Zitat Zitat von Provisorium Beitrag anzeigen
Du hast ja selbst bisher nur gefragt, aber noch gar nicht deine persönliche Meinung zu diesen Fragen geäußert. Es würde mich wirklich sehr interessieren, wie du deine Fragen denn beantworten würdest!
Dann will ich das mal nachholen ...

Es ging im Kern um folgenden Vers:

Joh 16,7-11: "Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist."

Und um die folgenden Fragen:

  1. Warum ist es gut für die Jünger (oder uns?), dass Jesus weggeht?
  2. Wie versteht ihr: "Wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch"? Wer oder was ist der Tröster?
  3. Warum denken eigentlich so viele Christen, bei dem Problem "Sünde" ginge es um unsere persönlichen Schuldverstrickungen, wo doch Jesus hier klipp und klar sagt, was Sünde eigentlich ist?
  4. Warum denken so viele Christen, bei der Gerechtigkeit Gottes ginge es darum, dass wir für unsere Schuld bezahlen, wo doch Jesus hier klipp und klar sagt, was die Gerechtigkeit ist?
  5. Warum denken so viele Christen, wenn sie "Gericht" hören, es ginge darum, dass des Menschen unbezahlte Schuld auf seinen Kopf kommt, wo doch Jesus hier gar nicht vom Menschen spricht?


Ich würde sie so beantworten:

1. Wäre Jesus nicht "weggegangen" (gestorben), dann wäre sein Geist nicht in die Welt, in andere Menschen gekommen, sondern allein in ihm geblieben. Denn wie Jesus auch in Joh 12,24 erklärt: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht". Die Frucht im Falle des Ersterbens Jesu sind all jene Menschen, die von Jesu Geist "getrieben" werden. Wie auch ein Weinstock Reben "treibt". (Das beantwortet jetzt nur die Frage, warum Jesus als sündenfreier Mensch überhaupt starb, denn sündenfreie Menschen müssen ja gar nicht sterben; nicht aber die, warum er so starb, also durch Kreuzigung und nicht durch einen Herzinfarkt oder so. Letzteres wäre ein anderes Thema ...).

2. Der Tröster ist der Geist. Und zwar der Geist der Wahrheit, wie er in Joh 15,26 genauer definiert wird. Wenn also in Joh 16,8 steht: "Und wenn jener kommt, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht", dann bedeutet das logischerweise, dass die Welt in diesen Punkten die Wahrheit erfahren wird.

3. Wenn Christen denken, bei "Sünde" ginge es um unsere persönlichen Schuldverstrickungen, dann haben sie nicht den Geist der Wahrheit. Dann haben sie noch nicht die Wahrheit über die Sünde erfahren. Dann gehören sie noch zur unerlösten Welt. Denn die Wahrheit über Sünde ist das, was Jesus selbst über Sünde sagt: Sünde ist, dass "sie nicht an mich glauben" (Joh 16,9). Da steht nicht "dass sie ehebrechen" oder "dass sie Stairway to Heaven von Led Zeppelin für einen guten Song halten" oder "dass sie homosexuell sind". Was da steht ist: "dass sie nicht an mich glauben" - und sonst nichts. Das ist die einzige Sünde, die dem Mensch seit Jesu Tod noch zum Verderben wirkt, denn alle andere Sünde dieser Welt hat Jesus getragen (Joh 1,29), als er die Rolle des Lammes, das zur Schlachtbank geführt wird (Jes 53,7) eingenommen und durchgezogen hat. Der Welt Sünde ist seither vergeben. Und da Gott ein ewiger Gott ist, gilt diese Vergebung ewig, das heißt für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft. Die einzige Sünde, die nach Jesu Tod noch übrig bleibt, ist die, dass der Mensch es nicht glaubt. Dieser Mensch ist wie ein rechtlich Freigesprochener, der seinen Freispruch nicht glaubt und deshalb bei geöffneten Türen im Kerker der Gefangenschaft sitzen bleibt. Weil er nicht glaubt, fühlt und trägt er seine gesamte Schuld. Nur deshalb. Und daraus kann ihn auch niemand erlösen. Es ist seine eigene Entscheidung. Er lebt sein Leben unter der Lüge. Und das ist sein gutes Recht, wenn auch nicht sein höchstes Glück.

