geschichte.... Sicherlich gab es zu jeder Zeit auch Menschen, die Macht und Einfluss missbrauchten. Ganz ohne Frage. Obschon Machthaber nicht immer Opportunisten waren. Es gibt eine interessante Abhandlung über Religiöse Herrscherlegitimation im achämenidischen Iran, die unter anderem auch diesen Aspekt ausführlich thematisiert. Das seinerzeit sicherlich vieles aus heutiger Sicht im argen lag, will ich gar nicht in Abrede stellen. Und sicherlich werden unsere Urururenkel selbiges über uns sagen. Deshalb denke ich, ist es wichtig und richtig Missstände aufzuzeigen und ins Gespräch zu bringen. Aber wenn ich das offen sagen darf, selbst ich denke dass du aufgrund deiner persönlichen Vorgeschichte in mancher Hinsicht du ein wenig über das Ziel hinaus schießt. Aber da bist du nun einfach eben du selbst und insofern authentisch. Zudem findet sich im fruchtbaren Dialog auch ein gesundes Gleichgewicht, es wäre schlimm, wenn wir alle die Dinge gleich sehen würden.^^
Die Aufklärung in Feindschaft zum Christentum zu setzten, halte ich dennoch für fragwürdig. Denn schließlich waren es meistens Geistliche, die am Anfang Wissenschaft und auch die Aufklärung betrieben. Und selbst als die Wissenschaft sich von der Kirche löste, blieben ihre Vertreter oft genug immer noch dem christlichen Denken verhaftet. Das es immer wieder Grausamkeiten in der Geschichte gab und auch heute noch gibt, ist ein bedauerlicher Umstand. Wir sind aber alle unvollkommene Wesen, welche den Willen Gottes zu bestimmen trachten. Und so vollkommen Gott auch sein mag, unsere Reife als Menschheit entwickelt sich eben nur in dem Tempo, in dem wir aus unseren Fehlern zu lernen vermögen und unsere Gedanken zum Austausch bringen. Vielleicht kannst du also auch etwas aus meinen Beiträgen für dich gewinnen und ich mich vielleicht für deine Beiträge und die Möglichkeiten meiner Horizonterweiterung revanchieren.
In diesem Sinne noch einen guten Start in die neue Woche
Lieben Gruß
Kaspar
Geändert von Lior (31.08.2014 um 23:33 Uhr)
Es sei bitte berücksichtigt, dass meine Besuche zeitweise durch lange Pausen unterbrochen werden. Sollte ich also eine an mich gerichtete Frage überlesen, bzw. nicht unmittelbar beantworten, dann ist dies bitte nicht als Ausdruck des Desinteresses zu werten - ggf. hilft auch mal eine Erinnerung.
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