Ich mag nochmal ein kleines Beispiel dafür geben, weshalb man heute das Christentum nicht so einfach definieren kann. Das Christentum hat ja in seiner Entwicklung einige Lehren als häretisch verworfen. Das fand immer in den Konzilen statt. Wenn wir in diesem Fall also von Christentum sprechen, dann sprechen wir letztlich nur von der rkK. Die rkK definiert das ja auch heute noch so, dass man nur innerhalb von ihr das Heil erwerben kann. Ein Altkatholik wie Sarandanon gilt deshalb genau wie ich als verdammt! Hat aber tatsächlich die rkK die Definitionshoheit darüber, was ein Christ ist, oder nicht? Ich denke nicht!

Und wenn sie nicht die Definitionshoheit hat, wer hat sie dann? Die Protestanten? Die Evangelikalen? Irgend jemand anderes?

Ich persönlich fühle mich zum Beispiel nicht an die Lehre der rkK gebunden, denn ich lehne in vielen Fällen die Lehre des Augustinus ab, der nun einmal in der rkK eine herausragende Rolle spielt und dem massiv Macht zugestanden wurde. Nur ein Beispiel: Ich lehne die augustinische Prädestinationslehre vollkommen ab und folge eher dem als Häresie verurteilten Semipelagianismus, wie ihn Johannes Cassianus entwickelte. Bin ich jetzt etwa kein Christ? Und das obwohl ich mich auf einen christlichen Lehrer berufe? Wer will das bestimmen?

Ist ein christliches Forum nicht vor allem dazu da, um solche Fragen, die es immer schon im Christentum gegeben hat, nochmals neu zu erörtern? Ehrlich, mich ärgern solche beständigen Vorwürfe wie sie Mitleser immer wieder einbringt! Paulus darf man nicht kritisch betrachten, die Bibel darf man insgesamt nicht kritisieren...Warum? Ist der christliche Glaube nur dann christlicher Glaube, wenn er sich auf Paulus beruft und man ihm in allem blindlings folgt? Ist man nur dann Christ, wenn man die Bibel als unfehlbares Wort Gottes betrachtet? Wohlgemerkt die Bibel, wie sie ein katholisches Konzil zusammenstellte! Das soll für mich als nicht Katholik verbindlich sein? Warum? Warum nicht stattdessen die Apokryphen? Warum überhaupt Schriftliches? Warum nicht einfach nur praktische Nächstenliebe?

In der Bibel heißt es, dass Gott in die Herzen der Menschen schaut (1. Samuel 16,7b) und wenn das stimmt, dann ist doch all unsere "verkopfte Definitionswut" obsolet und letztlich ohne Belang, denn dann kommt es eben auf die Herzenshaltung des Menschen an und nicht darauf, welcher Religion er sich nun persönlich zugehörig fühlen mag.

LG
Provisorium