4. Ähnlich verhält es sich, wenn Christen denken, bei der "Gerechtigkeit Gottes" ginge es darum, dass sie für ihre Schuld bezahlen. Sie haben die Wahrheit über die Gerechtigkeit Gottes noch nicht erfahren und gehören zur unerlösten Welt. Sie leben in einer Lüge. Denn die Wahrheit über die Gerechtigkeit Gottes ist das, was Jesus selbst über Gerechtigkeit sagt: Gerechtigkeit ist, dass "ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht mehr seht" (Joh 16,10). Da steht nicht, dass die Gerechtigkeit darin besteht, dass alle Ungerechten in die Hölle gehen, sondern dass sie darin besteht, dass Jesus in den Himmel ("zum Vater") geht. Und das ist deshalb gerecht, weil nur der sündige Mensch von Gott getrennt leben muss, nicht aber der Sündlose. Aber Jesus war als Mensch sündlos. Und darum hat er das ewige Leben beim Vater rechtmäßig verdient. Es ist kein Gnadengeschenk, das er von Gott bekommt, sondern es ist sein wohlverdientes Recht. Es ist Gerechtigkeit, dass er zum Vater geht.

Und dass er gestorben ist, wie in Punkt 1 beschrieben, anstatt direkt zu entrücken wie z.B. Henoch oder Elia, das ist unser Glück! Denn nur dadurch können wir an seinem wohlverdienten Recht teilhaben, wenn wir uns der letzten unserer übrig gebliebenen Sünden ledig machen.

5. Am meisten tut es mir leid, wenn Christen denken, beim göttlichen "Gericht" ginge es darum, dass die ganzen Schuldverstrickungen eines Menschen einmal auf seinen Kopf kommen. Sie haben die Wahrheit über das Gericht Gottes noch nicht erfahren und leben in einer Lüge. Denn die Wahrheit über das Gericht Gottes ist das, was Jesus selbst über das Gericht sagt, nämlich dass "der Fürst dieser Welt gerichtet ist" ( Joh 16,11). Jesus spricht nicht von Menschen, sondern von Satan. Nicht die Welt ist gerichtet, sondern ihr Fürst. Die Welt ist gerettet, "... denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette", sagte Jesus in Joh 12,47. Satan ist der Vater der Lüge. Über ihn hat Jesus das Gericht gebracht. Über die Lüge. Alle diese lügenhaften Denkweisen ... dass die Sünde der Welt noch immer unvergeben sei ... dass die göttliche Gerechtigkeit darin bestünde, dass der Mensch immer noch für alle seine Sünden bezahlen muss ... dass das göttliche Gericht darin bestünde, dass Menschen bestraft werden ... alle diese lügenhaften Denkweisen sind "gerichtet" durch den Geist der Wahrheit, der durch Jesus in die Welt kam und der uns "in alle Wahrheit leiten wird" und uns sogar "verkündigen wird, was zukünftig ist" (Joh 16,13), das heißt: die gesamte Offenbarung.

Jesus lehrt in diesen drei Versen des Johannesevangeliums (Joh 16,9-11), worin Sünde, Gerechtigkeit und Gericht bestehen, und wer diese Worte ernst nimmt, versteht vor dem Hintergrund der restlichen Schrift die Gerechtigkeit aus Glauben. Sie ist ein Gnadengeschenk, das Gott den Sündern durch seinen Sohn Jesus Christus gemacht hat. In ihm haben wir das ewige Leben, das er - Jesus - für uns "rechtmäßig verdient" hat. "Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Joh 3,16).

Ich hoffe, das war verständlich. :)

Liebe Grüße
Frau Shane