Das Reich der Tiere besteht im Bibelunterricht und in Biologiebüchern aus Weibchen und Männchen, die wie Schloss und Schlüssel zusammenpassen. Doch die Natur ist experimentierfreudiger, als es das Prinzip Noah vorsieht:
Bei rund 450 Tierarten haben Forscher den Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern entdeckt. Delfinweibchen schieben ihre Flosse in den Genitalschlitz der Partnerin, Zwergschimpansen-Männchen nuckeln am Penis eines anderen Männchens, und männliche Seekühe bearbeiten das Geschlecht ihres Partners mangels Händen mit den Flossen. Flussdelfine stecken ihren Penis ins Blasloch des Kumpanen, Koalaweibchen besteigen andere Weibchen, und Möwenmännchen bauen gemeinsam ein Nest.
Weshalb die Homosexualität im Tierreich einen festen Platz hat, obgleich sie der Fortpflanzung und der Evolution nicht zu nützen scheint, darüber gibt es zahlreiche Thesen. Der jüngste Beitrag stammt von dem Biologen Bruce Bagemihl, der in zehnjähriger Arbeit Hunderte von Studien gesammelt hat.
In seinem 750-seitigen Buch Biological Exuberance (St. Martin Press, New York, 750 Seiten, 40 Dollar) beschreibt er die Vielfalt der Homosexualität im Tierreich - und stellt die provokative These auf, es sei Unsinn, beim Anblick schwuler Giraffen oder lesbischer Eichhörnchen über einen rationalen Sinn zu grübeln. Vielmehr sei die Homosexualität Ausdruck der Spielfreude der Natur - mehr nicht.
Die Geschichte der Homosexualität und der Wissenschaft ist eine der einseitigen Abneigung. Wörter wie "seltsam", "pervers" oder "unnatürlich" durchziehen die Literatur von Beginn des Jahrhunderts bis heute. Vor 100 Jahren titelte ein Biologe: Sexuelle Perversion bei männlichen Käfern, vor 40 Jahren ein anderer: Aberrantes sexuelles Verhalten beim südafrikanischen Strauß.
Noch immer will die Homosexualität nicht ins Bild passen, das sich die Forscher von der Evolution machen. Homosexuelle Handlungen bei Killerwalen werden als "unpassend", bei Grasläufern als "sexueller Nonsens" beschrieben. Reiben zwei Bonobo-Weibchen ihre Geschlechtsteile aneinander und stoßen dabei Schreie aus, greifen Biologen nach Erklärungen wie "Begrüßungsverhalten", "Beruhigungsverhalten", "Versöhnungsverhalten" oder gar "Futteraustauschverhalten".
"Alles Mögliche soll es darstellen", ereifert sich Bagemihl, "nur nicht vergnügliches Sexualverhalten." Die Evolution wird getrieben von der Auslese neuer Generationen. Haben zwei Weibchen Sex miteinander, entsteht kein Nachwuchs.
Wenn Homosexualität den Nachwuchs nicht liefern kann, weshalb gibt es sie? Biologen haben eine Fülle von Erklärungen bereit, denen Bagemihl widerspricht: Die Homosexualität sei ein Ersatz für Sex zwischen den Geschlechtern, wenn geeignete Partner fehlen. Falsch, sagt Bagemihl. Bei Orang-Utans, Königspinguinen und 40 anderen Tierarten ignorieren homosexuelle Weibchen und Männchen das andere Geschlecht, auch wenn das Angebot groß genug ist.
Gefangenschaft sei die Ursache von Homosexualität. Große Tümmler etwa wurden in Gefangenschaft beim gleichgeschlechtlichen Liebesspiel beobachtet. Auch hier widerspricht Bagemihl. Zwar scheint Homosexualität bei einigen Arten in Gefangenschaft öfter vorzukommen als in der Wildnis - wie etwa bei Orang-Utans -, doch dies erkläre noch nicht, weshalb Tiere in der freien Natur gleichgeschlechtliche Sexpartner vorziehen.
Außerdem sei Homosexualität bei zwei Drittel der untersuchten Arten nur in der Wildnis beobachtet worden. Hervorhebungen von mir. Quelle:
http://www.zeit.de/1999/33/199933.schwule_viecher_.xml
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